Eine neue Arena
Im Motorsport dreht sich alles um neue Herausforderungen, und Anfang der 1950er-Jahre gingen Enzo Ferrari und seiner Rennsportfirma mit Sitz in Maranello die Möglichkeiten aus, ihr Können auf die Probe zu stellen. Obwohl das Unternehmen noch relativ jung war, hatte es bereits die Mille Miglia, die Targa Florio, Le Mans und mehrere Grand Prix gewonnen. Als nun die Nachricht von einem neuen Langstreckenrennen in Mexiko Italien erreichte, das europäische Top-Events im Vergleich wie ein Spaziergang an der italienischen Riviera aussehen ließ, schickte „il Commendatore“ zwei Ferrari 212 Inter nach Mittelamerika. Mit dem Ziel, 1951 bei der zweiten Ausgabe der Carrera Panamericana den Sieg zu erringen.
Das Starterfeld war ein Schmelztiegel aus Talenten und hochmodernen Modellen, mit Teams der „Big Three“ aus Detroit und der Titanen der europäischen Industrie. Doch auch die besten Fahrer der Welt wollten ihre Überlegenheit bei dem einwöchigen und über 2.200 Meilen gehenden Marathonrennen beweisen. Angespornt durch den Reiz des beträchtlichen, staatlich finanzierten Preistopfs und der lockenden Werbeeffekte auf amerikanische Neuwagenkunden erwartete Ferrari von Piero Taruffi (mit Luigi Chinetti) und Alberto Ascari (mit Luigi Villoresi) nichts Geringeres als einen Sieg. Und den setzten die beiden Fahrerpaarungen vor geschätzt 200.000 am Rande der Strecke stehenden Zuschauern dann auch pflichtgemäß um.
Im folgenden Jahr war Ferrari fest entschlossen, den Sieg zu wiederholen – und so wurde der Ferrari 340 Mexico geboren. Im Vergleich zu seinem von einem 2,5-Liter-Colombo-V12 angetriebenen Vorgänger war der 340 Mexico ein völlig anderes Biest. Denn im Bug saß ein langhubiger 4,1-Liter-V12 aus Vollaluminium und mit einer obenliegenden Nockenwelle pro Zylinderreihe, von Aurelio Lampredi entworfen und vom Motor des siegreichen Formel-1-Monoposto 375 abgeleitet. Mit 276 PS waren diese tanzenden Pferde die leistungsstärksten Fahrzeuge, die 1952 bei der Carrera Panamericana an den Start gingen, was uns zu den beiden Hauptdarstellern der heutigen Titelstory führt.
1952 Ferrari 340 Mexico Berlinetta, Chassis 0226 AT
Unser erstes Modell ist das Coupé mit der Chassisnummer 0226 AT, eine von nur drei 340 Mexico Berlinettas. Der 340 Mexico wurde vom jungen Giovanni Michelotti während seiner Zeit bei Vignale entworfen und zeigte mit seinem großzügigen Chromschmuck und den dezenten Heckflossen bereits amerikanische Einflüsse. Während ein über die gesamte Breite reichender, auf der Haube montierter Fliegenfänger und vertikale Lüftungsschlitze an den Türen, die kalte Luft an die Hinterräder leiten sollten, seinen zweckgebundenen Charakter unterstrichen.
Wie der Name schon andeutet, erhielt der 340 Mexico zahlreiche Designelemente, die ihm einen Vorsprung vor der Konkurrenz bei der Carrera verschaffen sollten. Ein 150-Liter-Langstreckentank, ein verlängerter fünfter Gang, Vierfachvergaser, ein erleichtertes Rohrrahmen-Chassis und eine verstärkte Hinterachse wurden alle mit der einzigen Absicht eingebaut, den 340 Mexico Stunde für Stunde und Tag für Tag mit voller Geschwindigkeit auf Straßen von fragwürdiger Qualität fahren zu lassen. Unabhängig von Höhe, Wetter oder der die Straße kreuzenden Tierwelt.
Im September 1952 fertiggestellt, rollte Chassis Nummer 0226 AT im November mit dem Schriftzug „Industrias 1-2-3“ an die Startlinie, wobei die am Bug angebrachtemn Worte „No Hay Dos“ passenderweise „nichts Besseres“ bedeuteten. Mit Alberto Ascari am Steuer standen die Chancen für Ferrari gut, doch diese dritte Ausgabe des Carrera hatte in Gestalt des Mercedes 300 SL eine beeindruckende Konkurrenz angezogen – die am Ende einen Doppelsieg vor dem 340 Mexiko von Chinetti/Lucas landen sollte.
Leider war der Erfolg den Italienern diesmal also nicht vergönnt. Nach einem glänzenden Start, bei dem Ascari auf den ersten 50 Meilen neun Autos überholte, wurde sein Rennen durch eine Kollision mit einem Felsvorsprung vorzeitig beendet. Nach erfolgter Reparatur in Italien kreuzte 0226 AT den Weg eines jungen Hühnerzüchters aus Texas namens Carroll Shelby (später als Le-Mans-Sieger und Vater der Cobra weltberühmt), der damit beim Juli-Rennen der SCCA-Serie von 1953 den zweiten Platz belegte. Bevor Luigi Chinetti das Auto kaufte, nahm es an drei weiteren SCCA-Veranstaltungen teil. Danach blieb der Ferrari über vier Jahrzehnte in den USA und wechselte dort zwischen verschiedenen namhaften Ferrari-Sammlungen.
