Nach bald 90 Jahren ist es schwer vorstellbar, dass die Entwicklung von Sportwagen in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg noch immer in vollem Gange war. Speziell, was die Aerodynamik der Rennwagen betraf. Nur wenige Jahre bevor Panzer durch Europa fuhren, baute Bugatti einen eigenen „Tank“. Allerdings keine Kriegsmaschine, sondern eine Waffe, die den Feind auf der Rennstrecke erledigen sollte.
Die Geschichte des Bugatti Typ 57G „Tank“ beginnt Anfang 1936, als die Ingenieure des Molsheimer Unternehmens gerade für den Motor des Typ 57S eine leichtere Kurbelwelle entwickelt hatten. Darüber setzten sie eine ungewöhnliche, stromlinienförmige Karosserie und nannten das Resultat intern „den aerodynamischen Maulesel“. Das Auto, das Sie hier sehen, befindet sich im Simeone Foundation Automotive Museum, das uns freundlicherweise den Fototermin für diese Geschichte ermöglichte.
Der Juni 1936 sollte ein entscheidender Monat in der Geschichte von Bugatti werden. Gerade als die Erprobung des Typ 57G an Fahrt aufnahm, kündigte der Automobile Club von Frankreich an, seinen für den 28. Juni terminierten Grand Prix in diesem Jahr für Sportwagen auszuschreiben. Womit das erste Rennen des Typ 57G sogleich vor der Tür stand. Einige Tage vor dem Start auf dem Kurs von Montlhéry bei Paris baute Bugatti zwei weitere Type 57G auf. Nach fast acht Stunden Renndauer gewannen Jean-Pierre Wimille und Raymond Sommer mit einem Schnitt von 125,288 km/h das Rennen im „aerodynamischen Maulesel“ vor vier Delahaye; die beiden anderen 57G beendeten das nach ähnlichen Regeln wie das in jenem Jahr ausgefallene 24-Stunden-Rennen von Le Mans ausgetragene Event auf den Plätzen sechs und 13.
Nur eine Woche später (am 5. Juli) trat Bugatti beim GP de la Marne in Reims erneut mit den drei Typ 57 G an. Und erneut war es Jean-Pierre Wimille, der im „aerodynamischen Maulesel” das über 400 Kilometer gehende Rennen mit einem Schnitt von 140,245 km/h gewann. Gefolgt von Robert Benoist im zweiten Bugatti, einem Talbot T150 C und Pierre Veyron im dritten Modell aus Molsheim. Für jeden sichtbar konnte der „Tank” auf dem Hochgeschwindigkeitskurs in der Champagne seine aerodynamischen Qualitäten voll ausspielen. Im Oktober 1936 wollten Benoist und Veyron dann herausfinden, wie weit sie den windschlüpfrigen Wagen an seine Grenzen treiben konnten. Zusammen legten sie in Monthléry 500 Kilometer in 3:56 Stunden zurück, ein Schnitt von 204,39 km/h. Am Ende stellten sie neue Rekorde über 100 Kilometer, 100 Meilen, 200 Kilometer und – mit 217,941 km/h – auch über eine Stunde auf. Wie hoch Bugatti die Messlatte damit gelegt hatte, zeigt die Tatsache, dass es bis 1965 dauern sollte, bis diese Rekorde von einem Shelby Daytona Coupé gebrochen wurden.
Am 19./20. November 1936 sorgte das aerodynamische Maultier noch für einen letzten schlagenden Beweis seiner Schnelligkeit und Ausdauerfähigkeit. Als erneut auf dem Hochgeschwindigkeits-Oval von Montléry Wimille und Veyron, diesmal noch unterstützt von William Grover-Williams, 24 Stunden mit einem Schnitt von 199,44 km/h, also fast 200 km/h, zurücklegten.
Das Jahr 1936 war für den Typ 57G aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, quasi ein Warm-up. Denn es war das Jahr 1937, in dem der Tank als erster Bugatti, der ein großes internationales Sportwagen-Event gewann, in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Mit dem Sieg von Jean-Pierre Wimille und Robert Benoist bei den im Juni ausgetragenen 24 Stunden von Le Mans. Aber woher wissen wir, dass es genau dieses hier in aller Schönheit fotografierte Modell war, das Bugatti diesen Sieg und so viele Rekorde bescherte? Nach Ansicht von Automobilhistorikern wies der Wagen eine Reihe von Karosseriemodifikationen auf, die ihn von den beiden anderen Exemplaren unterschieden. Die umfangreicheren Tests, die dieser erste 57G im Vorfeld der Rennsaison 1936 absolvierte, würden seinen Vorsprung gegenüber den beiden Schwesterautos erklären, so die Experten.
