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Der BMW Garmisch kehrt zurück – als Hommage an Marcello Gandini

BMW wurde schon immer von italienischem Design inspiriert und beeinflusst. Beim diesjährigen Concorso d’Eleganza Villa d’Este feiert BMW den interkulturellen Austausch mit der Neuauflage des BMW Garmisch – einem Showcar, das vor 50 Jahren vom visionären Designer Marcello Gandini entworfen wurde.

Die Geschichte beginnt mit der verblichenen Fotografie eines schlichten, goldfarbenen Automobils, das wie beiläufig vor einer beigefarbenen Sandsteinwand abgestellt wurde. „Ich sah dieses Bild zum ersten Mal vor einigen Jahren und es ging mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf“, sagt Adrian van Hooydonk, Designchef der BMW Group. „Das Auto stammte ganz offensichtlich aus der Vergangenheit, und doch hatte es etwas überraschend Modernes an sich.“Wie sich nach einer kurzen Recherche herausstellte, handelte es sich bei dem mysteriösen Automobil auf dem Foto um den BMW Garmisch, einen bei Bertone in Turin als unabhängiger Designvorschlag entwickelten Prototypen. Dies war in den 1960er und 1970er Jahren eine gängige Praxis für Automobildesignstudios, um den großen Herstellern ihre Kreativität und Innovationsfähigkeit als Beratungsagenturen zu demonstrieren. Der BMW Garmisch wurde im Frühjahr 1970 auf dem Genfer Autosalon enthüllt. Kurz darauf verliert sich seine Spur. Zurück blieben nur einige Zeichnungen und eine Handvoll Fotografien aus dem Archiv von Bertone. 

Verantwortlich für die Gestaltung des BMW Garmisch war Marcello Gandini – einer der einflussreichsten Automobildesigner der 20. Jahrhunderts. Während der 15 Jahre, in denen er das Designstudio von Bertone in Turin leitete, entwarf er einige der mutigsten und revolutionärsten Automobile dieser Epoche – darunter scharfkantige Konzeptstudien wie den Lancia Stratos Zero, aber auch Sportwagenikonen wie den Lamborghini Miura und Countach. „Marcello Gandini ist für mich einer der Großmeister des Automobildesigns“, sagt Adrian van Hooydonk. „Seine Autos faszinierten mich schon als Kind und weckten mein Interesse am Automobildesign.“

Doch während die dramatischen Studien und Sportwagen, die Marcello Gandini in den 1960er und 1970er Jahren an seinem Zeichenbrett entstehen ließ, heute von Sammlern begehrt und bei Concours-Veranstaltungen in aller Welt gefeiert werden, ist sein stilistischer Einfluss auf BMW weniger gut dokumentiert. „Der BMW Garmisch steht exemplarisch für die Designphilosophie von Bertone zu dieser Zeit und sicherlich auch für Marcello Gandinis Sicht auf die Marke BMW“, erklärt Adrian van Hooydonk. „Deshalb begeisterte mich die Idee, das Auto zurückzubringen – um Marcello Gandini als herausragenden Designer zu ehren und die Lücke in der Geschichte von BMW zu schließen.“

Seit den frühen Tagen der Marke hat BMW Beziehungen mit führenden italienischen Karosseriebau-Spezialisten und Designhäusern kultiviert. In den späten 1930er Jahren entstand bei der Carrozzeria Touring in Mailand der BMW 328 Mille Miglia, ein so erfolgreicher wie betörend schöner Leichtbau-Aluminiumrennwagen. Während des Wirtschaftswunders in den 1950er und 1960er Jahren entwarf Giovanni Michelotti den BMW 700 und die „Neue Klasse“, mit dem BMW 2002 als kompakte Ikone. In den späten 1970er Jahren schuf Giorgetto Giugiaro die rechtwinkelige Glasfaserkarosserie des BMW M1 – und damit eines der eindrucksvollsten Vorzeigeprojekte für die Fusion deutscher Rennsport-Ingenieurskunst mit italienischem Design. Doch obwohl BMW über Jahrzehnte den Austausch mit unabhängigen Designstudios in Italien pflegte, führte natürlich nicht jede Idee aus Mailand oder Turin zu einem neuen Serienmodell. Manchmal waren es nur eine neue Linie, eine ungewöhnliche Proportion oder ein überraschendes Detail, die ihren Weg in die Formensprache von BMW fanden. 

