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Wann haben Sie zuletzt einen Alpine A220 Short Tail in den Alpen erlebt?

Was tun, wenn The ICE wegen der Schneemassen abgesagt werden muss? La Squadra-Gründer Jakub Pietrzak nahm uns kurzerhand zu einer Fahrt auf den Julierpass in seinem Alpine A220 „Short Tail“ mit - das Auto, das die Inspirationsquelle für den AGTZ Twin Tail von La Squadra und Zagato ist.

Sie kamen direkt von der Zentrale Zagatos in Mailand, wo sie neben einem Maßstabsmodell des künftigen AGTZ Twin Tail – der eine Hommage verkörpert – potenziellen Kunden und Freunden dieses Projekts vorgestellt wurden. Nun parken sie vor mir, platziert zwischen anderen Rallye- und Rennwagen der Klasse „Racing Legends“ im Rahmen von The International Concours of Elegance, The ICE in St. Moritz. Es handelt sich um die beiden Alpine-Le Mans-Autos, welche das Design der auf nur 19 Exemplare limitierten, bahnbrechenden Gestaltung namens AGTZ Twin Tail inspirierten – ein echter Shapeshifter.

Das erste der beiden ist lang und schlank, ausgerüstet mit einem aerodynamischen Konzept, das den Luftwiderstand auf ein Minimum reduziert und ganz den ursprünglichen Intentionen von Jean Rédélé und Amadeo Gordini entspricht. Nach einer ganzen Reihe von Erfolgen des A210 in der Kategorie „Effizienz-Index“ in Le Mans –  ein weiterer interessanter Long Tail-Alpine mit einem 130 PS starken 1,3-Liter-Motor –, entwickelte das Duo auch den Nachfolger. Mit einem mittig eingebauten 3,0-Liter-V8 war die Aufgabe des A220, nicht nur im Sinne der Wirtschaftlichkeit „den schnellsten Liter Benzin weltweit“ zu verkörpern, sondern es vielmehr mit Konkurrenten wie Ford und Ferrari 1969 im Kampf um höchste Ehren in Le Mans aufzunehmen.

Das zweite Auto wirkt da ein wenig anders. Die Frontpartie sieht in etwa gleich aus, aber das „abgehackte“ Heck verkürzt dessen Länge um 30 Zentimeter. Bewegliche aerodynamische Komponenten kamen noch hinzu. Außerdem ist das zweite Auto wesentlich muskulöser als sein Pendant – ausgerüstet mit wuchtigen, seitlich angebrachten Lufteinlässen und einem zusätzlichen Luftkanal auf der Motorhaube, wirkt es, als sei es für eine völlig verschiedene Aufgabe konzipiert worden. Doch auch dieses Auto startete seine Karriere als längerer, drahtig-schlanker Le Mans-Rennwagen. Doch warum weicht es auffällig von den ursprünglichen Designabsichten ab? Mit dieser Frage fängt diese Geschichte an, wirklich interessant zu werden.

Der Short Tail ist tatsächlich ein Nebenprodukt des Langstreckenmisserfolgs von  Rédélé und Gordini. Alle drei Autos, die für die 24 Stunden von Le Mans 1969 gemeldet worden waren, stellten sich als so unzuverlässig heraus, dass das Team sie komplett vor dem Finish aus dem Rennen nehmen musste. Man diskutierte rasche Lösungen wie man diesem Pech etwas abgewinnen konnte, um Kunden zu beweisen, dass Alpine im Motorsport immer noch eine Größe darstellte. Die Autos waren offenkundig nicht für Langstrecken mit höchstem Tempo gebaut worden, denn dort mussten sie in der Lage sein, Höchstleistungen über einen längeren Zeitraum zu produzieren – genau die Situation, in der der Inhouse-entwickelte V8 meistens explodierte. Eine Alternative musste gefunden werden.

