„Ich habe mich lange gegen einen Porsche gewehrt“, lacht Alfredo Häberli. „Er ist so eine offensichtliche Wahl. Gleichzeitig hat mich die puristische Philosophie der Marke immer fasziniert. Die Frage, was man komprimieren und reduzieren kann, um ein möglichst starkes Ergebnis zu erreichen, beschäftigt mich als Designer intensiv.“ Häberli gilt als bekanntester Produktgestalter der Schweiz. Seine kreativen, oft spielerischen Entwürfe wurden mit den wichtigsten Designpreisen geehrt, seine kunstvollen Alltagsgegenstände in Museen ausgestellt. Trotzdem finden sich in seinem Atelier in Zürich-Seefeld überraschend viele Modelle, Zeichnungen und Bilder von Autos. „Die Faszination fing schon in meiner Kindheit an. Ich bin in Córdoba aufgewachsen und wohnte drei Kilometer von einer Rennstrecke, dem Autódromo Oscar Cabalén, entfernt. Meine Eltern betrieben in der Nähe ein Restaurant, in dem sich nach den Rennen die Fahrer und Mechaniker trafen. Als Kinder durften wir uns deshalb frei in der Boxengasse bewegen und ich konnte bald jeden Rennwagen am Motorsound erkennen.“
Im Jahr 1977 kam Häberli mit seinen Eltern aus Argentinien in die Schweiz. Er studierte Industriedesign an der Hochschule für Gestaltung, entwarf für Firmen wie BMW, Camper, Iittala, Kvadrat, Vitra und Zanotta vielfältige Produkte. Interessante Autos hat er seitdem natürlich auch besessen – den Understatement-Ferrari 456 GT, das eigenwillig-ikonische Saab 900 T Cabriolet. Irgendwann bröckelte sein Widerstand gegen die Sportwagen aus Zuffenhausen. Heute fährt Häberli zwei klassische Porsche: ein apartes 911 G-Modell von 1977 im aussergewöhnlichen Lackton Platindiamant mit Velour und Kork im Innenraum. Und einen eleganten 928 S4 in Oakgrün mit Ledersitzen in Sherwoodgrün aus dem Jahr 1991. „Da gibt es eine bestimmte Leichtigkeit, die man beim Fahren genauso spürt wie beim blossen Betrachten der Karosserien. Porsche hat es geschafft, eine Grundform zu definieren, die die Zeit überdauert, und dieser treu zu bleiben. Diese Art von Eigenständigkeit suche ich auch als Designer.“ Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Porsche Leidenschaft auch in Häberlis Arbeit Ausdruck fand: Gerade hat er einen Porsche 356 SC von 1964 in ein überraschendes Art Car verwandelt.
Die Idee für das Projekt entstand gemeinsam mit Sascha Leardi, dem Geschäftsführer des Porsche Zentrum Zürich, wo Alfredo Häberli auch seinen Elfer entdeckt hatte. Der Porsche 356 SC bot sich an – als ursprünglichste Manifestation der puristischen Philosophie und Designsprache. „Zunächst dachte ich an ein buntes, psychedelisches Motiv als Hommage an den Porsche 356, den Janis Joplin in den 1960er-Jahren bemalt hatte.“ Häberli blättert in seinem Skizzenbuch, zeigt, wie er mit den Linien der Karosserie spielte, die bestehenden Formen immer mehr aufnahm – und der Entwurf schliesslich von Seite zu Seite minimalistischer wurde. „Ich habe grossen Respekt vor der Arbeit von Ferry Porsche. Der Porsche 356 hat etwas sehr Monolithisches. Das ist mir vollends klar geworden, als wir das Auto zum Bemalen auseinandergenommen haben. Der Karosseriekörper wird eigentlich nur von vier Löchern unterbrochen – der Fronthaube, der Motorhaube im Heck und den zwei Türen. Es gibt sehr wenige Elemente, kaum Fugen, nur einige sparsame, aber spannungsgeladene Linien – wie bei einer abstrakten Skulptur von Hans Arp.“
Alfredo Häberli taucht immer mehr in die Poesie der Porsche Form ein, zeichnet im Schein seiner Schreibtischlampe die Schatten des Massstabsmodells, fährt Linien und Konturen mit dem Finger nach, um die Formensprache der Karosserie zu verinnerlichen. „Ich wollte mit der Kurve spazieren gehen, frei nach Paul Klee.“ Statt satter Farben wählt er drei monochrome Pastelltöne, die sich nur auf den zweiten oder dritten Blick von der elfenbeinweissen Karosserie abheben. Der Ansatz steht in starkem Kontrast zu den knallbunten, am Computer entworfenen Art Cars, die bei Instagram und Tiktok um die knappe Aufmerksamkeit der rastlos scrollenden User buhlen. Häberlis Entwurf ist eher ein Haiku als ein Hyper-Popsong. „Mit wenigen Elementen viel auszulösen, das ist auch mein Ziel als Designer. Ich nenne das die Ökonomie der Mittel.“
Diese Philosophie setzt sich auch in der Umsetzung fort: Statt den Porsche zu lackieren oder zu folieren, tragen Alfredo Häberli und sein Assistent Dominic Plüer die Farbe mit dem Pinsel auf, suchen die haptische Erfahrung des Karosseriekörpers. „Dass die Striche gegenläufig verlaufen, hat den Grund, dass ich den natürlichen Pinselstrich der Form, der Metallteile gesucht habe. Andere Striche kontrastieren um 90 Grad, laufen verschoben. Das betont die Form der einzelnen Teile.“ Der Arbeitsprozess ist minutiös geplant, von Kante zu Kante abgesprochen. Es ist eine anspruchsvolle Choreografie. Jeder Strich muss sitzen, Wiederholungen sind nicht vorgesehen. „Nach ein paar Stunden waren wir von der Konzentration, die diese Arbeit verlangt hat, sehr müde.“ Es ist ein intensiver Schaffensprozess. Und das Ergebnis fasziniert. Je länger man sich mit Alfredo Häberlis Porsche 356 beschäftigt, je näher man ihm kommt, desto mehr zieht er einen in seinen Bann.