Im Fall von Bertone hatte das Studio seine Verbindungen nach München bereits während der Entwicklung des BMW 3200 CS, der in den frühen 1960er Jahren unter dem einflussreichen BMW-Designchef Wilhelm Hofmeister entstand, aufbauen können. Als Marcello Gandini im Jahr 1965 die stilistische Leitung bei Bertone übernahm, wurde bereits an einem Vorschlag für eine neue, viertürige Limousine für BMW gearbeitet – das Projekt sollte später die erste BMW 5er Reihe beeinflussen. Nachdem Bertone auf dem Genfer Salon 1969 mit dem BMW 2800 Spicup die extravagante Designstudie eines knallgrünen Roadsters mit Anklängen an den BMW 507 gezeigt hatte, begann das Designteam mit der Planung für ein weiteres Konzeptauto.

 „Die ursprüngliche Idee kam von Nuccio Bertone persönlich, der unsere bestehende Beziehung zu BMW mit einer überraschenden Designstudie auf dem Genfer Autosalon 1970 festigen und ausbauen wollte“, erinnert sich Marcello Gandini, der zu jener Zeit Bertones Designstudio leitete und erst kürzlich seinen 80. Geburtstag feierte. „Wir wollten ein Mittelklasse-Coupé entwickeln, das einerseits der Formensprache von BMW treu blieb, andererseits aber auch etwas dynamischer herüberkam und sogar ein wenig provozierte.“In nur vier Monaten überarbeiteten Marcello Gandini und sein Team einen BMW 2002 tii, indem sie die Proportionen anpassten, eine Reihe von ungewohnten Designelementen einführten und den Wagen deutlich moderner erscheinen ließen. Während die Seitenflächen des Autos sehr aufgeräumt und glatt wirkten, überraschte der BMW Garmisch mit einer kantig-kühnen und vertikal positionierten Variation des berühmten Nieren-Kühlergrills, der von rechteckigen, verglasten Scheinwerfern flankiert wurde und dem Coupé in der Frontansicht eine starke Präsenz verlieh. 

Um das Auto noch deutlicher von den Münchener Serienmodellen abzusetzen, ergänzte Marcello Gandini das Design um zwei prägnante Lufteinlässe in den C-Säulen, die mehr an Sportwagen erinnerten, und eine wabenförmig strukturierte Sonnenschutzblende auf der Heckscheibe – ein typisches Stilelement Marcello Gandinis, das sich auch beim außergewöhnlichen Lamborghini Marzal wiederfindet. „Das Team wollte sehen, wie weit sich die Marke entwickeln ließ“, sagt Adrian van Hooydonk. „Aus Sicht von Bertone war das notwendig, um die Aufmerksamkeit von BMW zu erregen.“

Bei vergleichbaren Designprojekten schenkte man der Innenausstattung angesichts des enormen Zeitdrucks und der Tatsache, dass zahlreiche Studien oft erst in der Nacht vor ihrer Enthüllung fertiggestellt wurden, meist nur wenig Augenmerk. Im Fall des BMW Garmisch ließ sich Marcello Gandini glücklicherweise nicht die Gelegenheit nehmen, dem Innenraum ebenfalls einen eigenständigen Charakter zu verleihen: Mit seinem ungewöhnlichen Radio, das im Hochkantformat in der Mittelkonsole angeordnet wurde, einem großen Aufklapp-Spiegel für den Beifahrer und einer extravaganten Kombination von Farben und Materialien variierte der BMW Garmisch die eher funktionalistischen Einrichtungsvorlieben der Zeit auf piemontesisch-elegante Weise.

Und dann war da natürlich der Name, der gewählt wurde, um sowohl die italienische Hautevolée, als auch die bayerischen Manager zu überzeugen: „Skifahren war zu dieser Zeit in Italien äußerst populär“, erinnert sich Marcello Gandini. „Der Name Garmisch beschwor Träume von Wintersport und alpiner Eleganz.“

Während die Anziehungskraft von Garmisch-Partenkirchen als Sehnsuchtsort des internationalen Jetsets seit den 1970er Jahren etwas verblasst ist, haben der BMW Garmisch und die kreative Vision dahinter die Zeit überdauert. „Marcello Gandinis Entwürfe waren immer klar und schlicht, aber auch sehr dramatisch“, sagt Adrian van Hooydonk. „Deshalb finde ich seine Arbeit so inspirierend. Er hat mit wenigen Designelementen stets etwas Spektakuläres geschaffen.“ Im Sommer 2018 reiste Adrian van Hooydonk nach Turin, um Marcello Gandini in seinem Haus zu besuchen, mehr über den BMW Garmisch zu erfahren und ihn um seine Unterstützung zu bitten. „Natürlich wollten wir das Auto nicht ohne ihn zurückkehren lassen. Ich erzählte Marcello Gandini von unserer Idee und er hielt sie für ein wenig verrückt, aber sie gefiel ihm.“

