Besucher des am kommenden Wochenende ausgetragenen Concorso d'Eleganza Villa d'Este brauchen nur fünf Minuten am Seeufer entlanggehen, um an der Villa del Crumello eine weitere vom Youngtimer-Fan Guglielmo Miani – kreativer Kopf hinter der Modedynastie Larusmiani – liebevoll zusammengestellte „Fuoriconcorso“ Show zu erleben. Diesmal ist sie einer glorreichen Zeit des Turboladers gewidmet. Repräsentiert durch eine eindrucksvolle Palette wilder Modelle mit Aufladung. Und einem Lotus Turbo Esprit als absoluten Hingucker, den Miani erst kürzlich persönlich erworben hat.
Während der 80er-Jahre huldigten immer mehr Autobauer dem von BMW 1972 mit dem 2002 1973 von Porsche mit dem ersten aufgeladenen 911 begründeten PS-Doping per Abgasturbolader. Doch nur wenige Modelle mit dieser Zwangsbeatmung konnten es in punkto Coolness mit dem Essex Turbo Esprit aufnehmen. Er erschien 1980 gerade rechtzeitig, um dem anfangs etwas schwach motorisierten Esprit jene Leistung zu verschaffen, die seine keilförmige Form aus der Feder von Giorgetto Giugiaro verhieß. Zusammen mit dem Turbo führte Lotus ein neues feuerverzinktes Chassis, ein verbessertes Fahrwerk, eine breitere Spur und standfestere Bremsen ein.
Derweil wurde die Karosserie mit um die Ecken herumgezogenen Stoßfängern, NACA-Düsen in den Türschwellern sowie Front- und Heckspoiler aufgepimpt; abgerundet durch dreiteilige LM-Felgen im Format 15 Zoll. Alles, um das Maximum aus dem aufgeladenen 2,2-Liter-Vierventiler herauszuholen, der es mit Hilfe von zwei Dellorto-Doppelvergasern und einem AiResearch Garrett T3-Lader auf 210 PS bei 6250 U/min brachte - immerhin 50 PS mehr als das Saugermodell. Im vom Serie 2 Esprit weitgehend übernommenen Cockpit fanden sich neben geänderten Sitzen eine Ladedruckanzeige, ein mit 170 mph (270 km/h) ziemlich optimistischer Tacho, hinterleuchtete Bedientasten, ein im Dachhimmel (!) angebrachtes Panasonic Stereoradio mit Kassettenteil (Aufpreis £1,000 – im Jahr 1980!) und eine Lederauskleidung in „Oxblood“. Auch außen ging es ziemlich „funky“ zu – im Stil der damaligen Lotus-Formel 1 mit der Grundfarbe „Monaco Blau“ und den rot/silbernen Seitenstreifen des Rennstallsponsors Essex.
Menschen, die dabei an die englische Grafschaft Essex und dessen Assoziation mit Kleinkriminellen und leichten Mädchen denken, mag die Bezeichnung zunächst verwirren. Doch bezog sie sich vielmehr auf die Essex Overseas Petroleum Corporation, eine zwielichtige und längst erloschene One-Man-Handelsgesellschaft, gegründet Mitte der 70er-Jahre vom früheren Industriedesigner David Thieme. Der auf Anhieb an seinem Fedora, Sonnenbrillen mit eckigen Gläsern und einem Spitzbart zu erkennende Amerikaner war, was man einen „Spieler“ bezeichnen könnte. Angeblich scheffelte der 1942 in Minneapolis geborene Thieme von seinem „Handelsraum“ im Hotel de Paris von Monte Carlo jährlich Gewinne in Höhe von $ 70 Millionen.
Als eingefleischter Motorsportfan, der mit Geld nur so um sich warf, wurde geriet Thiema auf das Radar von Lotus-Boss Colin Chapman, der sich schon immer zu solch reichen und ‚interessanten‘ Persönlichkeiten hingezogen fühlte. Und so kam es, dass Essex ab 1979 zum Hauptsponsor des Lotus Formel 1-Rennstalls aufstieg. Es war daher irgendwo naheliegend, dass Lotus den neuen Turbo Esprit in einer Anfangsserie von 100 Stück auch in den Essex Farben blau/rot/chrom auflegte.
Im Februar 1980 wurde das Auto auf einer üppigen und angeblich eine Million Pfund teuren Party in der Londoner Royal Albert Hall enthüllt. Chapman, Thieme und der amerikanische Rennstall-Mogul Roger Penske zogen eingehüllt in einen Wirbel künstlicher Schneeflocken das Tuch weg. Für die musikalische Begleitung des hochkarätigen Publikums – darunter die damalige Premierministerin Margaret Thatcher – sorgte keine Geringere als Shirley Bassey. Es wurde dann auch verkündet, dass Thatchers Sohn Mark (glückloser Rennfahrer und Gründer eines ebenso wenig erfolgreichen Rennteams, der 1982 bei der Paris-Dakar dann sechs Tage lang als verschollen galt), das 100. Exemplar bekommen sollte.
Bis April 1981 wurden dann nur 45 Einheiten des Sondermodells verkauft, zum Teil geschuldet dem Preis von £20.950, der fast £900 über dem eines Ferrari 308GTB und £2.800 über dem eines Porsche 911 lag. Trotz des bescheidenen Volumens markierte der Essex Turbo die Vorhut einer sehr erfolgreichen Baureihe. Denn danach baute Lotus noch 767 Einheiten des Turbo Esprits im Giugiaro-Design, ehe 1987 der etwas rundere Entwurf von Peter Stevens die Nachfolge antrat.
Während Thieme im April 1981 an einem Züricher Flughafen festgenommen wurde, erst gegen Kaution freikam, dann untertauchte und sein Essex Imperium bald darauf kollabierte (heute lebt er angeblich in Paris), erlangte der Esprit Turbo weltweite Aufmerksamkeit. Als Dienstwagen von James Bond im 1981 gedrehten 007-Streifen „For your Eyes only“ (deutscher Verleihtitel: „In tödlicher Mission“). Gleich zwei Exemplare traten auf: Ein weißer Wagen, der sich in einer auf Korfu aufgenommenen Szene beim Versuch eines Diebstahls selbst zerstörte und ein zweiter im Bronzeton „Copper Fire“, der dann bei den Dreharbeiten in Cortina d’Ampezzo zum Einsatz kam, stilgerecht ausgerüstet mit einem Skihalter. Doch selbst dieser zweite konnte nicht mit der ultracoolen Essex Version mithalten, die inzwischen als einer der wertvollsten Esprit überhaupt gilt. Wenn Sie sich Mianis makelloses Exemplar beim Fuoriconcorso anschauen, werden sie erkennen warum – und vergessen Sie nicht, dieses im Dach montierte Stereosystem unter die Lupe zu nehmen. Zusammen mit einem Grafik-Equalizer verkörpert es 80er-Jahre HiFi at its best.....
Fotos: Andrea Luzzardi für Classic Driver © 2021