Direkt zum Inhalt

Magazin

Wir fanden das Glück auf der 100-Jahre-Jubiläumstour des Bugatti Type 35

Wenn die Dinge nicht wie geplant laufen, kann unser Fotoreporter Rémi Dargegen ein mürrischer Typ sein. Aber nachdem er während der 100-Jahre-Jubiläumstour des Bugatti Type 35 mit 49 klassischen Rennwagen durch ganz Frankreich gefahren war, konnte er einfach nicht aufhören zu lächeln.

Auf Netflix gibt es eine Dokumentation über die sogenannten „Blue Zones“ – Orte auf der ganzen Welt, an denen Menschen außergewöhnlich lange und aktive Leben führen und viele von ihnen 100 Jahre und älter werden. Liegt es an der Ernährung? Am Lebensstil? Oder vielleicht an den Autos, die sie fahren? Nach den Erfahrungen der letzten Woche denken wir, dass man neben der japanischen Insel Okinawa und den sardischen Bergen auch das Dorf Molsheim in die Liste dieser mythischen Orte der Kraft und Langlebigkeit aufnehmen sollte. Schließlich wurde dort diese Woche ein großer 100. Geburtstag gefeiert – und viele der Jubilare trugen zu diesem Anlass stolz ihre alten blauen Livreen und verwandelten das Elsass in eine echte „Zone Bleue “ ganz nach unserem Geschmack.

Wenn Sie Classic Driver auf Instagram folgen, wissen Sie aus unserer Live-Berichterstattung bereits, dass wir den hundertsten Geburtstag des Bugatti Type 35 gefeiert haben, der als die Essenz von Ettore Bugattis Kreationen und als einer der wichtigsten Rennwagen aller Zeiten gilt. Der französische Bugatti Club hatte seine Mitglieder zu einer 100-Jahre-Jubiläumstour von Molsheim durch die französische Landschaft nach Lyon eingeladen, wo der Bugatti Type 35 vor 100 Jahren erstmals für Aufsehen gesorgt hatte. Doch bevor wir an Bord springen und uns der lauten Horde klassischer Bugatti-Rennwagen anschließen, lassen Sie uns einen Moment innehalten und auf die Geschichte des Type 35 zurückblicken.

Als der Bugatti Type 35 im Jahr 1924 auf den Markt kam, war dieser schnelle, leichte und elegante Rennwagen sofort der Konkurrenz überlegen. Er schrieb die Regeln des Motorsports sprichwörtlich neu. Der T35, der von dem visionären Künstler und Ingenieur Ettore Bugatti konzipiert wurde, führte viele technische Neuerungen ein, wie beispielsweise Leichtmetallgussräder, fest montierte Trommelbremsen, einen 2,0-Liter-Reihenachtzylindermotor mit 24 Ventilen und dünner Wandstärke und bahnbrechender Aluminiumkurbelwelle sowie eine ellipsoide Karosserie mit Aluminiumverkleidung, die zurecht als Kunstwerk gilt.

„Der Bugatti Type 35 war das weltweit erste speziell entworfene und konstruierte Rennauto“, erklärt Luigi Galli, Heritage-Spezialist bei Bugatti. „Im Gegensatz zu allen seinen Vorgängern war es kein für Rennen modifiziertes Straßenauto – trotz seiner Schönheit, wohlgemerkt. Ettore Bugattis sorgfältige Herangehensweise an das Gesamtkonzept und jedes kleinste Detail führte zu einem Auto, das zuvor undenkbare Maßstäbe in Bezug auf Design, Technik, Materialien, Fahrverhalten und Leistung setzte. Der Bugatti Type 35 läutete die große Ära des Grand Prix ein und zwang andere Automobilhersteller, ihre Herangehensweise komplett zu überdenken.“

Der Bugatti Type 35 prägte seine Ära und schrieb Motorsportgeschichte. Während seiner aktiven Zeit sicherte er sich mehr als 2.500 Rennsiege. Der für seine Schönheit, seinen technischen Einfallsreichtum und sein fahrerisches Können gepriesene Type 35 ist neben dem Bugatti Atlantic und dem Bugatti Royale noch immer ein zentraler Bestandteil der DNA der Marke.

Am ersten Tag trafen sich die Teilnehmer in ihren 49 klassischen Bugattis – darunter 23 Typ 35 und 12 weitere Grand-Prix-Autos wie der Typ 37 und 51 – im Chateau Saint-Jean, dem historischen Haus und Familiensitz der Marke Bugatti in Molsheim. „Hier hat alles begonnen, es war also ein sehr emotionaler Moment“, berichtet Rémi Dargegen, der die Tour für Classic Driver verfolgte. „Zu sehen, wie sich alle Autos im Morgenlicht vor dem Schloss aufstellten, dann ihre Motoren starteten und mit lautem Gebrüll ihr Zuhause verließen, war wirklich ein Anblick und ein Klang, den man gesehen haben muss. Ich fühlte mich gesegnet, an dieser Tour als Beifahrer eines der besten Bugatti Type 35 teilnehmen zu können, die es gibt.“ Das Auto, in dem Rémi fuhr, war sehr gut erhalten, alle Nummern stimmten überein, und es hatte noch seinen originalen Saugmotor,  die ursprüngliche Karosserie sowie einer erstaunlichen Patina. Es wurde 1925 als eines der ersten Autos der Serie gebaut und hat noch immer die Karosserie des Grand Prix de Lyon, was es zum perfekten Auto für diese doppelte Jubiläumstour machte.

