Manchmal lacht einem die Fortüne und man darf an einem tollen Geheimnis teilhaben. In diesem Fall waren es unsere Freunde von IWC, die mich im Februar fragten – einen Monat vor der offiziellen Einführung – , ob ich nicht Lust hätte, einen Prototyp der neuen IWC Ingenieur Automatic 40 für einen eintägigen „Feldversuch“ auszuführen. Ich war ekstatisch und sagte sofort zu. Weil diese spezielle Uhr sich sehr stark der ikonischen Uhrenkunst des verstorbenen genialen Designers Gerald Genta verdankt, dachte ich, es wäre vielleicht keine schlechte Idee, im Engadin zur Mission Design Spotting aufzubrechen. In diesem mondänen Tal gibt es vermutlich mehr elegante Stahluhren als sonst irgendwo auf der Welt, aber modernes Design steht dagegen weniger im Mittelpunkt. Mission impossible? Machen wir die Probe aufs Exempel.
9 Uhr: Starten wir unsere Geschichte im Suvretta House
Der Tag startet gehen 9 Uhr morgens im legendären, 111 Jahre alten Grand Hotel von St. Moritz, begleitet von eilfertigen Kellnern im Frühstücksraum und in der Lobby, dem Klimpern von Besteck und dem Zischen der aufgeschäumten Milch für die Hunderte von Portionen Cappuccino, die an diesem Morgen von den Hotelgästen genossen werden. Eine ermutigende Kakophonie an Geräuschen, die sich wie ein ganz realer Mix aus der Ästhetik von „Grand Hotel Budapest“-Schöpfer Wes Anderson und Tim und Struppi anfühlt und am Ende vielleicht beide Schöpfungen tatsächlich inspiriert haben mag.
Die ornamentalen Türen, Treppenaufgänge und die verzierten Decken sowie die opulenten Sofas der Lobby, die in einer Art Missoni-Muster gepolstert sind, bilden zwar eine stark kontrastierende Kulisse zur gerade gelieferten Uhr, bieten aber zugleich auch die perfekte Ausrede, um ihre Geschichte zu beleuchten. Im Speziellen die erste Ingenieur. Die wurde von IWC 1955 geschaffen – Modellreferenz 666 – und von Albert Pellaton entwickelt. Sie besaß einen revolutionären bi-direktionalen Aufziehmechanismus und was noch wesentlicher war: Ein Innengehäuse aus Weicheisen, dass vor Magnetfelder mit einer Stärke bis zu 1000 Gauss schützte.
Dieser Zeitmesser, der den Namen „Ingenieur“ erhielt, war für Professionals, für Fachleute, konzipiert worden. Ärzte, Radiologen, Wissenschaftler und natürlich Ingenieure. Menschen, welche die größtmögliche Präzision verlangten und deren Arbeit sie magnetischen Feldern aussetzte. Aber mehr noch, Individuen, welche die Grenzen der technischen Entwicklung neu vermaßen, typisch für den Optimismus der Nachkriegszeit. Was man allerdings auch wissen muss, ist, dass diese Uhr von einem Designstandpunkt aus eine elegante Uhr war, und noch dazu dezent. Meist wurde sie mit einem Krokoarmband getragen, dass in der opulenten Atmosphäre des Suvretta House nie deplatziert wirkte.
Dann, in den siebziger Jahren, änderte sich alles. Der US-Dollar wurde von den staatlichen Goldreserven entkoppelt, womit der Wert im Vergleich zum Schweizer Franken sank und Schweizer Uhren im Gegenzug sehr teuer wurden. Die globale Ölkrise veränderte die Autoindustrie, aber gleichzeitig wurde die Uhrenwelt mit extrem präzisen aber billigen Quarzmodellen aus Japan geflutet. Die gingen weder vor noch nach, verlangten keine aufwändigen Tourbillon-Gehäuse noch waren sie gegenüber magnetischen Feldern anfällig. Vor allem verlangten sie fast kaum noch einen Service.
Überall auf der Welt nahmen Menschen diesen neuen Lifestyle-Trend an – eine schlichte und rationale Philosophie, die am besten durch Braun-Designer Dieter Rams Ausspruch „gutes Design ist so wenig Design wie möglich“ verkörpert wurde. Man könnte auch sagen, eine extreme Version des alten Mantras Form folgt der Funktion.