Fototermin mit dem Designer und seinem Werk am Toni-Areal in Zürich-West. Einst wurden in der Fabrik Milchprodukte hergestellt, später nutzten Clubs wie die Tonimolkerei und die Dachkantine den urbanen Freiraum als Tanzfläche. Seit 2014 hat hier die Zürcher Hochschule der Künste – kurz ZHdK – ihren Sitz. Auch das Museum für Gestaltung, für das Alfredo Häberli schon als Student Ausstellungskonzepte entwickelte und wo 2008 seine erste Retrospektive zu sehen war, befindet sich im Gebäude. Während die Architekten EM2N den Innenraum der einstigen Milchfabrik komplett transformiert haben, blieb die geschwungene Betonrampe, auf der einst die Tanklaster aufs Dach des Gebäudes fuhren, bestehen. Die freischwebenden Kurven sind heute der Laufsteg, auf dem der Porsche 356 für die Kamera defiliert.
Es ist ein warmer Sommertag, die Sonne scheint grell, die filigranen Muster auf der Karosserie sind kaum zu erkennen. Keine leichte Aufgabe für den Engadiner Fotografen Andrea Klainguti, der das subtile Spiel der Farben und Strukturen einfangen soll. Doch dann beginnen die Schatten zu wandern: Wie unter einer gewaltigen Schreibtischlampe teilen sie die Rampen in immer neue, helle und dunkle Muster, rahmen den Porsche für Klaingutis Kamera ein wie ein Passepartout, bevor sie weiterziehen. Als die Sonne hinter den benachbarten Hochhäusern verschwindet, ändert sich auch der Charakter des kompakten weissen Sportwagens: Wo eben weisse Flächen wie Sonnensegel das helle Licht spiegelten, treten plötzlich neue Formen hervor. Das helle Gelb und das Pastellblau gewinnen an Kraft, lassen andere Elemente der Karosserie hervortreten, betonen den Schwung der Silhouette, verleihen dem 60 Jahre alten Entwurf eine neue, zeitgemässe Spannung. Und je näher man dem Porsche kommt, desto besser erkennt man die Struktur der Pinselstriche, die kleinen Unregelmässigkeiten, die so gut mit der skulpturalen Körperlichkeit der Karosserie harmonieren.
Alfredo Häberli lehnt sich über die Brüstung der obersten Rampe, blickt zufrieden hinab auf den Porsche, der auf seiner Betonkurve scheinbar schwerelos vor der Zürcher Skyline schwebt. „Ich kreise ständig um das Thema Leichtigkeit, ich bin immer auf der Suche nach der unperfekten Vollkommenheit. Mit wenigen Linien grosse Emotionen zu wecken, das ist mein grösstes Ziel.“ Der Anspruch findet sich auch in dem Titel wieder, den der Designer seinem Art Car verliehen hat: Das Gewicht der Leichtigkeit.
„Die schönste Wertschätzung für mich und meine Arbeit ist es“, so hat uns Alfredo Häberli zuvor in seinem Atelier mit Blick auf die von ihm gestalteten Gläser, Teller, Tassen, Sofas und Sessel verraten, „wenn Menschen meine Objekte zu Hause haben, mit ihnen leben. Das ist für mich, als würde ich einen Oskar gewinnen.“ Auch für seinen kunstvoll gestalteten Porsche 356 SC wünscht sich Häberli einen Besitzer, der seine Wertschätzung für Ferry Porsches Purismus und die Kunst der Reduktion teilt. Im Dezember wird das Art Car vom Auktionshaus Koller in Zürich versteigert, ein Teil des Erlöses wird an die Kinderkrebshilfe Schweiz gespendet.
Fotos: Andrea Klainguti