Heute präsentiert sich diese 340 Mexico Berlinetta in hervorragendem Zustand, dank einer Restaurierung durch Motion Products Inc., einem preisgekrönten Spezialisten für die Restaurierung italienischer Klassiker aus Wisconsin, bei der keine Kosten gescheut wurden. Seit seiner Fertigstellung wurde er nur zweimal der Öffentlichkeit gezeigt: beim Cavallino Classic 2020 in Palm Beach, wo er den Ferrari Competition Cup gewann, und beim Pebble Beach Concours d’Elegance 2021, wo er sich den Titel „Best in Class“ in der Kategorie „Carrera Panamericana“ sicherte. Dieser Matching Numbers-Ferrari ist ein wunderschönes Stück aus Maranellos Rennsportvergangenheit.
1952 Ferrari 340 Mexico Spyder, Chassis 0228 AT
Die Geschichte des 340 Mexico ist jedoch noch lange nicht zu Ende, denn neben den drei Berlinettas baute Ferrari auch noch einen 340 Mexico Spyder, der nun bei Girardo & Co. erhältlich ist. Wie seine Coupé-Geschwister verfügte auch das Fahrgestell mit der Nummer 0228 AT über das gleiche 4,1-Liter-V12-Herz und ein von Michelotti entworfenes Design, wenn auch mit grenzenloser Kopffreiheit.
Auf dem Papier wurde dieser 340 Mexico Spyder für den Sieg gebaut, aber sein Fahrer bei der Carrera Panamericana war nicht der archetypische Rennfahrer der 1950er-Jahre. Mit über 1,82 m und einem Gewicht von fast 113 kg war William „Bill“ Spear kein typischer Ferrari-Pilot. Enzo erkannte in dem Privatfahrer aus Connecticut jedoch sowohl einen geschätzten Kunden als auch einen talentierten Fahrer, der bereits bei den 24 Stunden von Le Mans und den 12 Stunden von Sebring auf dem Podium gestanden hatte.
Nachdem der Spyder zunächst auf das gleiche Schiff wie die drei Berlinettas verladen worden war, wurden Chassisnummer 0228 AT und Spear in die Teilnehmerliste für die Carrera Panamericana von 1952 aufgenommen. Doch das mexikanische Langstreckenrennen sollte dann nicht das Wettbewerbsdebüt für diesen wunderschönen Vignale Spyder sein. Denn nachdem Ferrari das Auto aus unbekannten Gründen und quasi in letzter Minute zurückgezogen hatte, feierte es statt in Mexiko 1953 beim SCCA-Lauf auf der MacDill Air Force Base in Tampa, Florida sein Debüt. Nun schon in den von Spears gewählten Farben: Königsblau mit weißer Motorhaube und weißem Kofferraumdeckel. Da für das Sechsstunden-Rennen zwei Fahrer erforderlich waren, gewann Spear den 26-jährigen Phil Hill – der später erster amerikanischer Formel-1-Weltmeister wurde – als zweiten Piloten. Das Duo lieferte in MacDill ein großartiges Rennen ab, wurde Zweiter im Gesamtklassement und verpasste den Sieg aufgrund mehrerer gebrochener Radspeichen nur denkbar knapp.
Obwohl er einen Ferrari 340 MM Spyder in seinen Fuhrpark aufnahm, entschied sich Spear, bei den nächsten SCCA-Läufen in Bergstrom, Pebble Beach, Bridgehampton und Lockbourne erneut mit Chassisnummer 0228 AT anzutreten – und errang dabei zwei Siege und zwei weitere Podestplätze. Dank ebenso beeindruckender Ergebnisse am Steuer seines 340 MM Spyder wurde Spear 1953 zum SCCA National Sports Car Champion gekrönt und stellte damit sowohl sein fahrerisches Können als auch die Performance dieses 340 Mexico Spyder unter Beweis. Nach Spears erwarb der auf europäische Sportwagen spezialisierte Händler Preston Gray aus Massachusetts den Wagen. Er ließ ihn in Kanariengelb lackieren und setzte die Erfolgsserie fort. Noch 1957, fünf Jahre nachdem er Maranello verließ, sicherte sich 0228 AT Podiumsplätze.
Spulen wir vor in die Gegenwart: Dieser 340 Mexico Spyder sieht dank einer umfassenden Restaurierung durch Brian Hoyts Perfect Reflections genauso aus wie ein auf Siege programmiertes tänzelndes Pferd aussehen sollte. Zurückversetzt in die Originalspezifikation (und Farbe), in der es im Oktober 1952 das Werk verließ. Seit der aktuelle Besitzer diesen wunderschönen, und erfolgsverwöhnten Ferrari 2011 erworben hat, hatte er nur einen einzigen öffentlichen Auftritt beim Pebble Beach Concours d’Elegance 2015 – und ist nach wie vor eine hervorragende Eintrittskarte für alle bedeutenden Schönheitswettbewerbe der Automobilwelt.
Fotos von Tom Shaxson. Aus dem Englischen von Thomas Imhof.