Während ich über diese Entwicklungen nachdenke, suche ich zugleich in diesem Hotel nach eher unauffälligen Hinweisen auf modernes Design und werde in einem interessanten Raum nahe der Club Bar fündig. Wände und Decke sind überzogen mit sehr einfachen großen Holzpaneelen, die eine bewusst gestaltete und heimelige Atmosphäre schaffen. Der Kamin besteht aus großen Steinblöcken und sieht aus wie eine Stereoanlage von Bang & Olufsen. Die Ausgestaltung kontrastiert mit von lokaler Folklore inspirierten und leicht gruseligen Wandbildern von Ungeheuern, die angeblich hier in den Bergen hausen. Ein fremdartiger und faszinierend schöner Raum, der aber leider zu dunkel ist, um dort optimal fotografieren zu können. Um aber die neue IWC Ingenieur Automatic 40 mit der Kamera in Szene zu setzen, hole ich den von Rams für Braun designten Radiowecker hervor, den mir unser Chefredakteur anvertraut hatte und mache mich auf den Weg zu einem der Marmor-Brüstungen.
10.30 – 11.30 Uhr: James Turrells „Sky Spaces“-Turm in Zuoz
Die zylindrische Rotunde, die der Künstler in Zuoz gebaut hat, ist ein Ort der Stille und der Kontemplation. Die runde Öffnung in der Decke erlaubt die außerordentliche Wahrnehmung wie Licht und Farbe des Himmels und der Raum, den er erleuchtet, sich im Lauf von 24 Stunden wandeln. Irgendwie eine Art natur-basierter Uhr, aber eine, die Emotion misst. In ihrem Kern die gleiche Zeit, die eine römische Idee im Pantheon verfolgte, nur auf zeitgemäße Weise, ein bisschen wie der Zeitmesser, den ich gerade am Handgelenk trage.
Aber so wie der Innenraum des Pantheon einen ablenken kann, so fühlt es sich an, als ob der von Turrell geschaffene Raum eher meine Konzentrationsfähigkeit schärft. Wie wenn dieser Ort aussagen wollte: „Schau wie der architektonisch geschaffene innere Raum mit dem natürlichen äußeren zusammenwirkt.“ Es spielt mit der Idee, dass ein Kontrast erst die Essenz von etwas zur Wirkung bringt. Dieser Ansatz findet seine formale Entsprechung in der Form der Türöffnung, der Piz Uter nachempfunden ist – ein Berg auf der anderen Seite des Tals. Als Fotograf verstehe ich sehr gut den Wert, Aufmerksamkeit zu fokussieren. In „Sky Space“ zu sein, fühlt sich an wie im Sucher meiner Kamera zu sitzen.
Ich werfe einen Blick auf die Uhr und denke über Genta nach und wie der Begriff „Fokus“ in seinen Schöpfungen allgegenwärtig ist und auch die Art, wie er arbeitete, geprägt hat. Anscheinend hat er nie Skizzen angefertigt und wenn er einmal anfing zu zeichnen – immer im Maßstab 1:1 -, dann war das daraus resultierende Ergebnis zugleich auch das fertiggestellte Design. Diese Haltung ermöglichte, dass er fast im Alleingang die Schweizer Uhrenindustrie während der Quarzzeit mit seinem Dreiklang aus begehrten, legendären Sportuhren mit integrierten H-Link-Gliederarmbändern retten konnte. Diese Uhren ließen die Grenze zwischen eleganten Armbanduhren und praktischen Sportuhren, die täglichen Härten ausgesetzt wurden, verschwimmen. Alle drei schienen über Nacht entworfen worden zu sein. Die erste war ein Achteck – eine Form, von der Genta gefesselt schien -, die zweite eine Art Quadratur des Kreises, die dritte selbst vollkommen rund. Die IWC Ingenieur SL „Jumbo“ von 1976 mit Referenznummer 1832.
11.40 – 12.30 Uhr: Eine Begegnung mit dem Mercedes-Benz C111
Nicht ganz zufällig treffe ich vor dem Mittagläuten das Team von Mercedes-Benz Classic. Der Mercedes C111 war in Sachen Design und Engineering für die Autowelt so revolutionär wie es die Ingenieur für die Uhrenwelt war. Keilförmig, mit Flügeltüren, Schwebbögen, Klappscheinwerfer und einem mittig montierten Rotations-Wankelmotor. Könnte es denn sein, dass Bruno Sacco und Gerald Genta befreundet waren? War der Name der „Jumbo“ SL von dem kühnen Projekt aus Stuttgart inspiriert worden? Ich spiele mit diesem Gedanken, während ich in die sehr komfortable Kabine des Sportwagens schlüpfe.
