Viel wird aktuell über unbekannte Objekte diskutiert, die sich in unserer Stratosphäre aufhalten. Aber trotz seines faszinierend außerirdischen Aussehens ist diese keilförmige Schöpfung weder ein Fall von High-Tech-Spionage, noch ein Wetterballon oder gar ein UFO aus einer fernen Galaxie. Dennoch stellen wir uns gerne vor, dass das Publikum 1970 bei der Enthüllung während der Turin Auto Show dieses Auto mit der gleichen Verblüffung betrachtet haben muss, wie die Affenwesen, die in Stanley Kubriks kultigem Sci-Fi-Klassiker „2001: Odyssee im Weltraum“ um den rätselhaften schwarzen Monolith herumstanden. Schließlich wirkte dieses futuristische Concept Car als wäre es aus einem soliden Stück Metall geformt worden, flach wie eine fliegende Untertasse und so bahnbrechend anders, dass es genauso gut einem Ort jenseits unseres Sonnensystems entstammen könnte.
Tatsächlich zielte die Mission von Bertones „Progetto Zero“ darauf, die Marke Lancia neu zu erfinden und die Manager des Herstellers mit einem dramatischen Nachfolge-Konzept zu überraschen, auf den Spuren der Autos, die die mit ihrer Keilform bereits das Autodesign belebt hatten: Der Alfa Romeo Carabo, den Marcello Gandini 1968 für Bertone gezeichnet hatte und der Ferrari Modulo, der von Pininfarinas Paolo Martin geschaffen und im Frühjahr 1970 beim Genfer Autosalon enthüllt worden war. Als die Hüllen von diesem Lancia gezogen wurden, hieß das Auto offiziell „Stratos HF“. Nuccio Bertone hatte es ursprünglich Stratolimite taufen wollen – „limit of the stratosphere“. Diese Grenze der Stratosphäre inspirierte das Space Age-Design und verwies zugleich auf die damals allgemein faszinierenden Möglichkeiten interstellarer Reisen. Letztlich wurde dies Schöpfung unter ihrem internen Spitznahmen berühmt: Zero.
Es wird berichtet, dass Nuccio Bertone Monate vorher höchstpersönlich auf öffentlichen Straßen am Zero-Steuer saß, um die Lancia-Chefetage zu treffen und ein realistischeres Sportwagenprojekt zu besprechen, aus dem sich der Stratos Stradale entwickeln sollte. Der serienmäßige Stratos hatte zwar wenig Ähnlichkeit mit Marcello Gandinis Traum, aber seine Rolle in der Wiederbelebung von Lancia und die späteren Rallyeerfolge können nicht hoch genug angesetzt werden. Dennoch dürfte der Stratos Zero eines der beachtlichsten Schöpfungen in der Automobilgeschichte darstellen.
Am vergangenen Wochenende sorgte der Lancia Stratos auch heute für einiges Aufsehen, als er einen Minusgrade-Auftritt bei The ICE St. Moritz hatte. Der Besitzer, der kalifornische Autosammler Philip Sarofim, absolvierte mit dem Concept Car sogar ein paar Runden auf dem Ice Track des zugefrorenen Sees – den Anblick eines orangefarbenen Keils, der über das Eis rast mit den Berggipfeln als Kulisse, werden wir so schnell nicht vergessen. Man muss sich das vorstellen: Ein One off-Konzept mit fragiler Technik, kaum Bodenfreiheit und einer Höhe von nur 84 cm auf einen vereisten See loszulassen, ist fraglos schon der Stunt des Jahres. Am Ende erhielt Philip zurecht die diesjährige Best of Show-Trophäe für sein Wagnis, seinen Game Changer mitten in den Alpen vorzuführen.
Wir bei Classic Driver hatten mehrfach das Vergnügen, den Stratos Zero ganz real zu erleben, nach dem er bei RM Sotheby´s 2011 versteigert worden war. In 2018 sorgte der Stratos Zero sowohl bei Zuschauern wie Juroren beim Concorso d`Eleganza Villa d´Este für große Begeisterung. Kurz danach schenkte Philip Sarofim uns und Fotograf Kevin van Campenhout die Gelegenheit zu einem Rendezvous mit dem wundersamen Keil in Südfrankreich. Diesmal, am Sonntagmorgen nach The ICE hatten wir zusammen mit Kevin wieder die Chance zu einem Tête-a-Tête mit dem Zero – ein Shooting bei frostigen Temperaturen vor dem atemberaubenden Anblick der Schweizer Alpen. Und manchmal erfüllen sie sich doch, die wildesten Träume!
Fotos: Kevin van Campenhout