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Auf Alpiner Kunstsafari durchs Engadin mit dem Künstler Kenny Schachter

Er ist Künstler, Kunsthändler, Kurator – und einer der lautstärksten und umstrittensten Kritiker der Kunstwelt. Diesen Winter verbrachte Kenny Schachter fernab seines New Yorker Zuhauses in den Schweizer Alpen und unternahm mit Classic Driver einen Roadtrip mit seinem Honda Integra Type R.

Es ist ein strahlend heller, sonniger Tag im Engadin, als wir Kenny Schachter vor der Villa Flor in S- chanf treffen. Mit seiner kompromisslosen Freimütigkeit hat sich Kenny in der milliardenschweren Traumfabrik des zeitgenössischen Kunstmarkts mehr als eine Handvoll Feinde gemacht. Wie ein Truman Capote des neuen Jahrtausends – mit grauem Bürstenhaarschnitt, durchsichtiger Plexiglasbrille und seinem Markenzeichen, dem langärmeligen Batikshirt – wird Kenny von der internationalen White Cube-Hautevolée für seine ungefilterten, oft schmerzhaft ehrlichen Kolumnen auf Artnet gleichermaßen geliebt und gehasst. Wir stellen uns gerne vor, wie große Galeristen, Auktionatoren und Sammler bei ihren Luxus-Lunches wie manisch die neuesten, gerade erschienenen Essays durchscrollen und dabei zugleich hoffen und fürchten, ihren Namen irgendwo in Kennys neuestem Bewusstseinsfluss zu entdecken, der sich mit dem Narzissmus, der Hybris und der Gier der Kunstwelt auseinandersetzt.

Aber Kenny Schachter ist nicht nur ein bedeutender Künstler, Kritiker, Ausstellungskurator, Kunsthändler (der den Verkauf eines 30 Millionen Dollar teuren Picassos ausgehandelt hat) und langjähriger Professor an der Universität Zürich – er ist auch ein eingefleischter Autonarr mit einem Faible für die interessantesten Automobile. 2017 besuchten wir Kenny zum ersten Mal in seinem Büro im Londoner Kensington, wo sein originaler Martini Racing Porsche 911 RS und die Motorhaube eines ach-so-Achtziger-Jahre-blauen Renault 5 Turbo buchstäblich seinen Schreibtisch anstupsten. Inzwischen ist er in sein New Yorker Zuhause zurückgekehrt, wo er weitere Essays schrieb, sich weitere Feinde machte und unter anderem die hochgelobte Ausstellung „Unsafe at any Speed“ bei Morton Street Partners im Jahr 2022 kuratierte. Am 13. März wird seine neue Einzelausstellung „Art in the Age of Robotic Reproduction“ in der Jupiter Gallery in New York City eröffnet.

Freeze, Frieze!

Diesen Winter hat Kenny den Betonhimmel über dem Meat Packing District gegen den Schnee und die Sonne der Schweizer Alpen eingetauscht. Denn seit Bruno Bischofberger 1963 eine Filiale seiner Zürcher Galerie in St. Moritz eröffnete, ist das Engadin im Winter zu einem Zentrum der globalen Kunstszene geworden, mit unzähligen kleinen Kunstshows, Ausstellungen und Pop-up-Galerien – eine alpine Art Basel, ein Frieze Fair unter Null für den pelzbedeckten Winterjetset, sozusagen. Glücklicherweise war Kenny bereit, uns während einer eintägigen Engadiner Kunstexpedition einige seiner Lieblingsorte zu zeigen. Also sprangen wir in seinen weißen 1998er Honda Integra Type R und kamen sofort ins Gespräch.

Als Künstler, Kurator, Kritiker und Händler bist du im Grunde ein Ein-Mann-Botschafter der gesamten Kunstwelt. Aber welche Beziehung hast du zu Autos?