Dieses futuristische Auto ist ein wie maßgeschneiderter Ort, um nicht nur die Ähnlichkeiten der Designansätze weiter zu vertiefen, sondern auch zu erkunden, was Genta tatsächlich in 1976 geleistet hat. Sein Konzept war schlicht, ästhetisch, nachvollziehbar, ehrlich, unauffällig und nachhaltig, wie die neue Uhr, die ich jetzt gerade trage, belegt. Sie erfüllt alle Punkte von Rams zehn Geboten guten Design und besitzt dazu auch einige ganz wunderbare Details: Das von Millimeterpapier inspirierte Zifferblatt, die Schrauben, mit denen die Lünette am Gehäuse fixiert ist, das integrierte und schön proportionierte Gliederband. Im Mercedes fiel mir eine ähnliche Herangehensweise auf. Der Anzeigenverbund am Armaturenbrett ist minimalistisch und klar übersichtlich, der Schaltknauf eine perfekte Stahlkugel, aber gerade das geflochtene Leder des Lenkrads oder das Stahlgeflecht am Motorraum verleihen diesem puren, vom Motorsport abgeleiteten Sportwagen ein gewisses Flair.
12.45 – 14.00 Uhr: Juliertheater und Ovaverva
Nach einem Ausflug im C111 möchte ich kurz den Ort verlassen und mir den berühmten roten Turm am Julierpass genauer ansehen. Er wurde von Giovanni Netzer, dem Kulturdirektor des Origen Festival, entworfen und geplant und muss zusammen mit dem Belvedere Hotel an der Furka-Passstraße zu den am häufigsten fotografierten Orte in den Alpen zählen. Im Inneren befindet sich ein Konzert- und Eventraum mit Platz für bis zu 220 Besuchern. Der Innenbereich, ebenfalls komplett in Rot, besitzt eine Bühne, die von der Decke an robusten Ketten aufgehängt ist und durch die Etagen via einem Seilzugsystem bewegt wird. Das harte winterliche Sonnenlicht trifft auf diese Struktur in einer Art und Weise, die jede Form in diesem Gebäude präzise hervorhebt. Ein Spiel von „Licht und Schatten“. Wieder eine Sonnenuhr mit epischen Proportionen, die mich denken lässt, ich befände mich auf dem Set eines Jodorowsky-Films wie seinem spektakulären „Dune“-Projekt. Aus dem Raum muss dieses Konstrukt wohl aussehen wie eine Uhrenkrone.
Die Ovaverva ist nicht minder beeindruckend. Hier befindet sich das öffentliche Bad von St. Moritz, das von den besten modernen Bauprinzipien geleitet worden ist: Ein ausgedehntes Gebäude aus weißem Marmor und Beton, dessen reflektiertes Licht mich blendet. Eine schlanke Kolonnade trägt ein geradezu schwebendes Dach und die Struktur lässt den Übergang zwischen inneren und äußeren Räumen fließend erscheinen.
Diese Architektur kontrastiert mit den umgebenden vielfältigen Stadthäusern wie die überlegte Gestalt des Juliertheaters mit den umgebenden Bergen – aber in beiden Fällen spürt man auch den Respekt, welcher dem Umfeld gezollt wird. Ich wage einen kühnen Vergleich, wenn ich dieses Phänomen in das übersetze, was IWC Creative Director Christian Knoop mit der Uhr, die ich trage, geleistet hat. Er hat sich nicht an die Geschichte geklammert, sondern, wiewohl er größten Respekt für diese Heritage pflegt, hat er auch das, was ihm wesentlich erschien, optimiert und neu gedacht.
Die Ingenieur Automatic 40 von 2023 trägt sich selbst auf meinem geradezu mädchenhaft zarten Handgelenk sehr gut. Das liegt daran, dass das erste mittige Glied nicht ein statisches „nasenförmiges Horn“ ist, dass ins Gehäuse integriert ist. Jetzt ist es beweglich geworden und bietet dadurch eine verbesserte Ergonomie. Die „Butterfly“-Schließe verschwindet im Gliederarmband und verlängert das H-Link-Design, wobei die oberen Elemente geschlossene Glieder ohne sichtbare Stifte haben. Das Zifferblatt zeigt ein neu interpretiertes „Raster“ an Linien, die jetzt um 90 Grad verschoben sind. Der Glasdeckel ist leicht gekrümmt, um damit die Wahrnehmung der Proportion zu verbessern. Der auffälligste Unterschied ist der Zusatz eines äußerst praktischen Kronenschutzes und die Tatsache, dass die fünf mehreckigen Schrauben, welche die Lünette am Gehäuse befestigen, jetzt nicht mehr wie zufällig gesetzt wirken, sondern eine Funktion erhalten haben.