Nach einer erstaunlichen Auswahl malerischer Landstraßen durch das Elsass und die Vogesen führte das Roadbook das Feld in Richtung Mulhouse zu einem Zwischenstopp am Musée National de l'Automobile und der berühmten Schlumpf Collection mit ihrer beeindruckenden Sammlung von 450 Automobilen, gekrönt von einem Bugatti Royale. Am nächsten Tag machten sich die Fahrer wieder auf den Weg Richtung Westen und brausten durch leichten Regen in Richtung Musée de l'Aventure Peugeot in Sochaux. Von Thierry Peugeot persönlich begrüßt, genossen die Bugatti-Fahrer eine Führung durch das bemerkenswerte Museum mit seinen zahllosen Autos und Geschichten. Wussten Sie, dass Ettore Bugatti im Jahr 1913 persönlich ein kleines Auto für Peugeot entworfen hatte, das den Spitznamen Bébé trug? Es erreichte bis zu 60 Kilometer pro Stunde, wurde als weniger als ein Pferd beworben, ersetzte aber zwei. Es wurde über 3.000 Mal verkauft.

Nach dem inspirierenden Boxenstopp fuhren die Bugattis weiter nach Süden in Richtung Malbuisson durch die wunderschöne, leuchtend grüne Landschaft. Doch irgendwann sahen die Fahrer in ihren offenen Rennwagen und mit provisorisch befestigten Rucksäcken eine Wand aus schwarzen Wolken am Horizont aufziehen – und bald wurden sie von heftigen Regenfällen heimgesucht. „Zuerst habe ich das Wetter verflucht, weil mir das Wasser den Rücken hinunterlief“, erinnert sich Rémi. „Aber nach ein paar Augenblicken wurde mir klar, dass es eigentlich ein erstaunliches und sehr erfrischendes Erlebnis ist, einen Grand-Prix-Wagen aus der Vorkriegszeit ohne Kotflügel oder Lichter im strömenden Regen zu fahren. Man fühlt sich wie ein Krieger, der die Elemente besiegt. Das gehört zum Spaß dazu! Mittlerweile liebe ich Regen, ob Sie es glauben oder nicht.“

Am nächsten Tag führte das Roadbook die Teilnehmer von Malbuisson nach Bourge de Bresse und La Tour de Salvagny. Nach einem Stopp in der von der Renaissance inspirierten Villa Palladienne in Syam und den mittelalterlichen Markthallen von Châtillon -sur- Chalaronne, wo Rémi die Gelegenheit hatte, die Bugattis neben einer alten Dampflokomotive zu fotografieren, wartete ein noch außergewöhnlicheres Erlebnis auf unseren Fotoreporter: Rémi erfüllte sich einen Lebenstraum, als er das Steuer des höchst originalen Bugatti Type 35 übernahm, den er in den letzten Tagen bei Sonne und Regen als Beifahrer fuhr. „Was für ein unglaubliches Auto. 

Wenn man sich erst einmal an das umgekehrte Getriebe gewöhnt hat, ist es agil, schnell und macht großen Spaß. Ich war eigentlich überrascht, dass es so gut bremst und die Lenkung sehr scharf und präzise ist. Es ist ziemlich anspruchsvoll und man muss vorsichtig fahren, aber das gehört dazu. Das war definitiv das Highlight der Woche.“ Und seinem Lächeln nach zu urteilen, wird er dieses Erlebnis nicht so schnell vergessen.

Nach einer Gedenkfahrt über die Landstraßen, die einst die Strecke für den Grand Prix de Lyon 1924 bildeten, versammelten sich die Bugattis in Brignais, um das Jubiläum zusammen mit einer Handvoll anderer Rennwagen und ihren Besitzern zu feiern. Schließlich fand die Jubiläumstour ihren krönenden Abschluss in Les Monts du Lyonnais mit Blick auf die Stadt Lyon. „Ich hatte das Vergnügen, noch einmal das Lenkrad zu übernehmen und fuhr deie letzten Kilometer hinter Caroline Bugatti, ihrem Mann und ihren beiden Töchtern – was für eine Ehre !“ 

Wie wir bereits beim Internationalen Bugatti-Treffen in Südfrankreich vor zwei Jahren erlebten, sind Besitzer klassischer Bugattis eine große, freundliche und lebenslustige Familie. Es gibt keine Anmaßung, kein Angeben, keinen Neid. Und egal, wie teuer einige der Maschinen auch sein mögen – es geht darum, sie auf der offenen Straße, bei Sonne oder Regen zu genießen, so wie sie gedacht sind.

„Was den Bugatti Type 35 für mich so besonders macht“, verrät Rémi schließlich, „ist, dass er der Archetyp des französischen Rennwagens ist. Als Kind hatte ich das Bild eines französischen Rennwagens im Kopf, der wie eine blaue Zigarre aussah. Seitdem bin ich in die Grand Prix- Bugattis verliebt. Und der Type 35 ist der größte und erfolgreichste von allen. Was für eine Legende!“

Fotos: Rémi Dargegen for Classic Driver