Zum Glück weigerten sich Gordini wie Rédélé ihre Schöpfung als Totalausfall zu sehen. Wenn sich das Auto auf einem Kurs wie La Sarthe – der zu einem Drittel letztlich aus einer langen Geraden bestand – als nicht konkurrenzfähig erwies, dann wäre es vielleicht für Wettbewerbe geeigneter, bei denen es auf die Agilität ankam. Drei Wochen später hatten sie die Antwort gefunden. Der A220 Short Tail setzte sich gleich gegen mehrere Porsche beim Chamrousse-Bergrennen durch und erzielte Platz drei, gleichzeitig verhielt er sich auf engeren, kurvenreichen Rennkursen wie dem Circuit de Nogaro ebenfalls außergewöhnlich gut und kam als Zweiter durchs Ziel. Mit erhöhter Bodenfreiheit, verbesserter Kühlung und noch mehr Leuchten ging dieser Alpine auch bei der Rallye in den Cevennen an den Start. Dieses Abenteuer mag zwar wegen des unzuverlässigen V8 kein voller Erfolg gewesen sein, aber es wies dem Alpine-Team den Weg in eine neue Richtung. Auf den Rallye-Etappen sollte der A110 alsbald zu einer echten Motorsportikone reifen.

So viel zur Historie. Jetzt ist es endlich an der Zeit, diese Autos zu fahren. Ich kann es kaum erwarten, sie selbst zu erleben, aber Jakub sagt mir, dass wir nur mit dem Short Tail eine Ausfahrt machen können, weil nur dieser zugelassen ist und damit auf öffentlichen Straßen bewegt werden darf. Die Schweizer Polizei kennt bekanntlich keinen Spaß – ein Risiko, das wir nicht eingehen wollen. In welche Richtung wollen wir los? Der einzige Alpenpass, der unter diesen katastrophalen Verhältnissen noch offen ist: der Julier. Dann probieren wir aus, wie weit wir kommen, ehe uns der Schneesturm einen Strich durch die Rechnung macht. Das Auto war für Runden um eine Eisbahn vorbereitet worden, mit den Spikes sollten wir also ziemlich weit kommen, es sei denn, dass meinem Fahrer das Talent abhanden kommt.

Der kurze Sportauspuff erzeugt einen höllischen Lärm sowohl beim Starten wie beim Beschleunigen. Das Auto ist kompakt, das Cockpit eng. Wenn der Beifahrersitz nicht vom Fahrer versetzt wäre, würden sich unsere Schultern berühren. Ich spüre sofort, wie gut es auf Lenkbewegungen und Gasschübe reagiert. Schließlich ist dieses Auto ein Rennwagen, der für Bergrennen umgewandelt worden war: Bei den ersten beiden Haarnadelkurven dreht es mit der Lässigkeit einer Bergziege ein. Auf der verschneiten Bahn muss Jakub mit äußerster Konzentration fahren. Das Auto ist kurz und das meiste Gewicht befindet sich in der Mitte, deswegen fühlt es sich an, also könnten wir uns bei der kleinsten Unachtsamkeit drehen. Wenn wir andere Autos überholen, werden immer erhobene Daumen gereckt. Keine Frage, hier im Schnee zu fahren, ist dann doch wie der Silberstreif am Horizont, denn die ursprünglich vorgesehene Eisbahn steht leider nicht zur Verfügung.

Wir kommen an einer Bushaltestelle auf der Passhöhe zum Stehen und sind sofort von Menschen umzingelt, die unbedingt einen Blick auf dieses Auto werfen wollen. Der A220 hatte vielleicht ein wenig Pech mit seiner ursprünglich angedachten Motorsport-Kernkompetenz, aber mit seinem fast niedlichen, eigenwilligen Aussehen ist er ein Publikumsmagnet. Ein Feststellung, die kein geringerer als Jürgen Clauss macht - der berühmte Alpine-Sammler und Gründer des Alpine Lab war in St. Moritz, um das La Squadra Team zu unterstützen und uns auf dieser Bergtour zu begleiten.

Wird der AGTZ Twin Tail genauso erfolgreich sein? Wenn man von der Resonanz im Internet ausgeht, dann stehen die Chancen gut – darauf zählen Zagato und La Squadra. Wer weiß, vielleicht gelingt es uns auch, sie zu überzeugen, einen AGTZ nach Rennspezifikation zu konstruieren und damit in Le Mans anzutreten. Alle Welt liebt eine Comeback Story und die „verlorene“ Ehre des ursprünglichen Alpine-Teams wieder herzustellen, hätte den Nimbus von Rocky Balboas Comeback in der 14. Runde des ersten Films.

Fotos: Andresito6000