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Sushi? Godzilla? Das schönste an Japan sind diese Kurven!

Zwischen Serpentinen-Stakkato und Onsen-Pitstop: Für die neueste Ausgabe von „Curves“ war Fotograf und Herausgeber Stefan Bogner fünf Wochen lang in Japan unterwegs. Wir haben ihn nach seinen Tipps für den perfekten Road Trip gefragt.

Einst war Amerika der große Sehnsuchtsort der Jugend – und ein Road Trip durch die endlosen Weiten des Westens ein Traum, der von immer neuen Büchern, Songs und Filmen befeuert wurde. Doch seit dem neuen Jahrtausend hat Japan die USA als Traumziel abgelöst. In keinem Land hat die Popkultur solche Komplexitätsgrade erreicht. Und nirgendwo kann man so anspruchsvoll wie ausgesucht shoppen, speisen und in den angesagtesten Listening Bars der Welt den neuesten Jazzplatten lauschen wie in Tokio. Dabei vergisst man angesichts der allgegenwärtigen urbanen Instagram-Sehnsuchtsbilder zuweilen, dass Japan auch ein wunderbares Reiseland für automobile Road Trips ist – und sich auf der Insel einige der kurvenreichsten Traumstraßen der nördlichen Hemisphäre finden. Ihnen war in diesem Herbst der Kurvenjäger und Fotograf Stefan Bogner auf der Spur: Am Steuer eines brandneuen Porsche Boxster in pop-referenziellem Farbton „Sternrubin“ sowie zwei Taycan-Stromflitzern hat er für die neueste Ausgabe von „Curves“ die weltberühmten, aber auch weniger bekannten Fahrstrecken des Landes erkundet. Das Heft ist in Zusammenarbeit mit Porsche Japan entstanden und erscheint im nächsten Frühjahr. Wir haben ihn schon einmal um einen Zwischenstand gebeten.

Stefan, du hast für „Curves“ die Welt bereist, aber in Japan bist du zum ersten Mal. Was war dein erster Eindruck – als Fotograf, Designer und visueller Mensch?

Tokio kennt man natürlich aus unzähligen Filmen von „Akira“ bis „Lost in Translation“, da hat man schon viele Bilder im Kopf und muss sich erst einmal freimachen, um nicht bloss Klischees zu reproduzieren. Aber sofort aufgefallen ist mir die Klarheit des Gesamtbildes, die Geometrie der Häuser mit ihren gekachelten Wänden. Fast wirkt es, als sei alles auf einem Raster aufgebaut, auf Millimeterpapier entworfen. Auch die Stromkabel hängen schnurgerade zwischen den Masten. Farblich ist alles dezent, fein, zurückhaltend. Aber natürlich kann man in Tokio auch das maximale Gegenteil haben, die volle Überdosis Formenflimmern – und den ganzen Kulturwahnsinn von Godzilla bis Manga. Auch akustisch finde ich Tokio sehr spannend: Es gibt kein Gehupe, es gibt kein Geschrei, selbst die Baustellen wirken irgendwie leiser als sonst irgendwo auf der Welt. Das Leben findet auch nicht auf der Straße statt, sondern in Innenräumen. Stille und Kontemplation erwartet man ja normalerweise nicht von einer pulsierenden Millionenmetropole. Aber wie in „Blade Runner“ kommt immer von irgendwoher eine Stimme, die elterlich-sanft mit einem spricht. Und die einen irgendwohin leiten will. Als wären in den U-Bahnen und Geschäften lauter Kinder in Anzügen unterwegs.

Du hast gerade mehreren Monaten in Thailand verbracht, wo du im Sommer die Popup-Galerie Curvistan Bangkok eröffnet hast. Welche kulturellen Unterschiede sind dir als erstes aufgefallen?

Die Menschen in Japan sind im Vergleich zu Thailand zunächst einmal sehr zurückhaltend, diszipliniert und fokussiert, aber trotzdem unglaublich freundlich. Und es gibt sehr komplexe soziale Codes und ein klares Regelwerk, das man als Außenstehender nur ansatzweise versteht. Aber schon die Anstrengung, ein paar Wörter auf Japanisch zu sagen, wird sofort honoriert. Was einem im Vergleich mit Europa auffällt, ist die Aufmerksamkeit der Menschen bei jeder sozialen Interaktion. Man ist bei der Sache, im Moment. Niemand legt beim Essen sein Telefon auf den Tisch. Das beste Symbol für diese Art der Achtsamkeit ist das fast rituelle Überreichen der Visitenkarte mit Augenkontakt und beiden Händen.

