Direkt zum Inhalt

Magazin

Was ist cooler als cool? Der Rolls-Royce Corniche für die Rallye Paris-Dakar

1981 starteten zwei mutige Franzosen mit einem stark modifizierten Rolls-Royce Corniche zur Rallye Paris-Dakar. Am letzten Wochenende tauschte der Luxus-Offroader den Sahara-Sand gegen das Eis von St. Moritz. Wir baten unsere Freunde von Aguttes um eine Spritztour bei Minusgraden...

Unter den Autos, auf die wir uns in St. Moritz während des Ice Concours of Elegance 2022 am meisten gefreut haben, war weder ein besonders wohlproportionierter Maserati mit separatem Rahmenchassis noch ein nur einmal existierender Mercedes-Benz-Rennwagen, sondern das uneheliche Kind eines Rolls-Royce, eines Chevrolet und eines Toyota HJ45. Wir treffen uns mit Gautier Rossignol, dem Leiter der Abteilung für Sammlerfahrzeuge beim Auktionshaus Aguttes, um „Jules“ näher kennenzulernen. 

Abgesehen davon, dass ihnen die besten Ideen unter der Dusche oder auf dem Klo kommen, haben die meisten Kreativen nur dann wahre Aha-Erlebnisse, wenn sie völlig entspannt sind und vor Ideen übersprudeln, ohne ernsthaft daran zu denken, sie zu verwirklichen. Das bedeutet, dass diese Konzepte manchmal bei einer Flasche Wein oder zwei... oder drei geboren werden. Genau das ist Thierry de Montcorgé und Jean-Christophe Pelletier passiert, als die beiden ziemlich angeheitert beschlossen, den Rolls-Royce Corniche von Pelletier in ein Modell für die Wüstenrallye Paris-Dakar zu verwandeln. Und nur sechs Monate später wurde aus einem Auto, das wegen seiner Unzuverlässigkeit buchstäblich unbrauchbar war, eine Dakar-Legende geboren.

Doch zunächst ein wenig Hintergrund. 1981 fand die von Thierry Sabine ins Leben gerufene Paris-Dakar erst zum dritten Mal statt. Im Vergleich zur modernen „Dakar“ noch eine kleine Veranstaltung, die wenig mit dem Mega-Event von heute zu tun hatte, das professionell organisiert und mit Sponsoren gespickt ist sowie weltweit übertragen wird. Es war eher ein Neujahrsausflug von Paris runter ans Mittelmeer und - nach einer Fährpassage - dann weiter quer durch Nordwest-Afrika bis in die Hauptstadt des Senegal, Dakar. Doch Unternehmen wie Land Rover witterten bereits das Werbepotenzial und schickten einen Range Rover V8 ins Rennen, auf dem René Metge prompt das Klassement der Autos gewann. Auch der legendäre und spätere (1983) Dakar-Sieger Jacky Ickx schnupperte erstmals Wüstenluft, sah aber auf seinem zusammen mit dem Schauspieler Claude Brasseur gesteuerten Citroën CX nicht das Ziel. Aber auch wenn die Atmosphäre etwas entspannter war als heute, wurde der „Jules Dakar Prototyp" am Starttag 1. Januar 1981 als ein kleiner Scherz angesehen. Aber war er das wirklich? 

„Das Auto wurde sehr schnell gebaut, in etwa sechs Monaten, jedoch erfolgte der Umbau durchaus gut durchdacht“, sagt Gautier. „Um Gewicht zu sparen, wurden alle Karosserieteile, mit Ausnahme der Türen, durch Teile aus Glasfaser ersetzt und um maximale Steifigkeit zu erzeugen, kam ein Rohrrahmen-Chassis samt einfachem Überrollkäfig zum Einbau. All dies wurde dann mit einem Toyota HJ45-Antriebsstrang mit robusten Starrachsen, Blattfedern und je zwei Stoßdämpfern pro Rad verbunden.“

Der seidenweiche 6,75-Liter-Rolls-Royce-Motor wurde zugunsten eines kugelsicheren und charakterstarken 5,7-Liter-Chevy „Small Block“ mit 350 PS und 530 Nm Drehmoment ausgetauscht. Wie sich Thierry de Montcorgé später erinnerte, erreichte Jules auf Schotterpisten mühelos 150 km/h, auf einer normalen Asphaltpiste waren fast 200 km/h drin. „Das Erstaunlichste war, dass sie irgendwann bis auf den 13. Platz im Gesamtklassement vorkamen und so den Konkurrenten das anfängliche sarkastische Grinsen aus den Gesichtern wich“, fügt Gautier hinzu.

Das überrascht nicht im Geringsten. Abgesehen davon, dass er äußerst komfortabel ist und Teile der Holzverkleidung aus optischen Gründen beibehalten wurden, ist Jules tatsächlich ziemlich clever konstruiert. Mit einem Front-Mittelmotor-Layout - der Motorblock sitzt weit hinter der Vorderachse - ist die Gewichtsverteilung genau richtig, wobei der 400-Liter-Tank im Kofferraum als Gegengewicht dient. Mit einem Gewicht von 1440 kg und fetten Offroad-Reifen bewältigte er Dünen, in denen andere stecken blieben, mit großer Leichtigkeit. Und anders als in seinem früheren Autoleben als Privatwagen von Pelletier blieb er auch nicht liegen.

„Die leichte Karosserie machte das Auto erstaunlich sparsam. Montcorgé und Pelletier berichteten von Verbräuchen zwischen 14 und 18 Liter pro 100 km Rallye-Etappe. Eine beachtliche Leistung, denn sie hatten viel mehr erwartet, da sich das Serienfahrzeug auf offener Straße leicht 20 Liter pro Kilometer genehmigte“, ergänzt Gautier.

Und was hat es mit dem Namen auf sich? Um ihr Rallye-Projekt zu unterstützen, wandte sich das Duo an Christian Dior, der gerade ein neues Herren-Aftershave namens Jules auf den Markt gebracht hatte. Das Sponsoring war ein Risiko für ein Haus, das normalerweise nicht mit dem Motorsport in Verbindung gebracht wurde. Aber es sollte sich lohnen. Jules war ein Medienhit und brachte umgerechnet 3 Millionen Franken an Berichterstattung ein, auch wenn er am Ende der Rallye gegen einen Baum prallte und dabei stark beschädigt. 

Am Ende kamen de Montcorgé und Pelletier immerhin noch in Dakar an, aber die Zeit, die für die Reparatur des Unfallschadens verstrichen war, ließ sie aus der Wertung fallen. „Dennoch ist dies ein Auto, das jeden, der es auch nur ansieht, sehr glücklich macht“, bemerkt Gautier, während uns ein Subaru Impreza STI-Fahrer einen „Thumbs up“ zeigt. Nur Rolls-Royce war nicht happy, verbot sogar, den Firmennamen im Zusammenhang mit Jules zu verwenden. Das hielt die Briten allerdings nicht davon ab, bei der Vorstellung des SUV Cullinan im Jahr 2018 ein Bild zu veröffentlichen, das Jules 1981 in der Wüste zeigt. Ich schätze, die Zeiten ändern sich!

Fotos: Błażej Żuławski für Classic Driver © 2022