14.30 – 15.30 Uhr: SMTC Club House und zwei einzigartige Privatresidenzen
Um einer klassischen Destination von St. Moritz meine Aufwartung zu machen, schaue ich auch bei dem fantastischen Clubhaus im Midcentury-Stil des legendären Cresta Run vorbei. Dieses Gebäude, das selbst schon beanspruchen darf eine Ikone darzustellen, hat Persönlichkeiten wie Constantin von Liechtenstein, Gianni Agnelli, Gunther Sachs und noch einige Lords und Sirs erlebt und wie sie den Vorsitz bei diversen Besprechungen führten. Dazu gehörten nicht nur, sich Kopf voraus todesverachtend eine Skeletonbahn – die erste weltweit - hinunter zu stürzen, sondern auch einige recht exzentrische Rituale und Traditionen. Übrigens ist der offizielle Partner für die Zeitmessung des SMTC und des Cresta Run…IWC! Tribut gezollt? Und weiter geht’s.
Ich lege auch kurz einen Stopp ein bei zwei zeitgenössischen Häusern. Das eine heißt Chesa Futura – Haus der Zukunft in Rätoromanisch – und stammt von Foster and Partners. Es passt hervorragend zu meinem heutigen Thementag, weil es die Vergangenheit und den aktuellen Kontext neu vermisst, um eine sinnvolle Zukunft zu gestalten. Leider ist Sir Norman Foster nicht zuhause, sonst hätten wir diese Überlegungen noch vertiefen können, so aber genieße ich für mich allein diese riesige hölzerne Bohne – eine Vermählung von innovativsten computergestützten Designwerkzeugen mit uralten Konstruktionstechniken. Ähnlich wie die Henry Moore-Skulptur unterhalb dieser Erscheinung.
Das nächste Haus ist die sehr rohe und einfache Chesa Campanille. Das Gebäude erstreckt sich nach oben und bietet den Apartments einen Blick auf den berühmten „schiefen Turm“ von St. Moritz, ein markantes Memento der Bergrutsche und Murenabgänge, die diese Region immer wieder heimsuchen. Ich betrachte es aus der Nähe, weil das Gelände nicht eingezäunt ist und berühre die breiten, nur groß abgesägten Lärchenbretter, die für die Fassadenverkleidung benutzt wurden. Wieder einmal wird mir vor Augen geführt, wie Details die Wahrnehmung unterfüttern und wie gut gestaltete Oberflächen unser Erlebnis von Objekten vertiefen. In diesem Beispiel das Urmaterial Holz. Bei meiner Uhr ist es die Verbindung von satinierten und polierten Oberflächen von Gehäuse und Gliederarmband.
16.00 – 17.00 Uhr: Nomad Circle
Der Tag endet mit einer reisenden Kunst- und Designmesse mit Namen Nomad Circle, die an diesem Wochenende einen temporären Ausstellungsort in den Tiefen des noch nicht fertigen Hotels Grace La Margna gefunden hat. Während ich die vielen präsentierten Dinge bewundere wie beispielsweise Alexander Calder-Wandteppiche, Man Ray-Grafiken, Christos Zeichnungen und Werke des aktuellen SMTC-Präsidenten Rolf Sachs, bekomme ich den Eindruck, dass diese anfangs herausfordernde Mission des Design Spotting in einem Ort, der wie eine Zeitkapsel wirkt, gar nicht mal so schwierig war.
Und wieder einmal tauche ich ein in eine Welt aus Formen, Texturen und bahnbrechenden Einfällen. Jetzt ist der ideale Moment, um darauf hinzuweisen, dass die Ingenieur Automatic 40 nicht nur aus Stahl, sondern auch aus Titan erhältlich ist, mit drei optionalen Zifferblätter in schwarz, Silber oder in einem bläulichen Türkis, welches das Unternehmen „Aqua“ getauft hat. Weitere Optionen werden bestimmt noch folgen. Somit sind meine acht Stunden im Herzen des Engadins absolviert. Noch ein letzter Blick auf die Uhr, bevor ich sie wieder aushändigen muss und bevor ich dann meine eigene besitzen werde. Was der Fall sein wird.
Fotos: Błażej Żuławski