Autos waren meine Einstiegsdroge zur Kunst. Ich hatte bis zu meinem 20. Lebensjahr keine Ahnung von der Existenz der Kunstwelt. Ich ging nie in Galerien oder Museen, bis ich an der Universität war und den kommerziellen Kunstbetrieb kennenlernte. Autos waren wirklich das Erste, was mich ästhetisch anzog. Ich war zwar nie an Autorennen interessiert, aber das Industriedesign und die außergewöhnlichen Formen haben mich verführt. Wenn man einmal eine solche Beziehung hat, verschwindet sie nie wieder. Wenn ich könnte, hätte ich ein Auto in meinem Schlafzimmer. Ich liebe einfach ihren Geruch, ich liebe die Linien, die Formen, einfach jeden Aspekt.

Kunst und Sammlerautos ziehen beide eine ähnliche, wohlhabende und ästhetisch sensible Kundschaft an. Doch diese beiden Welten überschneiden sich selten. Manchmal scheint es fast eine Glaswand zwischen der Kunst- und der Autoblase zu geben. Warum ist das so?

Ich selbst habe eine sehr hierarchiefreie, demokratische Herangehensweise an alles. Ich kann nicht zwischen einem Stuhl, einer Skulptur, einer Gabel, einem Löffel oder einem Auto unterscheiden. Alles, was mit Liebe und Leidenschaft gemacht wird, kann außergewöhnlich sein. Viele Künstler haben sich der Form und dem Konzept von Autos angenommen. Die französische Künstlerin Sonia Delaunay-Terk hat in den 1920er Jahren diese außergewöhnlichen Autos entworfen. In den 1950er Jahren war es der italienische Künstler Salvatore Scarpitta, der Rennwagen baute. Es gab Carlo Mollino, Chris Burden, Richard Prince, Judy Chicago, Sarah Lucas – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Wie im Kino waren Autos ein Symbol der Freiheit und Unabhängigkeit. Aber die jüngeren Menschen von heute suchen nach anderen Wegen der emotionalen Erfüllung jenseits des Besitzes von Gemälden und Skulpturen – und ich fürchte, bei Autos ist es noch schlimmer.

The Stable, S-chanf

Wir erreichen unseren ersten Halt und Fritz Steinhart begrüßt uns zu einem Rundgang durch The Stable in S-chanf. Der Ausstellungsraum befindet sich in einer alten Scheune, die typisch für die landwirtschaftliche Vergangenheit des Engadins ist. Der moderne White-Cube-Raum im Untergeschoss der Galerie zeigt derzeit eine Reihe ausdrucksstarker, expressionistischer Gemälde der Londoner Künstlerin Sophie von Hellermann. Der Stall, der dem Veranstaltungsort seinen Namen gibt – ein altes Gebäude aus Stein und Holzplanken, durch deren Zwischenräume helle Sonnenstrahlen den Raum schraffieren – zeigt eine Installation des Schweizer Künstlers Baldassarre Ruspoli, welche die mystische Atmosphäre des Raums mit einem polierten Edelstahlring und einer Reihe subtiler Klänge verstärkt. „Diese hybride Vorstellung von drinnen und draußen “, sagt Kenny auf dem Weg zurück zum Auto, „dieser minimalste Schutz vor den Elementen – ich glaube, es gibt weltweit keinen anderen Kunstraum wie diesen.“

Du sagtest vorhin, junge Leute hätten kein Interesse mehr an Autos. Wer trägt die Schuld daran?

Wenn man einen BMW oder Porsche aus den 1970er Jahren neben ein Auto von heute stellt, sieht man, wie aufgebläht diese geworden sind. Besonders SUVs gelten als unnötig verschwenderisch und umweltschädlich. Aber Elektroautos sind nicht die Allzwecklösung. Die Batterien haben eine Haltbarkeit von fünf Minuten, und man muss die Unmengen an Edelmetallen bedenken, die für ihren Bau abgebaut werden. Wenn die Menschen nur kleinere Autos mit kleineren Motoren fahren würden und man die Klassiker aus den 1960er, 1970er, 1980er und 1990er Jahren erhalten würde  wäre das enorm besser für die Umwelt. Für mich endet das gelungene Autodesign übrigens mit den 1990er Jahren, danach werden sie zu groß und ich verliere das Interesse.