Zurück in München berief Adrian van Hooydonk ein Team von interdisziplinären Spezialisten aus den Abteilungen BMW Group Design und BMW Classic ein, um die Recherche und den Wiederaufbau zu koordinieren. Da so gut wie keine Originaldokumente mehr existieren, musste jedes Karosserie- und Interieur-Detail des BMW Garmisch aus einer Handvoll alter Fotografien abgeleitet werden, die zum Großteil sogar nur in Schwarzweiß vorlagen. Zunächst wurde das Auto am Computer in 3D nachgebaut. Dann entstand ein Modell im Maßstab 1:1, an dem die Proportionen und Details abgestimmt werden konnten.

 

Marcello Gandini unterstützte die Recherchen als Zeitzeuge mit eigenen Erinnerungen an den Entwicklungsprozess. So konnte das Designteam wichtige Details wie die Außenfarbe – ein helles Champagnergold-Metallic im Stil der italienischen Mode dieser Zeit – sowie die Materialien im Innenraum originalgetreu rekonstruieren. Zuletzt wurde der BMW Garmisch von kunstfertigen Karosseriekonstrukteuren in Turin von Hand gebaut – genau wie das Original vor fast 50 Jahren.

Im März 2019 wurde Adrian van Hooydonk und Marcello Gandini der fahrbereite BMW Garmisch im Museo Nazionale dell'Automobile in Turin präsentiert. „Das fertige Auto zu sehen war ein besonderes Erlebnis“, sagt Adrian van Hooydonk. „Ich bin daran gewöhnt, ständig neue Designentwürfe zu begutachten. Nun stand ich plötzlich vor diesem Auto, von dem ich wusste, dass es brandneu war – und das doch direkt aus den 1970er Jahren stammte. Ich denke, für Marcello Gandini war es ebenfalls ein bewegender Moment. Er stand neben mir und sagte, er fühle sich beim Anblick des Autos plötzlich 25 Jahre jünger. Wir betrachten das als Kompliment für das Team, dass dieses Auto gebaut hat.“

Und obwohl Marcello Gandini sich als Designer noch immer mehr für die Zukunft als seine eigene Vergangenheit interessiert, war es für ihn eine freudvolle Erfahrung, ein zweites Mal am BMW Garmisch zu arbeiten. „Als ich hörte, dass der BMW Garmisch nochmals gebaut werden soll, war ich zunächst etwas überrascht“, erinnert sich Marcello Gandini an sein erstes Treffen mit Adrian van Hooydonk. „Nun bin ich sehr froh, dass ich Teil dieses Projektes sein konnte und dass sich BMW dazu entschlossen hat, diese freudvolle Zeit noch einmal aufleben zu lassen. Nachdem ich das fertige Auto gesehen habe fällt es mir sogar schwer, es vom Original zu unterscheiden.“

Beim Concorso d’Eleganza Villa d’Este 2019 debütiert der BMW Garmisch auch als Archetyp jenes radikalen neuen Stils, den italienische Studios wie Bertone, Italdesign und Pininfarina in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren entwickelten  – und der bis heute ein wichtiger Referenzpunkt für Automobildesigner ist. „Beim Concorso d’Eleganza Villa d’Este reflektieren wir die Vergangenheit, wir denken aber auch an die Zukunft“, sagt Adrian van Hooydonk. „Und wir können eine Menge von Marcello Gandinis Gestaltungsweise lernen. Diesen Ansatz, mit einfachen Mitteln viel zu erreichen, halte ich noch immer für äußerst modern.“

Im Anschluss an den Concorso d’Eleganza Villa d’Este 2019 wird der BMW Garmisch die Sammlung des BMW Museums in München bereichern, die Firmengeschichte um ein spannendes Kapitel ergänzen – und die Aufmerksamkeit auf eine der lebendigsten Epochen des Automobildesigns lenken. Als Beispiel für die erfolgreiche Verbindung von aufregender Technik und visionärem Design steht der BMW Garmisch exemplarisch für jene Kultur des Austausches und der Inspiration, von der sich die BMW Group auch auf ihrem Weg in die Zukunft leiten lassen wird.

Fotos: Rémi Dargegen / Video: Kai Klinke im Auftrag CD Works für die BMW Group © 2019 

Classic Driver möchte sich bei Adrian van Hooydonk und der BMW Group Design dafür bedanken, dass wir dieses außergewöhnliche und sehr persönliche Projekt nicht nur von Beginn an redaktionell begleiten, sondern auch durch unsere Kreativagentur CD Works mit Texten, Fotos und Filmen unterstützen durften.