„Zugegeben, viele Mädels in meinem Alter würden jetzt ein Glas Champagner an der Hamburger Alster oder in irgendeinem stylischen Club vorziehen. Für mich aber bedeutet es, gerade hier in Dakar meinen Geburtstag zu feiern, den Himmel auf Erden“, erzählt Marnie Brandenburg mit sonnenverbrannter Nase und angesengtem Rennanzug. Die 30-jährige hat gerade die knapp 6.000 Kilometer lange Tortour des AfricaEcoRace hinter sich gelassen und sogar noch einen Klassensieg eingefahren. Zusammen mit ihrem Vater, ihrer Schwester, ihrem Cousin und Freunden sind sie auf eigener Achse per MAN Truck aus Norddeutschland zur technischen Abnahme nach Monaco gereist, um dann per Schiff nach Tanger in Marokko überzusetzen. Dort, wo Mittelmeer und Atlantik ineinanderfließen. Im Gepäck: Zwei Porsche 911 und ungefähr 700 Ersatzteile.
Im Jahr 2009 wurde das AfricaEcoRace unter anderem von Weltmeister und Rallyelegende Jean-Louis Schlesser ins Leben gerufen. Denn im Jahr zuvor entschied sich das Renn-Komitee der Rallye Paris-Dakar, das legendäre Rennen aufgrund ernsthafter Terrorwarnungen abzusagen. Später entschloss man sich dann zu einer Verlegung der Strecke – die Gefahren unterwegs schienen dauerhaft einfach zu groß. Zwischenzeitlich führte die Paris-Dakar eine zeitlang durch Südamerika, aktuell findet sie in Saudi Arabien statt. Das Vollblut-Trio Schlesser, René Metge und Hubert Auriol hingegen wollten am legendären Streckenverlauf festhalten, egal welche Risiken unterwegs auch warteten. Mittlerweile genießt das AfricaEcoRace unter Zwei- und Vierrad-Enthusiasten Kultstatus.
So wie für Marnie und ihre Familie. Ihr Logbuch für die 16-tägige Rallye durch die Westsahara und Mauretanien in das senegalesische Dakar liest sich wie das Drehbuch eines Mad-Max-Films. Benzin ist auch hier das Gold, das etappenweise und per Hand aus Fässern in die Tanks der Fahrzeuge gepumpt werden muss. „Das AfricaEcoRace ist einfach unglaublich! Es ist ein absolut extremes Abenteuer. Jeden Tag sammeln wir so viele Eindrücke, die man kaum verarbeiten kann, aber am Ende den eigenen Geist total erweitern. Die Menschen hier, das Land, die Tiere sind faszinierend – vor allem, wenn du mit Tempo 160 plötzlich Dromedaren ausweichen musst, weil sie mitten auf der Strecke hocken“, erinnert sich Marnie.
„Zwischenzeitlich holt einen die Armut der Menschen hier dann aber auch auf den Boden zurück. Wenn aber Optimismus ein Zuhause hat, dann hier in Afrika. Die kleinen, glücklichen Kinder, die sich riesig freuen, wenn man ihnen sein Lunchpaket schenkt. Jeden Tag passiert so viel, und trotzdem bleibt das Wichtigste das Rennen selbst und sich auf die Strecke zu konzentrieren“, so die 30-jährige Hamburgerin.
Die angehende Medizinerin ist nicht zum ersten Mal auf einer professionellen Rallye dabei. Marnie hat bereits in Turkmenistan an der Turkmen Desert Rallye entlang der Seidenstraße,teilgenommen und an kleineren Wettbewerben wie der San Marino Rallyelegend. Wasser ist wohl auf jedem dieser Events das wichtigste Gut. Dass es sich auch lohnt, einen Feuerlöscher dabei zu haben, stellte die Crew dann irgendwann im Senegal fest. Ein Kabelbrand mitten in der Wüste entfachte den Motorraum und sprang auf das Cockpit über.
Die junge Pilotin drückte geistesgegenwärtig den Not-Aus-Schalter, zückte den Feuerlöscher und löschte das Übel. „Es war ziemlich knapp, fast hätte der ganze Porsche Feuer gefangen. Wenn man keine Absicherung des Veranstalters durch begleitende Helikopter gehabt hätte, wer weiß, was dann passiert wäre. Vor 30 Jahren hätte das sicher anders ausgesehen. Auf uns prasseln jeden Tag so viele unglaubliche Momente ein. Diesen aber werde ich sicher so schnell nicht vergessen.“
Doch die Rallye hatte sich bereits ein weiteres episches Abenteuer für die Teilnehmer ausgedacht. Für Marnies Vater Erik im zweiten luftgekühlten Elfer des Teams, sollte der nächste Tag eine Wendung nehmen, die buchstäblich niemand vorhersehen konnte: Der höhergelegte Safari-Porsche unternahm einen packenden 30-Meter-Flug über eine nicht einsehbare Düne. Der Sportwagen schlug hart auf und die Insassen an die Decke. Nachdem alle kurz Schwarz sahen, blickten sie auf eine gerissene Radaufhängung. Zum Glück war der MAN mit den nötigen Ersatzteilen nicht weit. Ein tiefer Riss war in das Chassis des Wagens gedrungen, und der rechte Vorderreifen stand abnorm zur Fahrtrichtung.
Die vielen Stunden der Vorbereitungen und das Vertrauen in den Porsche waren auf einmal nichts mehr wert. Das Team musste erneut mit einer Panne kämpfen, die nicht nur die Moral, sondern auch die physischen und mentalen Grenzen auf eine harte Probe stellte. Aber so tickt das Leben eben auf einer Rallye. Material und Mensch kommen an ihre Grenzen. Beide Pannen bewiesen jedenfalls demonstrativ, wie schnell sich das Blatt wenden kann. Fegten die Brandenburgs eben noch über die afrikanische Savanne hinweg, wurde zwei Mal fast das vorzeitige Ende eingeläutet. Der fliegende Porsche musste irgendwann dann doch auf den Hänger, der Riss im Chassis war zu elementar. So setzten Vater und Tochter gemeinsam in einem Auto die Rallye fort – und holten am Ende sogar noch den Klassensieg. Trotz der unbändigen Kraft der Natur, siegte einmal mehr der Spirit der unerschütterlichen Teilnehmer.
Ob Solarangetrieben, auf zwei Rädern oder eben per luftgekühltem Porsche ohne Klimaanlage – die endlosen, von Mondlandschaften dominierten Weiten Nordafrikas, die steilen Dünen, der heiße Wind und die eiskalten Nächte stellen die Teilnehmer immer wieder vor neue Herausforderungen. Während am Ende eines jeden Tages der Staub sich legt und die Fahrzeuge jedes Mal wieder in ihre Lager finden, wird eines klar: Diese Rallye ist mehr als nur ein Wettkampf – sie ist eine Reise zur Selbsterkenntnis an einem der unbarmherzigsten Flecken der Erde. In den mobilen Zeltdörfern überwiegt am Ende jedenfalls das Gefühl der glücklichen Erschöpfung. „Das AfricaEcoRace, die alte Rallye Paris-Dakar, ist eine absolute Reizüberflutung – und ich liebe es“, schwärmt Marnie Brandenburg und genießt ein letztes Mal die afrikanische Abendsonne.
Verfolgen Sie Marnie in voller Fahrt
Text: Bastian Fuhrmann
Fotos / Film: Alexis Blondel, Cedric Bret, Jorge Cunha, Nuno Antunes