Anstatt also Luxus-SUVs zu fahren, sollten wir zu den bescheideneren und einfacheren Autos der Vergangenheit zurückkehren?

Es ist, wie Oscar Wilde einmal sagte: Die Menschen kennen von allem den Preis, aber von nichts den Wert. Das gilt für Kunst, Architektur und auch für Autos. Für mich ist ein klassischer Mini eine der größten Erfindungen in der Geschichte der Technik und des Designs. Es war sowohl bei den Reichen als auch bei Menschen mit wesentlich geringeren finanziellen Mitteln begehrt. Es war erschwinglich für fast jeder und es blieb eines der erfolgreichsten und außergewöhnlichsten Autos aller Zeiten. Es macht Spaß, so etwas zu fahren – Sie können einen Mini immer noch für unter 10.000 Dollar bekommen.

Haben wir verlernt, den wahren, analogen Fahrspaß zu genießen?

Es heißt, die beste Diebstahlsicherung für ein Auto in Amerika sei ein manuelles Getriebe. Das ist irgendwie tragisch. Ich kann kein Auto mit Automatikgetriebe fahren, meine Gedanken beginnen abzuschweifen. Ich bin eine gefährliche Person am Steuer, selbst in den besten Zeiten. Aber ich liebe einfach das gefühlsmäßige, körperliche Erlebnis beim Autofahren. Aber ich möchte nicht einen Stundenkilometer schneller fahren, indem ich einen Schalter am Lenkrad umlege. Ich möchte mich einbringen, ich möchte eine Verbindung zur Straße und zum Auto spüren.

Muzeum Susch

Nach einer rasanten Fahrt auf kurvenreichen Straßen entlang des Flusses Inn erreichen wir den Eingang des Unterengadins. Das Muzeum Susch, das von der polnischen Kunstsammlerin und Philanthropin Grażyna Kulczyk auf dem Gelände eines ländlichen Klosters und einer Brauerei erbaut und 2019 eröffnet wurde, ist eines der interessantesten und lohnendsten Ziele für zeitgenössische Kunst im Engadin und in den Schweizer Alpen: Während die Architektur einen labyrinthartigen Weg durch das Gebäude schafft und Einblicke in die geologische Vergangenheit des Bauwerks und überraschende Ausblicke auf die umliegenden Berge ermöglicht, richtet das Programm des Museums den Fokus auf weniger bekannte, osteuropäische Künstlerinnen der 1960er bis 1980er Jahre. Der kuratorische Berater Maciek Chorazak führt uns durch die aktuellen Ausstellungen, die der ungarischen abstrakten Künstlerin Ilona Keserü und den experimentellen tschechischen Fotografen Běla Kolářová und Emila Medková gewidmet sind, bevor wir uns wieder auf den Weg machen – und unser Gespräch schnell wieder aufnehmen.

„Es ist faszinierend, wie das Gebäude mit der Region verbunden ist “, sagt Kenny auf dem Weg zurück zum Auto. „Die freiliegenden Felsen, das Wasser, das in die Wände sickert. Man sieht Elemente der Landschaft, unter der Landschaft, innen und außen, unter und über der Erde, alle verflechten sich. Es ist ein Architekturprojekt, das die Landschaft und die lokale Kultur einbezieht und das Gebäude bewahrt. Es geht um den Erhalt und darum, die Arbeit unterschätzter, unterrepräsentierter Künstler auszustellen. Die Arbeiten dieser mir unbekannten, 94 -jährigen ungarischen Künstlerin zu sehen, war eine Offenbarung-“

Du schreibst über Kunst, sind Ausstellungskurator und Künstler. Aber siehst du dich auch als Kunst- und Autosammler?

