Passenderweise hat Artcurial die Rétromobile in Paris auserwählt, um den nur einmal hergestellten und seit 1967 nur im Museum zu besichtigenden Dino Berlinetta Speciale erstmals wieder einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Denn es war eben 1965 auch in Paris und auf dem Ausstellungsgelände an der Porte de Versailles, als Pininfarina mit der Enthüllung des reizvollen Mittelmotor Coupés Messebesucher wie Motorjournalisten im positiven Sinne schockte. Die Reaktionen waren so enthusiastisch dass sich Enzo Ferrari danach zum Serienbau seines ersten Mittelmotor-Sportwagens – des V6-Dino 206 GT respektive 246 GT/GTS – durchrang. Diese neuen Einstiegsangebote federten nicht nur das finanzielle Polster der Marke ab, sondern begründeten auch eine neue, zuletzt im turbogeladenen Ferrari 488 GTB gipfelnde Modelllinie.
Von den ersten Skizzen seines Designers Aldo Brovarone bis zum Pariser Showdebüt dauerte der Aufbau des Berlinetta Speciale kaum sechs Monate. Als Skelett wählte Pininfarina den Gitterrohrrahmen eines Renn-Dino 206P. Mit dem Stempel für die Chassisnummer 0840 wurde es direkt von Enzos Rennsportabteilung SEFAC bezogen. Das Auto ist auch deswegen historisch bedeutend, weil es der letzte Ferrari war, an dem der 1966 verstorbene Firmengründer Battista „Pinin“ Farina noch beteiligt war. Die Proportionen des speziell rund um die Räder sinnlich geformten Berlinetta Speciale sind ungewöhnlich. Die Feststellung, dass Auto sei flach, ist noch ein Understatement. Die sinnlich-kurvige Karosserie ist selbst für 60er-Jahre-Standards äußerst flach und zierlich, nahm jedoch später im 206, 246 GT und danach auch im 308, 328 und 288 GTO wieder aufgetauchte Details vorweg.
Neben den Details, die es bis in die Serie schafften – die verlängerten seitlichen Lufteinlässe, die konkav gewölbte Heckscheibe sowie die weit hochgezogenen und kurvigen vorderen Radkästen – atmet das Auto über das scharf abgeschnittene Heck auch die Aura der legendären Ferrari-P-Wagen. Die hinter Plexiglas-Abdeckungen sitzenden Doppelscheinwerfer hingegen sind typisch für Mitte der 1960er Jahre und tauchten ganz ähnlich zum Beispiel bei Prototypen von Matra auf. Der „Commendatore“ soll dem Vernehmen nach nur die Abmessungen des Dino kritisiert haben – kein Wunder angesichts seiner stattlichen Statur. Schon Personen in Normalgröße haben Mühe, sich über die breiten seitlichen Rennsporttanks hinweg in das passgenau geschnittene Cockpit zu schlängeln. Doch lohnen sich solche Verrenkungen. Denn innen präsentiert sich der Speciale als ein sowohl funktionaler wie eleganter und auf das Wesentliche reduzierter Arbeitsplatz. Die fest montierten Sitze (noch ohne Kopfstützen) sind mit cremigem Leder überzogen, die Rundumsicht ist erstaunlich gut und der Blick auf die Instrumente fällt ungehindert durch ein wunderschön gestyltes Dreispeichen-Lenkrad. Bei allem ahnt man die unter der Haut verborgenen Rennsport-Gene. Eine ehrliche Aussage, anders als bei zahlreichen modernen Sportwagen in limitierter Auflage, bei denen die Verbundenheit zur Rennstrecke eher gequält und künstlich wirkt.
Nach dem Tod von Battista Pininfarina – seit 1961 trug er seinen Spitznamen im Familiennamen – entschied sich der Le Mans-Veranstalter ACO (Automobile Club de l’Ouest), den Platz vor seinem Museum nach dem großen „kleinen“ („Pinin“ heißt auf Piedmontesisch „der kleine“ oder der „jüngste“) Mann zu benennen. Im Gegenzug vermachte sein Sohn und Nachfolger Sergio dem Museum 1967 mit dem Segen Enzo Ferraris den Berlinetta Speciale. Seitdem stand das Auto dort trocken und sicher, denn der ACO hegte lange Zeit keine Verkaufsabsichten. Erst als frisches Geld zur Renovierung des Museums benötigt wurde, entschieden sich die Franzosen anders, zumal das Modell ja auch keinen direkten Bezug zum 24-Stunden-Rennen hatte.
Der Verlust des ACO wird nun zum großen Glücksfall eines Sammlers. Denn der Prototyp kehrt zurück nach Paris, wo er am 10. Februar 2017 zu einem Schätzpreis von vier bis acht Millionen Euro bei Artcurials Rétromobile-Auktion antritt. Laut Artcurial ist das Auto jedoch nicht fahrbar – Motor und Getriebe sind nicht in „working order“, auch wenn der in der offenen Schaltkulisse steckende Ganghebel scheinbar zum Losbrausen animiert. Da wundern wir uns schon, was es wohl an Zeit und Geld kosten wird, das gute Stück wieder zum Laufen zu bringen. Nichtsdestotrotz steht dieses Unikat für eine komplett neue Design- und Technik-Ära Ferraris – was es historisch so ungemein wertvoll macht. Der Dino-Vorläufer ist aber auch betörend schön und verdient eine Bühne, die ähnlich wie das Le Mans-Museum Menschen die Möglichkeit bietet, eine der aufregendsten und wichtigsten Konzeptstudien des Automobildesigns zu bestaunen und zu würdigen.
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Artcurial © 2017