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Die Studie Astra Gnome führte das Space-Age-Design über die Grenzen unserer Galaxie hinaus

Im Jahr 2024 sehen Autos von Tag zu Tag futuristischer aus: Kohlefaser und Aluminium in Flugzeugqualität sind die Norm. Doch fast alles, was heute auf vier Rädern unterwegs ist, verblasst im Vergleich zur galaktischen Konzeptstudie Astra-Gnome aus der Mitte der 1950er-Jahre.

Wenn wir uns einige der Autos anschauen, die um die Jahrhundertwende auf den Markt kamen, kämen wir wahrscheinlich zu dem Schluss, dass der Industriedesigner Richard Arbib (1917-1995) von der Phantasielosigkeit der modernen Automobilindustrie enttäuscht gewesen wäre. Zugegeben, der Chrysler P/T Cruiser, der Ariel Atom und der Opel Speedster (um nur einige zu nennen) sahen ziemlich originell aus, als sie im Jahr 2000 debütierten. Hätte sie Arbib noch erlebt, hätte er wahrscheinlich trotzdem gedacht: „Warum so gewöhnlich?“

Denn seine Vision von den Autos, die wir im Jahr 2000 fahren würden, sah so aus wie die hier abgebildete Konzeptstudie: das „Time-and-Space“-Car namens „Astra-Gnome“. Er entwarf es im Auftrag der American Motors Corporation, um AMC für die New York Auto Show von 1956 eine Attraktion zu sichern. Arbib wurde konsultiert, nachdem die hauseigenen Stylisten von AMC sich außerstande sahen, ein Design zu entwerfen, das dem Space-Age-Zeitgeist jener Ära entsprach. Je nach Quelle blieben dem Designer mit ägyptischen Wurzeln (sein Vater war noch in Kairo geboren) sechs oder vier Monate Zeit, um seinen Entwurf bis zur Eröffnung der Messe im neuen (und entsprechend modernen) New York Coliseum fertigzustellen.

Unbeeindruckt von der kurzen Vorwarnzeit und bereits weit in die Zukunft denkend (er entwarf zur gleichen Zeit das dreieckige Gehäuse für die Hamilton Ventura, die erste elektrische Uhr der Welt), machte sich Arbib auf Basis eines serienmäßigen Nash Metropolitan ans Werk. Der zwei Jahre zuvor, 1953, auf den Markt gebrachte Metropolitan schwamm bereits gegen den Strom, da lose auf dem vom unabhängigen Designer William J. Flajole gestylten NXI (Nash Experimental International) Konzeptfahrzeug basierend. Der Metro sollte die Rolle des Zweitwagens in einer Zwei-Personen-Familie ausfüllen und war das erste speziell auf Frauen zielende US-Modell. Vor dem Hintergrund eines schamlosen Machismo war er für „Moms“ gedacht, die ihn zum Einkaufen und für den Schulweg nutzen wollten. Daher seine überschaubare Größe und ein Radstand, der mit 2,16 Meter noch unter dem des VW Käfers lag..

Trotz seiner gedrungenen Proportionen wirkte der Metropolitan seltsam futuristisch. Verglichen mit dem Astra-Gnome, den Arbib um dessen Bodengruppe und Mechanik baute, kam er jedoch geradezu antiquiert und ausgesprochen einfach daher.

Anstelle der damals beliebten Zweifarbenlackierung ließ Arbib den Astra-Gnome mit eloxierten Paneelen des New Yorker Unternehmens Alcoa Aluminium verkleiden – daher blieb das Gewicht trotz der um 25 Prozent größeren Außenmaße noch unter 2000 Pfund (907 Kilo). Die geriffelten Paneele sollten in verschiedenen Farben erhältlich sein – ein früher Vorgriff auf die später von Smart eingeführte Idee austauschbarer und farblich unterschiedlicher Karosserieteile. Die rumpfförmige Karosserie (zu der sich Arbib möglicherweise durch seine Arbeit für die Century Boat Company inspirieren ließ) umschloss die Räder komplett und verlieh dem Spacemobil die Optik eines schwebenden Luftkissenboots (Hovercraft). Trotz des futuristischen Exterieurs strotzte das voll fahrbereite Einzelstück aber auch mit vielen praktischen Funktionen. 