Japan ist nicht das erste Land, das man sich gewöhnlich für einen Road Trip aussucht. Warum eigentlich?

Amerika gilt ja als Mutter aller Road Trips, aber in Japan reisen die meisten Touristen eher per Shinkansen-Schnellzug zwischen den einzelnen Destinationen und Sehenswürdigkeiten hin und her. Mit hat gereizt, dass Japan für Autoreisen eigentlich ein unentdecktes Land ist.

Wohin hat dich euer Roadtrip zunächst geführt?

Wir sind Mitte Oktober nach Tokio geflogen und waren dort drei Tage lang zum Eingrooven. Zunächst hat man ja das Gefühl, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein – und man braucht Zeit, um sich zu akklimatisieren. Dann sind wir mit der Fähre nach Hokkaido gefahren, um dort die Straßen zu erkunden, bevor der erste Schnee fällt. Auf Hokkaido haben wir dann den Akan-Mashū-Nationalpark und den Shiretoko-Nationalpark erkundet – die Vulkanlandschaften sind wirklich spektakulär. Dann sind wir wieder auf die Hauptinsel Honshu übergesetzt. Unser nächstes Ziel war der Tsugaru Iwaki Skyline, eine wirklich atemberaubende Vulkanstrasse mit 69 Haarnadelkurven und bis zu zehn Grad Steigung. Sie gilt als eine der gefährlichsten Bergstraßen der Welt – und ist wirklich ein Driftparadies!

Klingt nach Spass!

Unbedingt! Auf wunderschönen Küstenstraßen sind wir dann die Ostküste heruntergefahren und südlich von Sendai ins Hinterland von Fukushima abgebogen. Dort sind wir dem Bandai-Azuma Skyline gefolgt, einer 29 Kilometer langen Panoramastraße entlang der Azuma-Bergkette bis auf über 1.600 Meter. Da fährt man teilweise über den Wolken, durch endlose orangerote Herbstwälder – und legt sich abends nach einem perfekten Essen ins Onsen-Bad. Mit einem heissen Waschlappen auf dem Kopf schaust du dann auf einen Zen-Garten und lässt die Eindrücke des Tages in dir wirken.

Das haben wir uns für unsere nächste Reise in jedem Fall notiert. Wie ging es nach dem Bandai-Azuma Skyline weiter?

Zunächst zu den Tempeln von Nikko. Da befindet sich ein berühmter Shinto-Schrein aus der Edo-Zeit – sehr sehenswert. Von dort ging es weiter nach Westen durch den Joshin’etsukogen National Park und über die Venus Line. Das ist eine tolle, 76 Kilometer lange Fahrstraße in den Japanischen Alpen in der Provinz Nagano, die mich sehr an die Toskana erinnert hat. Wenig Verkehr, eindrucksvolle Panoramen, Seen und sanfte, mit japanischem Silbergras bewachsene Hügel. Dann ging es immer höher in die Berge. Wirklich spektakulär war die Hakusan Shirakawa-go «White Road». Die Weiße Straße führt vom Fuß des Hakusan durch die Berge zum berühmten Dorf Shirakawa-go, man kann sie in etwa einer Stunde zurücklegen – aber ich empfehle, sich mehr Zeit zu nehmen. Im Herbst gibt es in den Restaurants saisonale Pilzgerichte und Sushi mit Alpensaibling aus den Gebirgsbächen der Umgebung – ein Traum! Danach haben wir einige Tage in Kyoto verbracht, was ja auch bei keiner Japan-Reise fehlen sollte.

Der berühmteste Berg Japans ist ja der Fuji – wart ihr dort auch?

Ja natürlich – und der Anblick ist schon eindrucksvoll. Bei entsprechender Sicht sieht man den Kegel ja schon aus 200 Kilometern Entfernung. Die beste Sicht hatten wir auf dem Ashinoko-Hakone Skyline Drive. Danach sind wir dann wieder nach Tokio zurückgekehrt.

Welche Autos hattest du bei deiner Reise dabei?

Wir hatten einen Porsche 718 Boxster in Sternrubin – das war wirklich ein Hingucker und ein wunderbar sportliches Interface für die Bergstrassen. In Tokio und Kyoto hatten wir dazu zwei Taycan, einen GTS und einen Sport Turismo – beide sehr komfortabel für die großen Metropolen.

