Die Idee eines straßentauglichen Formel-1-Wagens treibt seit Jahrzehnten Ingenieure und Enthusiasten gleichermaßen um. Der Ferrari F50 und in jüngerer Zeit der Mercedes-AMG One sind die Versuche der jeweiligen Hersteller, diesen Traum zu verwirklichen. Aber sie waren nicht die ersten, die sich solch ein Auto ausdachten. Vor 90 Jahren brachten der legendäre Professor Ferdinand Porsche und sein 1931 gegründetes Stuttgarter Konstruktionsbüro die Entwürfe für den ersten straßenzugelassenen Grand-Prix-Wagen zu Papier. Doch noch ehe der erste Prototyp entstand, wurde das Projekt eingestampft und Porsches Schöpfung ging in den Archiven von Audi und Porsche verloren – bis heute. Um so mehr haben wir heute die Ehre, Ihnen voller Begeisterung den Auto Union Typ 52 zu präsentieren.
Bevor wir uns dieses faszinierende Unikat genauer anschauen, müssen wir zunächst seine Ursprünge verstehen. 1932 war aus dem Zusammenschluss von Audi, DKW, Horch und Wanderer die Auto Union entstanden. Um sich im Zeichen des neuen Firmenlogos – der vier Ringe – möglichst schnell auch international einen Namen zu machen, wurde ein ehrgeiziges Motorsportprogramm aufgesetzt. Im selben Jahr veröffentlichte die Weltmotorsportweltbehörde AIACR (Association Internationale des Automobile Clubs Reconnus) das Reglement für die neue 750-kg-Grand-Prix-Formel. Woraufhin die Auto Union das Team um Professor Porsche beauftragte, einen auf dieses Reglement zugeschnittenen neuen Rennwagen zu entwickeln.
Am 6. März 1934 setzte Hans Stuck auf der Berliner Avus gleich ein großes Ausrufezeichen. Auf dem neuen Auto Union Typ A (laut Porsche interner Nomenklatur Typ 22) stellte er neben Weltrekorden über 100 und 200 Meilen mit 217 km/h auch einen neuen Stundenweltrekord auf. Im gleichen Jahr gewann Stuck noch die großen Preise von Deutschland (Nürburgring) und der Schweiz (Bremgarten) sowie den Masaryk GP bei Brünn. Als parallel auch Mercedes-Benz die Bühne betrat und seinerseits Grand-Prix-Siege errang, war die Ära der „Silberpfeile“ angebrochen.
Anders als die Konkurrenz aus Stuttgart setzten Porsche und die Auto Union auf eine Mittelmotorbauweise. Während der Typ A sowohl auf der Rundstrecke wie auch bei Bergrennen (mit Stuck als Meister seines Fachs) erfolgreich unterwegs war, begannen hinter den Kulissen Planungen für den Bau eines vom Typ A abgeleiteten Straßenmodells. Gedacht zum Verkauf an Kunden, die mit diesem „Schnellsportwagen“ (späterer Projektname Typ 52) zum Beispiel an Langstreckenfahrten wie der Mille Miglia oder an den 24-Stunden-Rennen in Le Mans und Spa-Francorchamps teilnehmen konnten.
Bevor das Projekt 1935 eingestellt wurde, war bereits viel Gehirnschmalz und Arbeit in die Konstruktion des Typ 52 geflossen. Die Entwürfe zeigen einen Leiterrahmen mit einem vom Typ 22-Grand-Prix-Renner abgeleiteten und hinter dem Fahrer montierten Motor. Allerdings mit reduzierter Verdichtung, damit der per Kompressor aufgeladene 16-Zylinder-Motor mit handelsüblichem Kraftstoff betrieben werden konnte. Mit 200 PS bei 3650 U/min und einem maximalen Drehmoment von 436 Nm bei 2250 U/min hätte das 4,4 Liter große Triebwerk den Schnellsportwagen locker auf 200 km/h getrieben. Wäre er auf die Straße gekommen – niemand hätte ihm den Rang des schnellsten und stärksten Sportwagens jener Ära streitig machen können.