Ich bin eher ein Hortender, ein Hoarder. Ich habe in den letzten 20 Jahren über 150 Autos besessen. Ich besitze gerne Kunst und Autos und andere Dinge und ich habe viel Zeit damit verbracht, sie in allen möglichen Lichtverhältnissen, Winkeln und aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Aber ich lasse auch los – jedes Jahr veranstalte ich eine Auktion, bei der ich Sachen ohne Mindestgebot verkaufe. Ich liebe es, den Status quo der Kunstwelt zu provozieren. Ich hatte Autos und habe sie im Verkaufsraum von Sotheby’s inmitten einer Gemäldesammlung platziert. Aber ich hatte einmal eine schreckliche Erfahrung mit einem Porsche RSR: Jemand behauptete, mein Auto sei eine Fälschung, aber das war es nicht. Es war im Grunde ein Ausdruck von Gier und Erpressung. Am Ende konnte ich beweisen, dass mein Porsche echt war, aber diese Erfahrung hat mich lange Zeit von Autos abgeschreckt.

Doch dann hat dich das Fieber wieder gepackt – und du hast dir nun einen Honda Integra Type R als Alltagsauto fürs Engadin ausgesucht . Wie kam es dazu?

Letztes Jahr trug ich all diese Skulpturen für eine Museumsausstellung in Österreich, als mir ist eine Bandscheibe im Rücken platzte. Ich fiel auf die Straße und war vorübergehend gelähmt. Ich wurde notoperiert und konnte drei Wochen lang nicht laufen. Als ich aus dem OP kam, konnte ich mein Bein nicht bewegen – aber meinen Fuß. Ich war so erleichtert! Ich wusste, dass ich noch in der Lage war, Gas zu geben! Und ich begann sofort, von meinem Krankenhausbett aus nach einem neuen Auto zu suchen. Ich liebe einfach rohe, leichte Sportwagen. Ich habe einen Porsche 911 2.7 RS besessen – meiner Meinung nach eines der außergewöhnlichsten Fahrzeuge, die je gebaut wurden. Ich hatte auch einen 964 RS und einen 993 RS. Unter dem Reifen eines 964 RS Club Sport kann man eine Zigarettenkippe spüren und ich suchte nach demselben Erlebnis, ohne dieselben Mittel aufwenden zu müssen. Also begann ich, mich über Hondas Type R, den Civic und den Integra zu informieren.

Was macht diese Autos so interessant?

Sie erfüllen alle Anforderungen, die ich liebe. Sie sind Homologationsautos in kleinem Maßstab, die für die Rennstrecke konstruiert sind. Es gibt drei Versionen des Integra Type R, und die japanische hat die höchste Leistung. Also fand und kaufte ich ein wahres Einhorn – einen frisch importierten japanischen Integra Type R aus erster Hand, mit 42.000 Meilen auf dem Tacho, Wartungshistorie beim Händler, ohne Modifikationen. Nach einigen Monaten Physiotherapie und Reha konnte ich wieder Auto fahren. Jetzt macht mir das Fahren mit diesem Integra mehr Spaß als mit vielen Porsche zuvor. Ich glaube, ich habe noch nie so viel Freude an etwas gehabt. Im Grunde ist es ein Rennwagen für die Straße.

Du bist also wegen der Alpenstraßen ins Engadin gekommen? Und nicht wegen der schönen Landschaft?

Das Engadin ist ein magischer Ort – die Ästhetik, die Landschaft, die Architektur und die Berge gehören zu den außergewöhnlichsten der Welt. Aber wie der Komiker Fran Lebowitz einmal sagte: Ich will nicht zurück zur Natur, ich will zurück ins Hotel. Ich bin genauso. Ich scheue die Sonne, kann den Strand nicht ertragen und der einzige Sport, den ich betreibe, ist Vollkontakt-Kunst. Früher bin ich Snowboard gefahren, aber jetzt habe ich zu viel Angst. Gib mir vier Balken WLAN und ich bin angstfrei. Warum sollte ich also im Winter einen renntauglichen Honda Type R mit Sperrdifferenzial in den Alpen fahren wollen? Es ergibt überhaupt keinen rationalen Sinn, aber einige der größten Ziele im Leben werden ohne jegliche Vorsicht oder Vernunft verfolgt. Ein Grund mehr, es zu tun! Ich habe Winterreifen draufgezogen und es macht riesigen Spaß!