Neben umlaufenden Stoßstangen nach dem Vorbild größerer Autos  verfügte er über ausklappbare Trittbretter für den Einstieg, vier leistungsstarke und in die ebenfalls geriffelte Frontmaske eingelassene Scheinwerfer sowie eine schildförmige Motorhaube, die dem 1,2-Liter-Vierzylinder aus dem Austin A40 (55 PS) optimal Ansaugluft zuführte. Doch die wohl größte Attraktion wartete noch auf die Messebesucher: das Cockpit und der Zugang zu den beiden Sitzplätzen.

Arbib entwarf nämlich ein Kampfjet-ähnliches Plexiglasdach, das über einen auf einen Aluminiumarm wirkenden Elektromotor auf Knopfdruck angehoben und wieder abgesenkt werden konnte. Im geöffneten Zustand konnten Fahrer und Beifahrer über die erwähnten Trittstufen ein- und auszusteigen. Das Glashaus bot nicht nur eine exzellente Rundumsicht, sondern vermittelte bei voll aufgedrehter Klimaanlage wahrscheinlich den Eindruck, in einem Cabrio zu fahren.

Zu den luxuriösen Ausstattungsmerkmalen gehörten skulpturale, lederbezogene Sitze, ein bootsdeck-ähnlicher Bodenbelag und gepolsterte Armlehnen, die eine Mittelkonsole mit darin senkrecht montiertem Hi-Fi-Radio umschlossen. Davor befand sich die die eher wie ein Automatik-Schalthebel geformte Handbremse, bevor sich die Konsole vertikal erhob, um eine kleine Reihe von Schaltern und einen mittig angebrachten Tachometer zu beherbergen.

Noch weiter darüber befand sich jedoch das Glanzstück des Innenraums: eine prächtige (und übertrieben große) Himmelsuhr der bereits erwähnten Marke Hamilton – damals eine rein amerikanische Brand. Sie war mit diamantähnlichen Steinen besetzt, die in Anspielung auf das vom Space Age inspirierte Design funkelnde Sterne darstellen sollten. Kegelförmige Befestigungen (die sich im Falle eines Unfalls aufgrund ihrer spitz zulaufenden Form als tödlich hätten erweisen können) zierten die Einfassung der Uhr und dienten als kompassähnliche Fixpunkte für die vier Himmelrichtungen. Das dünn umrandete und minimalistische Lenkrad war mit blauem Leder umwickelt. Die zwei Speichen liefen leicht v-förmig in eine Huptaste hinein, die mit dem Namen des Fahrzeugs und der Darstellung eines imaginären „Astra-Zwergs“ kunstvoll verziert wurde.

Doch Richard Arbib war damit noch nicht fertig. Auch wenn es sich um ein wild aussehendes Konzeptfahrzeug handelte, wollte er es für den täglichen Gebrauch durchaus praktisch gestalten – vielleicht sogar noch stärker als im Metropolitan, auf dem es basierte. Zu diesem Zweck nutzte er den zusätzlichen Raum, um im und um den Innenraum herum Fächer zu schaffen, in die ein sechsteiliger maßgefertigtes Koffer-Set hineinpasste – passend zum Interieur ebenfalls mit blauem Leder bezogen.

Obwohl der Astra Gnome immer als Ausstellungsstück und nie als Serienmodell gedacht war, handelte es sich um ein voll funktionsfähiges Konzept, das es im September 1956 sogar auf den Titel der Zeitschrift Newsweek brachte. Er wurde damals in der Tat auch hie und da bewegt, erlitt aber dann das Schicksal vieler solcher Kreationen: eingelagert und vergessen zu werden. Erst in den 1980er-Jahren wurde der Astra-Gnome in den oberen Stockwerken eines New Yorker Hochhauses wiederentdeckt.

Der Wagen wurde anschließend komplett restauriert und ist derzeit im berühmten Petersen Automotive Museum in Los Angeles ausgestellt, wo er im Rahmen der Ausstellung „Eyes on the Road“ noch bis November dieses Jahres zu sehen sein wird. Normalerweise steht er jedoch im Metropolitan Pit Stop: einer familiengeführten Werkstatt mit kleinem Museum in North Hollywood, die mit Fug und Recht von sich behaupten kann, der einzige Betrieb auf der ganzen Welt zu sein, der sich ausschließlich der Wartung, Erhaltung und Restaurierung von Nash und Austin Metropolitan widmet. Ob es anderswo im Universum vielleicht doch noch ein ähnliches Unternehmen gibt, ist allerdings eine Frage, die vielleicht nur ein weitgereister Astra-Gnome beantworten kann...

Fotos: Petersen Automotive Museum