Selbst 90 Jahre später war die Idee einfach zu genial, um sie nicht doch noch zu verwirklichen. Um dieses unglaubliche Auto endlich Wirklichkeit werden zu lassen, nahm Audi Tradition die Hilfe der englischen Restaurierungsspezialisten Crosthwaite & Gardiner in Anspruch. Keine unbekannte Adresse für die Ingolstädter, haben die Briten doch in der Vergangenheit schon Repliken der Grand-Prix-Rennwagen der Auto Union aufgebaut; zudem betreuen sie die in der historischen Fahrzeugsammlung von Audi stehenden Silberpfeile. Da es keine Bilder eines fertigen Fahrzeugs als Referenz gab, nach Ende des Krieges viele Akten durch die Auflösung der in der sowjetischen Besatzungszone liegenden Auto Union AG verloren gingen und keine zuverlässigen Berichte oder Zeitzeugen zur Verfügung standen, war diese Aufgabe viel leichter gesagt als getan. Anhand vorhandener Archivdokumente, Pläne und Konstruktionszeichnungen setzte das Team die Entwürfe Ferdinand Porsches über mehrere Jahre hinweg um. Alle Bauteile sind „Custom made“ und in Handarbeit speziell angefertigt. 2023 war alles fertig, bis auf die dann noch aufgetragene Lackierung in der von den Grand-Prix-Rennwagen inspirierten Farbe Cellulose Silber.
Mit einer Länge von mehr als fünf Metern ist der Type 52 die Inkarnation von Überholprestige. Seine langgestreckte, tropfenförmige Silhouette ist das Ergebnis des damaligen Kenntnisstandes in punkto Aerodynamik. Anders als seine Grand-Prix-Pendants bietet er konzeptbedingt eine höhere Alltagtauglichkeit. Mit einem Dach, Scheinwerfern und Platz für Gepäck. Öffnet man die hinteren „Selbstmördertüren“, findet sich jedoch statt einer zweiten Sitzreihe ein Stauraum für zwei Ersatzreifen. Steigt man ins Cockpit, stellt man verblüfft fest, dass hier jemand schon über sechs Jahrzehnte vor dem McLaren F1 die Idee von drei nebeneinander angeordneten Sitzen hatte! Voll beladen mit Gepäck, drei Passagieren und Flüssigkeiten bringt der Type 52 1.750 Kilogramm auf die Waage; das Trockengewicht soll bei 1.300 Kilogramm liegen.
Der Typ 52 unterscheidet sich vom Grand-Prix-Rennwagen Typ 22 auch in der Fahrwerksgeometrie. Anstelle einer Querblattfeder und Reibungsstoßdämpfern hat er an der Hinterachse längs angeordnete Drehstabfedern mit hydraulischen Dämpfern. Der 110-Liter-Tank wanderte unter die Sitze – beim Grand-Prix-Rennwagen lag das deutlich größere Reservoir direkt hinter dem Fahrer und damit nah am Schwerpunkt des Wagens. Gebremst wird wiederum in beiden Fällen mit Trommelbremsen rundum.
Bei der nun fertiggestellten Replika haben Audi Tradition und die Meister von Crosthwaite & Gardiner nur eine bewusste Abweichung von den Blaupausen vorgenommen – die aber den besonderen Reiz des Nachbaus ausmacht. Denn anstelle des ursprünglich für den Typ 52 vorgesehenen und gedrosselten Typ 22-Motors entschied sich Audi Tradition für den 16-Zylinder aus dem Auto Union Typ C, der mit einem speziellen Methanol-Gemisch betankt werden muss. Selbst im Vergleich zu den Performance-Werten des Jahres 2024 sind 520 PS aus dem aufgeladenen Sechsliter-16-Zylinder sehr beeindruckend. Hans-Joachim „Strietzel“ Stuck, Rennsportlegende und Sohn von Hans Stuck, hat den Typ 52 bereits vor der Goodwood-Premiere testen können und vergleicht den Sound des Motors mit dem Klang eines Orchesters. Da können auch wir es kaum erwarten, dieses Biest selbst zu hören, wenn es heute zum ersten Mal den Goodwood Hill hinaufbraust.