Die Schweiz verfügt über einige der erstaunlichsten Autosammlungen und bei Veranstaltungen wie The ICE können Sie einige dieser unbezahlbaren Autos auf dem zugefrorenen See von St. Moritz fahren sehen.

Ich interessiere mich nicht für diese Multi-Multi-Multi- Millionen-Dollar-Autos, die den Großteil des Jahres in Sammlungen versteckt sind. Natürlich liebe ich einen Porsche 906, aber Autos sind zum Fahren da. Bald wird bei einer Auktion dieser erstaunliche Jaguar D-Type versteigert. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen einem Picasso und einem D-Type, sie sind einfach der Gipfel menschlicher Leistungsfähigkeit. Aber andererseits: für 30.000 Dollar habe ich einen Honda Integra und dieses Auto bereitet mir genauso viel Freude, wie jedes unbezahlbare Traumauto es könnte – vielleicht noch mehr. Du kannst großartige Kunst für 500 Dollar kaufen, du kannst großartige Autos für 10.000 bis 40.000 Dollar kaufen, je nachdem, was dich interessiert. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass großartige Dinge viel Geld kosten müssen. Das ist absolut falsch!

Stalla Madulain

Vor etwas mehr als 10 Jahren entdeckten Gian Tumasch Appenzeller und Chasper Schmidlin in Madulain eine über 500 Jahre alte Scheune – und beschloss, sie in eine Galerie umzuwandeln. Nach einer sorgfältigen Restaurierung zeigt und verkauft La Stalla zeitgenössische Kunst, hauptsächlich von lokalen Künstlern oder solchen, die sich in dem Raum oder während ihres Aufenthalts im Engadin inspirieren ließen. Gian führt uns freundlicherweise durch die kaleidoskopische Gruppenausstellung, die derzeit das 10-jährige Jubiläum der Galerie feiert und lokale, aber auch international bekannte Künstler wie Rolf Sachs oder Not Vital umfasst.

Im Januar und Februar St. Moritz und das Engadin sind nicht nur ein Paradies für die Autokultur – es ist auch ein Magnet für Kunstliebhaber. Manchmal fühlt es sich wie ein Kunst-Themenpark im Schnee, weil es so viele Galerieeröffnungen und Ausstellungen gibt. Was zieht das internationale Kunstpublikum hierher?

Die Kunstwelt wird von einer Sache angezogen. Vergiss alle Vortäuschung. Vergiss all das Gerede über Ästhetik und bildende Kunst und das Streben nach Transzendenz und all diesem Kauderwelsch. Lassen Sie es uns ganz einfach sagen: Es geht ums Geld. Aber natürlich sind die Galerien auch wegen der Menschen hier – und die Menschen sind wunderbar. Das Engadin ist eine 100 Kilometer lange Winterwunderwelt auf 1.800 Metern über dem Meer, aber die Konzentration an Kunstgalerien und Museen ist hier höher als in jedem anderen Ferienort auf der ganzen Welt.

Welche Shows und Ausstellungen haben dich diesen Winter am meisten beeindruckt?

Karsten Greve zeigt diesen absolut faszinierenden deutschen Künstler namens WOLS. Er war Fotograf, Maler, Schriftsteller und Musiker. Um über die Runden zu kommen, kaufte er diese alten Sportwagen, reparierte sie und verkaufte sie wieder. Für mich ist das die perfekte Vorstellung menschlicher Kreativität und Erfahrung, bei der man einfach all das miteinander verbinden kann, was einen begeistert. Thaddaeus Ropac macht zudem die erste Pop-up-Ausstellung seiner Karriere und zeigt Skulpturen des Schweizer Künstlers Hans Josephson in St. Moritz.