Nach einem Jahr Pause nahm Bugatti 1939 am – wie sich zeigen sollte – letzten Vorkriegs-Le-Mans teil. Diesmal mit einer weiterentwickelten Version des Tank - dem Typ 57C mit verlängertem Radstand und einem nun per Kompressor aufgeladenen Achtzylinder mit 3,3 Liter Hubraum. Und erneut hieß der Sieger Wimille, aus diesem Anlass mit Pierre Veyron als Co-Piloten. Am 11. August unternahm Jean Bugatti, Sohn von Ettore und neben seiner Rolle als Designer und Technikchef in Molsheim auch für die Renneinsätze verantwortlich, mit dem Le-Mans-Siegerauto eine Testfahrt auf der abgesperrten und schnurgeraden Straße zwischen Duttlenheim und Entzheim. Aus bis heute nicht final geklärter Ursache – lange kursierte die Version von einem Radfahrer, dem er ausweichen musste, aber auch die Möglichkeit eines Suizids wird inzwischen nicht ausgeschlossen – verlor er bei Tempo 230 die Kontrolle über den Wagen und prallte gegen einen Baum. Der Tod des erst 30 Jahre alten Jean Bugatti leitete zusammen mit dem kurz darauf ausbrechenden Zweiten Weltkrieg den Niedergang der Marke ein.
Doch kommen wir auf die Geschichte des Le-Mans-Siegers von 1937 mit Chassisnummer 57335 zurück. Nach dem Triumph an der Sarthe versteckte Bugatti den Rennwagen zunächst in seinem kleinen Museum in Molsheim. Doch 1940, vor dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich, überführte man den Prototypen nach Bordeaux, wobei sich der Wagen unglücklicherweise auf dem Weg dorthin überschlug, was zur Beschädigung der Motorhaube führte. Was die beiden anderen Exemplare betrifft: Eines ging schon 1936 verloren, während das andere – das 1937 in Le Mans ausfiel – und 1939 noch einmal in Le Mans (als T-car) antrat, danach ebenfalls spurlos verschwand.
Der aerodynamische Maulesel wurde später im Bugatti-Werk restauriert, wobei ein stolzer Arbeiter sogar „Benoist“ und „Wimille“ auf einen Kotflügel malte. Irgendwann gelang es dem Autohändler Jean DeDobeleer, den Wagen entgegen der Firmenpolitik aus dem Werk zu holen, und er weigerte sich später, ihn zurückzugeben, was zur Beendigung der Geschäftsbeziehung führte. DeDobeleer gab den Wagen später an den US-amerikanischen Importeur Gene Cesari ab, der den „Tank“ 1961 über den großen Teich holte.
1968 einigte sich Colonel Eri Richardson mit Cesari auf einen Verkauf und widmete die nächsten Jahre der Restaurierung seines so wertvollen Bugattis. Richardson unternahm sogar drei Reisen zum ehemaligen Bugatti-Werk in Molsheim und verschaffte sich vor Ort den Original-Drehzahlmesser, einen äußerst seltenen Bugatti-Vergaser, den einzigartigen Zylinderkopf, den Ölkühler und mehrere andere Einzelteile, die nur zu dem einzigen überlebenden Typ 57G gehören konnten. In der Überzeugung, die notwendigen Teile für den Zusammenbau eines komplett originalen Fahrzeugs – mit Ausnahme des Motorblocks – erworben zu haben, begann Richardson schließlich mit einer sorgfältigen und einfühlsamen Restaurierung, bei der er sich kompromisslos der Originalität verschrieb.
Trotz des Bugattis in seiner Sammlung war Richardson kein besonders wohlhabender Mann und erlag schließlich einem unwiderstehlichen Angebot des Marken-Experten Uwe Hucke, der den Wagen später an Nicolas Seydoux weitergab. Schließlich erwarb der Gründer des Simeone Foundation Automotive Museums, der verstorbene Fred Simeone, den Wagen im Tausch gegen seine Ferrari 212 Touring Barchetta. Laut seiner Familie hatte sich Simeone zuvor nie vorstellen können, einmal die Gelegenheit zum Erwerb eines solch spektakulären Autos zu erhalten. Und vielleicht ist es keine Überraschung, dass er einmal sagte: „Wenn ich nur ein Auto aus meiner Sammlung behalten dürfte, wäre es dieser unglaubliche Typ 57G.“ Aktuell präsentiert sich der wundervoll patinierte Wagen seit den 1960er-Jahren unrestauriert und hat am Goodwood Festival of Speed sowie am Pebble Beach Concours d'Elegance teilgenommen – wo er die Pebble Beach Trophy gewann.
Der einzige überlebende Typ 57G Tank ist nach wie vor eines der faszinierendsten und erfolgreichsten Autos in der Geschichte Bugattis; ein Beweis für die Vision von Ettore und Jean Bugatti, das Können der Molsheimer Werksrennfahrer sowie die Leidenschaft und Sorgfalt von Fred Simeone und den früheren Besitzern des Autos. Im Jahr 2024 ist Bugatti weltweit dafür bekannt, einige der schnellsten Supersportwagen der Welt zu bauen. Aber vielleicht wäre das alles nicht möglich gewesen ohne den Erfolg und die Reputation, die sich dieser stromlinienförmige Le-Mans-Sieger erworben hat.
Fotos von Rémi Dargegen