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Treffen Sie zwei Schwestern, die im Vorkriegs-Bentley ihres Opas zu neuen Höhenflügen ansetzen

Die Schwestern Anna und Louisa Getley, beide Mitte 20, trotzen Konformität und Traditionen und bahnen sich erfolgreich ihren Weg in die männlich dominierte Welt des historischen Rennsports. Redakteur Elliot Newton hat sich mit ihnen getroffen, um in einem ihrer Bentley zum Lunch zu fahren!

Wenn Sie jemals das Glück hatten, einen Spaziergang über das grüne Gelände von Bicester Heritage zu machen, ist es fast garantiert, dass Sie auf die eine oder andere Automobilikone treffen. Denn auf dem 444 Hektar großen ehemaligen RAF-Bomber-Trainingsstation aus dem Zweiten Weltkrieg haben sich zahlreiche Oldtimer- und Sammlerauto-Spezialbetriebe angesiedelt. Als ich die bernsteinfarbenen Blätter mit den Füßen wegfegte, verriet mir das durchdringende Geräusch eines gerade zum Leben erweckten Vorkriegs-Bentleys, dass ich an der richtigen Adresse war - Kingsbury Racing. Als ich mich näherte, kamen mir mit strahlendem Lächeln Anna und Louisa Getley entgegen. Zwei junge Ladys, die diese ach so traditionsbehaftete Nische des Automobils zum Besseren aufgemischt haben und die nicht vorhaben, in nächster Zeit den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. 

Kingsbury Racing operiert vom auf dem Gelände von Bicester Heritage liegenden Engine Test House und wurde von Annas und Louisas Vater Ewen gegründet. Er erzählt, dass seine Töchter erst vor kurzem ihr Interesse an dem auf pre-1940er-Bentley spezialisierten Familienunternehmen entdeckt haben. Ewen kennt sich mit den Stärken und Tücken dieser britischen Kraftprotze bestens aus, denn er hat viele seiner eigenen Bentley, darunter auch die beiden hier vorgestellten, in ganz Europa gefahren. Es war daher eine wunderbare Überraschung für ihn, als seine Töchter den Wunsch äußerten, sich bei historischen Rennen auszuprobieren, sich stärker zu engagieren und sich recht schnell einen Namen in einem großen Feld von Fahrern und Teams zu machen. Ein Zitat aus der Instagram-Bio der Schwestern macht sich über ihre Position mit typisch britischem Humor lustig: „Technically the prodigy, realistically the liability.” Auf Deutsch in etwa: „Technisch das Wunderkind, realistisch die Belastung.“ Was heißen soll, dass sie fahrerisch noch (nicht) ganz auf dem Niveau ihres Dads angelangt sind.

Als Anna und Louisa mich durch die schatzkammerähnliche Werkstatt führten, die erfüllt ist von natürlichem Licht und dem Geruch von Kraftstoff – wollte ich mehr über ihre Rennsportaktivitäten erfahren. „2023 war das Jahr, in dem wir wirklich anfingen. Wir hatten beide sehr wenig Erfahrung am Steuer eines solchen Bentleys, geschweige denn im Fahren mitten im Pulk mit anderen Rennfahrern! Nichtsdestotrotz hatten wir eine fantastische erste Saison, die wir in diesem Jahr fortgesetzt haben. Wir sind auf einigen der schönsten Rennstrecken der Welt gefahren und haben jeden Zentimeter der Autos, die wir bewegen durften, kennengelernt.“ Als Beweis für ihre Erfolge wurde Anna kürzlich bei der Jahresendfeier des Bentley Driver's Club als „Fahrerin des Jahres“ ausgezeichnet und Louisa zur „Besten jungen Fahrerin“ gekürt.  

Den Schwestern geht es jedoch nicht um Auszeichnungen oder Ruhm, sondern darum, Erinnerungen zu schaffen und ihr Können am Steuer des einstigen Daily drivers ihres Großvaters zu verbessern. Während wir uns auf eine Spritztour über den Flugplatz von Bicester vorbereiteten, nahm ich mir etwas Zeit, um die Geschichte hinter dem Auto mit der Startnummer 99, das die Schwestern „DD“ nennen, zu verstehen. Der 1924 gebaute Wagen war zunächst ein „3-litre“, ehe er zum „4 ½ litre“ aufgerüstet wurde. Damals eine sehr beliebte Herztransplantation, da sie die leichte 3-Liter-Karosserie mit dem stärkeren Motor kombinierte, was den Bentley zu einem idealen Modell für Tourenfahrten UND Rennen machte. 