Villa Flor, S-chanf

Im Engadin kann sich sogar ein Hotel manchmal in eine richtige Kunstgalerie verwandeln. Nach unserer schwungvollen Fahrt kehren wir zur Villa Flor in S- chanf zurück, wo die ehemalige Skilehrerin und Besitzerin Ladina Florineth Kenny mit einem Lächeln begrüsst. Das jahrhundertealte Haus vereint kunstvolle Einrichtung mit zeitgenössischer Architektur – und einer Kunstsammlung, die im Engadin und darüber hinaus einzigartig ist. Namhafte Künstler wie Julian Schnabel, Philipp Keel und Nathalie Du Pasquier haben in der Villa Flor übernachtet und sich vom Charme und der Einzigartigkeit des Hauses inspirieren lassen. „Es gibt ein Gemälde von Julian Schnabel, bei dem Ladina ein Loch in die Decke schneiden musste, um das Gemälde in die Wand einzufügen“, sagt Kenny. „Das ist eine der coolsten Kunstwerk-Installationen, die ich je gesehen habe.“ In diesem Winter war in dem Sieben-Zimmer-Hotel eine wunderbare Ausstellung zu sehen, die der Freundschaft zwischen dem Schweizer Fotografen Ernst Scheidegger und dem Bildhauer Alberto Giacometti gewidmet war. „In dieser intimen Umgebung kam es mir vor, als würde ich Giacometti bei einem Atelierbesuch begleiten“ , sagt Kenny, als wir wieder ins Auto steigen. „Es war unglaublich.“

Kenny, wir haben da einen Verdacht: Könnte es sein, dass das Thema unserer Interessen – ob wir uns für Kunst oder Autos oder etwas ganz anderes interessieren – gar nicht so wichtig ist wie die Kontakte, die wir durch unsere Passionen knüpfen?

Wir sollten alle aufhören, die Leute in Schubladen zu stecken: Du bist nur ein Automensch, du bist dies oder du bist das. Wir sollten keine Grenzen um verschiedene Beschäftigungen ziehen, sondern aufgeschlossen sein – es geht im Leben darum zu lernen, Leute kennenzulernen und neugierig zu bleiben. Sich zu verstehen und die Gesellschaft und Erfahrungen des anderen zu genießen. Ich war nie ein großer Architekturfan, aber ich freundete mich mit Zaha Hadid an, weil ich ihre Leistungen als Mensch wirklich schätzte. Und wir wurden schließlich enge Freunde und bereisten gemeinsam die ganze Welt. Ich war mehr an ihrer Lebensgeschichte interessiert und wie sie große Widrigkeiten überwand, als an ihren Bauten. Und tatsächlich, Zaha hat zwei Autos und ein Boot für mich entworfen. Autos und Boote waren ihr völlig egal, aber die Projekte basierten auf unserer Beziehung. Und es war eine intellektuelle Übung für sie. Auch im Engadin habe ich mich mit Menschen über Autos neu verständigt – so wie mit Andrea Klainguti, der nicht nur Fotograf, sondern auch ein großartiger Rallyefahrer ist und dessen Familiengeschichte mit Jahrhunderten Engadiner Geschichte verwoben ist. Oder mit Richard Gauntlett, dem ich vor 15 Jahren einen Delta Integrale verkauft habe und der jetzt hier oben dieses Tankstellen-Café hat, das Meyers Manx Café. Autos sind nur ein Verbindungspunkt im Spektrum menschlicher Beziehungen. Auch wenn wir nicht 100% gleichgesinnt sind, können wir immer übereinstimmende menschliche Interessen finden. Und das gibt mir Hoffnung.

Fotos: Andrea Klainguti für Classic Driver © 2025

We highly recommend you to visit Kenny Schachter website for an overview of his work, exhibitions as well as his latest writing. His new solo exhibition 'Art in the Age of Robotic Reproduction' will be on display at Jupiter Gallery in New York City from 13 March through April 2025.