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Wie könnten wir jemals die Geschichte der mächtigen Ferrari-BB-Rennwagen vergessen?

Ferraris legendärer Berlinetta Boxer wird dieses Jahr 50 Jahre alt. Der Mythos wäre nicht komplett ohne die von Luigi Chinetti entwickelten Rennversionen, die von seinem North American Racing Team (NART) von Daytona über Sebring bis Le Mans eingesetzt wurden.

Ohne den 1901 in Italien geborenen und während des Zweiten Weltkrieges in die USA emigrierten Rennfahrer und Automobilhändler Luigi Chinetti wäre die Geschichte des Motorsports und die Entwicklung der jungen Marke Ferrari in Amerika wohl anders verlaufen. Wie regelmäßige Classic Driver-Leser wissen, wurde der Emigrant, dessen Freundschaft mit Enzo Ferrari auf deren gemeinsame Zeit bei Alfa Romeo zurückging, erster Importeur des Cavallino Rampante in den Vereinigten Staaten. Wo er 1958 auch sein North American Racing Team (N.A.R.T.) gründete, dessen Erfolge dann maßgeblich zur schnell steigenden Reputation der Marke aus Maranello beitrugen. 

Wie Danielle Buzzonetti in seinem definitiven Buch über den 512BB mit dem Titel Berlinetta Boxer – the Legend’ betont, wäre Ferraris Antwort auf den Lamborghini Miura vielleicht nur ein zwar verdammt schneller, die Straßen der Kontinente zermalmender Cruiser geblieben, hätte Chinetti nicht daran geglaubt, aus ihm auch einen respektablen Rennwagen machen zu können.

Als 12-facher Le-Mans-Teilnehmer und dreifacher Gewinner des 24-Stunden-Rennens sah der Italo-Amerikaner das Potenzial. Und so war nur ein Jahr nach der Markteinführung des Serienmodells als Nachfolger der verdienstvollen, aber in die Jahre gekommenen Daytona des Teams der erste NART-365 GT4 BB einsatzbereit. 

Endete das Debüt im Februar 1975 bei den 24 Stunden von Daytona und mit den beiden Franzosen Claude Ballot-Lena und Alain Cudini am Steuer noch mit einem Ausfall wegen Aufhängungsschaden, errangen einen Monat später bei den 12 Stunden von Sebring Milt Minter (USA) und Eppie Witzes (CDN) nach 215 Runden Platz sechs. In den folgenden Jahren (bis 1977) rüstete NART seine Renn-BB nach und nach auf und verbesserte sie, ehe Ferrari selbst das Potenzial einer nun direkt in Italien entwickelten Rennvariante erkannte. 

Zunächst modifizierte die „Kundendienstabteilung“ 1978 vier Autos für den Einsatz von Privatfahrern. Sie erhielten größere Radhäuser für die Aufnahme deutlich fetterer Reifen/Felgen, einen Dachspoiler und sogar einen vom 312 T2-Formel 1 abgeleiteten Heckflügel. Mit einer auf 440 PS gesteigerten Leistung und um 300 Kilo auf 1,2 Tonnen reduziertem Gewicht wirkten diese ersten werksseitig entwickelten BB LM auf dem Papier wettbewerbsfähig – doch keiner der vier für die 24 Stunden von Le Mans von 1978 in der IMSA-GTX-Klasse gemeldeten Wagen – zwei unter Nennung des französischen Ferrari-Importeurs Charles Pozzi und je einer von Chinetti selbst sowie der Ecurie Francorchamps – sah die Zielflagge.

Am längsten hielt der 512 BB von Pozzi/JMS Racing mit Andruet/Dini durch, ehe nach 22 Stunden das Aus mit Motorschaden kam. Der zweite rot/weiße-Ferrari mit Ballot-Lena/Lafosse wurde in der 18. Stunde Opfer einer Kollision, bei Chinettis eigenem Auto quittierte nach 19 Stunden der Motor den Dienst und für den gelben BB des belgischen Teams von „Beurlys“ (Jean Blaton) war mit Getriebeschaden schon nach fünf Stunden Feierabend. 

Ferrari ließ sich davon nicht entmutigen und machte sich daran, den BB radikal zu modifizieren. Pininfarina entwarf dazu eine neue, im Windkanal entwickelte Karosserie, die es nunmehr unmöglich machte, das Auto unter der Haut noch als straßentauglichen BB zu erkennen. Die Klappscheinwerfer wichen in den Frontspoiler integrierten Rundscheinwerfern, das Heck wurde um 41 Zentimeter verlängert und von einem großen Spoiler gekrönt. Zugleich wich die serienmäßige Dreifach-Vergaseranlage einer Benzineinspritzung (die später auch in den Straßenfahrzeugen Einzug hielt, daher die Typenbezeichnung „BBi“).

Für die Saison 1979 entstanden neun Fahrzeuge, gefolgt von 16 weiteren in den Jahren 1980 bis 82. Aber erst 1981 glänzte ein BB LM wirklich in dem Rennen, für das er entwickelt worden war. In diesem Jahr standen nicht weniger als fünf Exemplare an der Sarthe in der Startaufstellung, darunter auch der allerletzte gebaute BB LM, der vom Privatfahrer Simon Phillips (GB) zusammen mit Mike Salmon (GB) und Steve Earle (USA) gefahren wurde, aber nach zwölf Stunden mit Getriebeschaden ausfiel.

Drei weitere BB mussten ebenfalls aufgeben (darunter das NART-Auto und der von der Scuderia Bellancauto optisch stark modifizierte Wagen), doch das Auto der Équipe Charles Pozzi S.A. für Andruet/Ballot-Lena/Regout lief auf Platz fünf und Sieger der IMSAGTX-Klasse ein. Abgerundet wurde das famose Ferrari-Ergebnis durch den neunten Platz des vom belgischen Team Rennod Racing genannten BB für das belgische Trio Dieudonné/Xhenceval und Libert. 

Alles in allem kann man die Transformation des Ferrari Berlinetta Boxer vom Hochgeschwindigkeits-Cruiser zur Rennmaschine also nicht als glorreichen Erfolg bezeichnen. Vielleicht hätte da nur ein Turbomotor geholfen. Aber er war auch kein völliger Flop. Und wäre Chinetti nicht inspiriert gewesen, ihm überhaupt eine Chance zu geben, wäre die Ferrari-Motorsport-Geschichte der 1970er- und 1980er-Jahren sicherlich weitaus weniger bunt verlaufen. 

Berlinetta Boxer – The Legend

Das Buch 'Berlinetta Boxer - The Legend' ist im CD Shop erhältlich, während der perfekte Ferrari Berlinetta Boxer im Classic Driver Markt auf Sie wartet. Wir empfehlen, sich zu beeilen, denn im Herbst wird es noch eine FuoriConcorso-Tour zum BB-Jubiläum geben. Um es in den Worten, die jedem Vergaser-BB-Besitzer bekannt vorkommen werden, auszudrücken: stay tuned...

 

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Photos from the book by Andrea Luzardi