Fast von Anfang an, lange bevor die Familie Getley das Auto erwarb, wurde „DD“ in den frühen 1930er-Jahren bei vielen „Auto-Gymkhana“-Events eingesetzt. Sie waren zwar nicht ganz so hochoktanig wie die Eskapaden des verstorbenen Ken Block, erforderten aber ein gerütteltes Maß an fahrerischem Geschick und sportlichem Können, um den Ruhm zu ernten. Louisa erzählte mir die wunderbare Geschichte, wie der Bentley in ihre Familie gelangte: „Unser Großonkel diente an der Seite eines Colonel Andrew Duncan OBE, der den DD später an ihn verkaufte und ihn 1956 für 50 Pfund (heute etwa 1.564 Pfund) an unseren Großvater weitergab. Dieser nutzte ihn während seines Studiums an der Universität Cambridge als tägliches Pendlerfahrzeug. Unsere Großmutter fuhr den DD auch regelmäßig, mit allen Kindern auf dem Rücksitz!“ Unter dem Gelächter des gesamten Getley-Clans fuhr Louisa fort: „Bis heute behauptet sie, dass man einen Gang optimal wechselt, wenn man allein auf die Musikalität der Drehzahlen hört – ich glaube, wir haben nicht ganz die gleichen Ohren wie sie!“

Mir wurde schnell bewusst, dass „DD“ für die Getleys weit mehr als nur ein Auto war und ist. Sondern ein treuer Begleiter, ähnlich wie der Labrador der Familie. Anna setzte die Erzählung fort: „Das Auto ist seither im Besitz der Familie. Alle drei Generationen sind mit ihm Rennen gefahren. Es gibt einige großartige Tagebucheinträge von der Fahrt unseres Großvaters nach Le Mans, die hauptsächlich von Geschwindigkeitsübertretungen, Reparaturen am Straßenrand und einem allgemeinen Mangel an Scheinwerferlicht zeugen!“ Neben einem Sieg bei dem vom Benjafield Club aus Anlass des 100. Jubiläums des ersten Bentley-Sieges von 1924 in Le Mans ausgetragenen 24-Stunden-Rennens von Portimao hat DD seine Zeit erfolgreich damit verbracht, über einige der bekanntesten Rennstrecken Europas zu donnern, von Silvertone bis Spa, von Zandvoort bis zum Nürburgring – und so ziemlich überall dazwischen. 

„Hast Du Lust auf ein Mittagessen?“ Immer eine willkommene Frage an einem feuchten Herbsttag in den Cotswolds. Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, hatte Louisa den Motor eines anderen und makellosen Bentley Blower aus dem Jahr 1929 angeworfen, und kam damit nun aus der Garage. Ein mächtiger Blower mit mehr als genug Platz für mich und den Fotografen Tom Shaxson. Weil sie an einem verletzten Knöchel lädiert, entschied sie sich, als Beifahrerin mitzufahren und überließ es Anna, mit dem übergroßen Lenkrad des Blowers zu ringen und sich an diesem Montagnachmittag in den dichten Verkehr zu stürzen.  

Jeder, der schon einmal das Glück hatte, einen Blower in Aktion zu erleben, oder noch besser, in einem mitzufahren, wird wissen, was für ein Erlebnis da auf einen wartet. Die Beschleunigung würde jeden Hut vom Kopf reißen, sie drückt einen tief in den patinierten Connolly-Ledersitz, während man sich an fast nichts festhalten kann. Genau wie „DD“ und die anderen Vorkriegsfahrzeuge, die in der Garage von Kingsbury stehen, war dieser Blower kein durchschnittlicher Grand Tourer, wie Louisa mit erhobener Stimme erklärt, während sie eine malerische Nebenstraße entlangtuckert: „Dieser wurde über einen Zeitraum von zehn Jahren vom Chassis aufwärts intern restauriert. Mit dem Ziel, eine exakte Kopie des allerersten Blowers herzustellen, der 1929 auf dem Arts Circuit nahe Belfast bei der „Newtonards TT“ sein Debüt gab. Natürlich wollten wir ihm unseren eigenen Stempel aufdrücken, und so haben wir ihn so wettbewerbsfähig wie möglich gemacht. Aber auch so, dass es Spaß macht, mit ihm auf der Straße zu den Rennen und von dort wieder zurückfahren zu können.“

Nach einem kurzen Sprint über Oxfords vierspurige Schnellstraßen – eine Erfahrung, die Tom und ich wohl nie vergessen werden, da Wind und Regen unsere entblößten Gesichter und Kameralinsen mit voller Wucht traktierten – kamen wir zum Lunch am „Mollies Motel and Diner“ an. Eine Lokalität am Stadtrand von Oxford, an den ich das Auto unbedingt fotografieren lassen wollte. Allein schon, um den Kontrast zu dieser brutalistischen Maschine zu zeigen, die stolz darauf ist, über 100 Jahre alt zu sein. Und mit der man heute relativ einfach, und eingereiht in eine Schlange mit den ganzen klonartigen Crossover-SUV und Elektroautos, zum örtlichen Drive-through fahren kann.

Anna und Louisa wurden scheinbar zur falschen Zeit geboren und würden zweifellos die Rennszene in jedem Jahrzehnt, in das man sie hineinbeamen würde, bereichern und mit dominieren. Aber die Zeit, in der Frauen im Motorsport endlich akzeptiert und dafür gefeiert werden, mit historischen Fahrzeugen wie diesen Bentley Rennen zu fahren, lässt vermuten, dass ihre Zukunft rosiger aussieht als je zuvor. 

 

Fotos von Tom Shaxson fur Classic Driver 2024

Follow Louisa and Anna's racing journey via their Instagram, and if their story has you tempted by a pre-1940s Bentley, we have plenty in the Classic Driver Market!