Ich muss gestehen, als die freundlichen Menschen vom Museo Storico Alfa Romeo mir vorschlugen, den Alfa Romeo Alfetta Spider von 1972 und den Alfa Romeo Eagle von 1975 für eine Classic Driver-Reportage zu fotografieren, hatte ich noch nie von diesen bei Pininfarina entworfenen Prototypen gehört. Und nun stand dieses exotische Paar, in der Mailänder Sonne glänzend, plötzlich vor mir.
Basierend auf dem bewährten Fahrwerk der Alfa Romeo Alfetta, waren diese formvollendeten Cabrios Pininfarinas Vorschläge für Nachfolger des zierlichen Alfa Spider. Denn das sanfte, an ein Stück Seife erinnernde Design des in sechziger Jahren als „Duetto“ bekannt gewordenen Frischluftsportwagens war zwar attraktiv, aber die – vor allem in den USA – immer strengeren Gesetze forderten von Alfa ein Umdenken, wenn man weiterhin ein erfolgreiches Cabrio am Markt haben wollte. Zumindest war dies die Überlegung Pininfarinas.
Der Kern dieser Regelungen betraf die Sicherheit von Cabrios traditioneller Bauart, genauer gesagt ihr Manko. Mit ihren feststehenden Überrollbügeln konnten neuartige, offene Fahrzeuge wie der Porsche 914 und der Fiat X1/9 anscheinend den perfekten Spagat zwischen gelungenem Design und Fahrgastschutz leisten. Die Lösung namens „Targa“ bot eine Möglichkeit, das Überleben des Cabriolets in den USA zu sichern – dem Markt, der überhaupt erst die Nachfrage nach offenen Sportwagen entzündet hatte.
Der große Aldo Brovarone, Virtuose des Turiner Designstudios, machte sich an die Arbeit und zeichnete den Alfetta Spider: Anstelle der sanften Eleganz des „Duetto“ entschied er sich für ein kantiges, keilförmiges Design, das eher dem formalen Zeitgeist der Epoche entsprach. Der Eagle folgte dem Alfetta Spider drei Jahre später, er wirkte dank seines rückwärtig abgeschrägten Überrollbügels futuristischer als sein Studio-Gefährte. Aber ich finde, dass der Spider heute moderner wirkt. Tatsächlich entpuppt es sich als großartiger Vorschlag für ein Modell, aus dem ein eleganter und womöglich enorm erfolgreicher Gran Turismo entwachsen wäre. Aus dynamischen und akustischen Neigungen hätte ich vermutlich den bescheidenen 1,8-Liter-Vierzylinder gegen ein „heißeres“ Aggregat getauscht.
Wenn etwas die Form des Alfetta Spider doch konventionell wirken lässt, dann ist es der Innenraum des Eagle. Er drückt mit seinem weichen blauen Wildleder und digitalen Anzeigen eine raumschiffartige Ästhetik aus – mit den großen quadratischen Knöpfen hätten Astronauten genauso gut die Raketenbooster zünden oder den Luftdruck nach Erreichen des Orbits regulieren können. Das zweiteilige Lenkrad sorgt an sich schon für schieres Staunen und selbst die zierlichen Sitze folgen der Form von Alfa Romeos berühmtem „Quadrifoglio“-Emblem.
„Pininfarina war stets ein großartiger Botschafter des italienischen Designs, aber das Studio hatte immer auch den lukrativen US-Markt im Blick“, sagt Lorenzo Ardizio, leitender Kurator des Museo Storico Alfa Romeo, wo der Alfetta Spider und der Eagle seit ihren Premieren auf den Pariser und Turiner Automessen bewahrt werden. „Viele der Proportionen und Details der beiden Prototypen spiegeln diese Philosophie – klare und harmonische Grundlinien waren charakteristisch für den italienischen Ansatz, die ungewöhnlich großen Räder und die großen Heckleuchten richteten sich derweil eindeutig an den Geschmack der amerikanischen Kundschaft.“
Ardizio gibt zu, dass vertiefende Informationen über die beiden Modelle kaum verfügbar sind, weil die Projekte von Pininfarina geführt wurden. Dass die Prototypen so bald nach den Premieren Eingang in die Alfa Romeo-Sammlung fanden, lässt jedoch vermuten, dass tatsächlich eine Vereinbarung zwischen den beiden Marken existiert haben muss.
„Wahrscheinlich aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung, entwickelte Alfa Romeo den „Duetto“ weiter und schuf die Varianten der zweiten und dritten Serie, während diese Designstudien das blieben, was sie ursprünglich waren: Prototypen“, vermutet er. „Es war schon ein eigenartiges Verhalten, denn Alfa Romeo stellte meist ein Cabrio auf der Basis der aktuellsten Plattform vor. Doch es gab wegen des „Duetto“ nie eine offene Alfetta. Im Rückblick waren die Sorgen vor radikalen Einschränkungen unbegründet und die allseits geliebte, niedliche Seifenform des Spider und sein Charme sorgten noch zwei Jahrzehnte für erfreuliche Absätze!“
„Was mich besonders beeindruckt, ist die Tatsache, wie realistisch der Alfetta Spider und der Eagle sind,“ resümiert Alfizio, „Es sind keine Traumautos wie der Alfa Romeo Carabo. Sie griffen vielmehr Trends im Autodesign auf, die ganz typisch waren für die siebziger Jahre. Das zeigt meiner Meinung nach, wie ernst es Pininfarina war, diese Projekte Realität werden zu lassen.“
Leider sollten beide Portotypen nie den Weg in die Serie finden. Und so residiert dieses Duo, das oft übersehen wird, seit vier Jahrzehnten in einer Ecke des Museum. Es finden sich sogar im Internet kaum Bilder des Alfetta Spider oder des Eagle. Deswegen war es geradezu eine Ehre, beide Autos zusammen zum allerersten Mal an der frischen Luft zu fotografieren. Und hoffentlich entdecken Enthusiasten in der ganzen Welt so diese beiden vergessenen Fußnoten in den glanzvollen Annalen von Alfa Romeo und Pininfarina. Zumal das einflussreiche Designstudio in diesem Jahr sein 90. Jubiläum feiert.
Text & Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2020