Was würdest du jemandem empfehlen, der Japan mit dem Auto bereisen möchte?

Japan ist unglaublich dicht und komprimiert – wie ein immer und immer wieder gefalteter Origami-Kranich. Oder ein weißer Zwerg im Weltall. Man muss sich das Land mit voller Konzentration erarbeiten, auf alle Details achten. In Patagonien hat mich die unendliche Weite verblüfft und gelassen gemacht. In Japan ist von der Kultur bis zur Landschaft alles extrem verdichtet, nicht immer erschliesst sich der Sinn auf den ersten Blick. Wer einen Entspannungsurlaub sucht, sollte also anderswo hinreisen. Wenn man jedoch Lust auf ein intensives Erlebnis hat, kann man Japan wirklich ganz einfach und komfortabel mit dem Auto entdecken. Ich empfehle, genug Zeit einzuplanen und nur ein paar Stationen im Voraus zu definieren, sich ansonsten treiben zu lassen und nicht nur die großen Touristenzentren zu besuchen. So entdeckt man Orte, mit denen man nie gerechnet hätte – und mit etwas Glück auch etwas mehr über sich selbst.

Du bist im Herbst unterwegs – würdest du diese Reisezeit empfehlen?

Momijigari ist ja ein traditioneller japanischer Brauch, bei dem man sich im Herbst an der Schönheit des Laubes erfreut. Und tatsächlich haben sich uns wunderbare Landschaftseindrücke in Gelb, Orange und Blutrot geboten. Es regnet auch recht oft – aber dagegen habe ich nichts, das verleiht den Fotos und dem Heft schließlich mehr Charakter. Für Hokkaido waren wir fast etwas spät dran, dort hat uns der erste Schnee überrascht.

Wer dir bei Instagram folgt, der weiss, dass du dich nicht nur für kurvenreiche Traumstraßen im Nebel begeisterst – sondern auch für gastronomische Genüsse. Wie isst es sich denn wirklich in Japan?

Wenn man auf die sogenannte Produktküche steht, ist das Essen in Japan fantastisch. Der Fisch, die Jakobsmuschel, die Karotte selbst sind das Erlebnis. Das ist gekochte Perfektion. Und zwar nicht im Sinne eines fulminanten, breit gefächerten Geschmacksspektrums, wie etwa in Thailand, sondern total linear. Es gibt pro Produkt nur einen Geschmack – und der trifft es auf den Punkt. In die feinsten Feinheiten, die kleinsten Nuancen investieren die Köche hier Jahrzehnte ihres Schaffens. Auch visuell ist es ein Erlebnis, in Japan zu essen. Alles ist unglaublich klar und geometrisch, wie ein Zen-Garten und bis zum kleinsten Rettich-Hobelspan hin perfekt angerichtet. Jede Traube und Erdbeere hat hier die perfekte Form und Farbe. Der Anspruch gilt übrigens nicht nur für das Essen: Vor ein paar Tagen hatten wir einen japanischen Pinot Noir, der hat mich wirklich umgehauen. Aber eigentlich reicht es schon, verschiedene japanische Apfelsäfte zu probieren – dann weiss man, wo der Bartels den Most holt. Diese Hingabe und dieses Streben nach höchster Feinheit und Perfektion selbst bei alltäglichen Dingen fasziniert mich am meisten an Japan.

Und wie ist es mit den japanischen Autos?

Für mich ist das japanische Autodesign die ganz große Ausnahme von diesem unglaubliche hohen ästhetischen Anspruch. Die völlige gestalterische Austauschbarkeit der meisten japanischen Autos leuchtet mir einfach nicht ein. Man sieht auf den Straßen von Tokio fast keine schönen Autos im klassisch-europäischen Sinn, da herrscht ein unglaublicher Pragmatismus. Interessant finde ich als Designer aber natürlich die kleinen Kei-Autos, diese fahrenden Schuhkartons mit großem Stauraum – das ist ein tolles Konzept, denn Platz ist hier rar. Die finde ich erfrischend. Auch die Autoszene von Tokio mit ihren bizarren Umbauten ist unglaublich kreativ.

Was wirst du aus Japan am meisten vermissen?

Die Aufmerksamkeit der Menschen, die Dichte der Kultur - und Toiletten von Toto! (lacht)