Heritage – das Zauberwort der Gegenwart. Nahezu jeder Hersteller will aus seinem historischen Erbe – so bedeutend oder nicht es eben war - und dem scheinbar ungebremsten Interesse an alten Fahrzeugen Kapital schlagen. Doch während nun alle mit rosaroter Brille auf den rollenden Historien-Zug aufspringen - und dieser unter der Last der zahlreichen Nachahmer fast zum Stehen kommt - gibt es einige Traditionsmarken, die dem Ganzen gelassen ihre Ikonen schon seit Jahrzehnten liebevoll erhalten. Wie die schon 2010 100 Jahre alt gewordene Marke Alfa Romeo.
Die Zeitmaschine
Bereits seit den frühen 1960er-Jahren sammelt Alfa seine historisch bedeutendsten Autos mit der Absicht, sie auch der interessierten Öffentlichkeit und vor seinen Fans zu zeigen. Doch dauerte es bis 1976, ehe zusammen mit der Eröffnung des neuen Werkes in Arese bei Mailand das erste Museum für die immer größer gewordene Kollektion eröffnete: das Museo Storico Alfa Romeo. In kürzester Zeit wurde dieser Tempel ein Must-have für jeden Liebhaber italienischer Automobile. Die mussten ganz stark sein, als das Museum 2011 seine Tore schloss, um vier Jahre später einem Nachfolger zu weichen. Doch das Warten auf das bedeutungsvoll „La Macchina del Tempo“ oder „Die Zeitmaschine“ genannte Gebäude hatte sich für die Alfisti gelohnt.
Historisches vor modernem Hintergrund
Das moderne Museum erstreckt sich über sechs großzügige Stockwerke für 69 permanente Exponate. Den Kuratoren gelang es, die frühen Modelle vor einem wunderschön kontrastreichen Hintergrund auszustellen und zugleich den Studien und auch sonst in die Zukunft weisenden Wagen einen gebührenden Platz zu sichern. Sollten Sie noch wenig über die Alfa-DNA wissen – ein Besuch im Museo Storico und sie wird in ihrem Gedächtnis gespeichert sein. Die Eindrücke sind so fesselnd, dass man irgendwann gar nicht mehr weg möchte...
Meilenstein-Modelle
Die Dauerausstellung ist in drei Themenbereiche gegliedert: „Timeline“, „Beauty“ und „Speed“. „Timeline“ umfasst 19 Meilensteine in der mittlerweile 107-Jährigen Markengeschichte, vom allerersten 24HP bis zum 6C 1750 Gran Sport und der Giulia bis zum 8C Competizione. Der Bereich erweist zugleich großen Fahrern, Ingenieuren und Vorständen Referenz, ohne die Alfa nicht das geworden wäre, was es heute trotz aller Probleme der letzten Zeit noch immer ist.
Meister des schönen Stils
Wie leicht auszudenken, beschäftigt sich der Bereich „Beauty“ mit dem, wofür die Mailänder Marke vor allem steht: Zeitlos schönes Design und eine ganz eigene und nie völlig glattgeleckte Ästhetik. Die hier versammelten 23 Wagen stehen für die Meisterstücke der beste Karosseriebauer der Nachkriegsepoche. Wie der legendäre Disco Volante von Touring und exaltierte Konzeptstudien wie Marcello Gandinis Bertone-Keil Carabo und Leonardo Fioravantis aufreizenden 33/2 Speciale. Solche Modelle sind genauso Meister des schönen Stils wie jene kreativen Geister, die sie schufen. Und ihre universelle Schönheit sichert ihnen einen festen Platz im Ruhmestempel der Automobilgeschichte. Man nehme nur die Giulietta – Sie glauben doch nicht, dass sie nur wegen ihrer Fahreigenschaften zu einer „bella macchina“ avancierte?
Mille grazie Alfa Romeo!
Als grandioses Finale wartet dann noch die „Speed“-Abteilung mit einigen der größten Rennwagen der Marke, die unter der Nennung des Werksteams Alfa Corse das vierblättrige Kleeblatt als Glücksbringer trugen. Diesen angedunkelten Bereich zu erforschen, ist ein fast schon unheimliches Erlebnis. Steht doch die Stille in einem bizarren Kontrast zu den hier versammelten, schlachterprobten und so wertvollen Modellen. Da steht Fangios „Alfetta“, mit der er 1951 seinen ersten WM-Titel errang, neben einem TZ1 und TZ2, einer Giulia Sprint GTA 1300 Junior, einem Tipo 33 TT12 (ja, und dazu auch der Stradale) und einem 155-V6-TI — man weiß kaum, wo man hinschauen soll..
Das vielleicht Schönste am modernen Museo Storico Alfa Romeo ist die Tatsache, dass viele der hier stehenden Autos, speziell die Rennwagen, regelmäßig an die frische Luft kommen und rund um die Welt live in Action vorgeführt werden. Wie gerade erst in der letzten Woche, als vier von ihnen – darunter der Brabham BT45-Alfa Romeo in Martini-Farben - beim Goodwood Festival of Speed antraten. Womit wir wohl alle zur Erkenntnis gelangen, dass die Welt es verdient, diese Autos zu sehen. Und damit zu verstehen, woher die Alfa-Legende rührt....
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2017