http://www.classicdriver.com/de/car/lancia/flavia/1966/907492
Eine der vielen großartigen Eigenschaften der historischen italienischen Karosseriebauer und Designstudios bestand darin, dass sie nie allzu viel Geld zur Verfügung hatten, mit denen sie nach Gutdünken um sich werfen konnten. Was dazu führte, dass ihre Prototypen oft zum persönlichen Transportmittel ihrer Schöpfer wurden. Während größere Unternehmen solche Vorserienmodelle nach ihrem ersten Einsatz meistens verschrotteten, konnten die italienischen Exoten überleben und zu historischen Beispielen automobiler Kunst werden.
Genau verhält es sich mit diesem spektakulären Lancia Flavia SS Zagato, der kürzlich in den Ausstellungsraum von Weekend Heroes gerollt ist. Dem Münchener Autohaus von Christophe Schmidt, ehemaliger olympischer Snowboarder und langjähriger Freund von Classic Driver.
Lancia-Fans werden die 1960 auf dem Turiner Salon vorgestellte Flavia Limousine kennen, von der Pininfarina und Vignale in kurzer Zeit hübsche Coupé- und Cabriolet-Versionen entwickelten. Fast ebenso schnell bei der Sache war der junge Zagato-Chefdesigner Ercole Spada, der 1962, im Alter von nur 25 Jahren, die unverwechselbaren Linien des Flavia Sport Zagato entwarf. Ein komplett aus Aluminium gefertigter „Special“ mit einem zwischen Motorhaube und Bugpartie quer „durchbrochenen“ Kühlergrill, kühn geschwungenen Seitenfenstern, die bis in die Dachpartie hineinragten und einer Heckscheibe, die sich unabhängig vom Kofferraumdeckel per Knopfdruck um einige Zentimeter öffnen ließ, um so das Cockpit zusätzlich zu kühlen.
Anfangs trieb der 1488 cm³ große Boxermotor der Limousine den Flavia Sport an. Spätere Versionen rüstete Lancia mit dem 1,8-Liter-Aggregat auf, und die letzten 32 der 670 gebauten Fahrzeuge erhielten eine Benzineinspritzung, die die Höchstgeschwindigkeit auf 200 km/h erhöhte. Die Produktion des Flavia Sport Zagato endete 1967 – aber nicht bevor der stets kreative Spada sich daran gemacht hatte, ihn in der noch radikaleren Form einer „SS“-Version neu zu erfinden. Der einzige Entwicklungsprototyp von ist das hier abgebildete Auto, während ein zweiter Zweiliter-Prototyp in der Sammlung Lopresto steht.
Der als Design- und Aerodynamikstudie gedachte „SS“ hatte einen kürzeren Radstand als der Sport und eine Karosserie, die dem 21. Jahrhundert näher zu stehen schien als dem 20. Ein kurvenreicher, glatter Keil, der aus manchen Blickwinkeln wie ein Maserati Bora und aus anderen wie ein Baby-Alfa Romeo Montreal aussah. Er war zugleich einer der ersten, der ohne umlaufende Stoßstangen auskam und rollte auf einem Satz futuristisch anmutender, turbinenähnlicher Felgen, die Spada eigens für ihn entworfen hatte.
Spada, der für sein minimalistisches Stilverständnis bekannt war, hielt sich bis auf zwei Details mit Dekorelementen zurück: das erste in Form eines gebürsteten Metallstreifens, der von den A-Säulen aufsteigt und bis zu den äußersten Punkten der Seitenfenster verläuft, um deren fast blattähnliche Form zu betonen, und das zweite in Form des kühnen Schriftzugs „Flavia“, der in verchromten Buchstaben mit modernistischem Schrifttyp auf den hinteren Flanken angebracht ist.
Der Wagen war so radikal, dass ihm das Magazin Style Auto in seiner Ausgabe vom 15. April 1967 einen 14-seitigen Artikel widmete, der auch Beispiele von Spadas Originalzeichnungen enthielt. Außerdem gab es Abbildungen, die den Wagen mit der Flavia-Limousine verglichen, aus der er hervorgegangen war, Schnittzeichnungen, um die Ergonomie des Innenraums zu demonstrieren und Aufnahmen des Autos, wie es auf seine aerodynamische Effizienz geprüft wurde – was zu umfangreichen Änderungen an Heck- und Bugpartie führte.
Den Löwenanteil der Entwicklungstests, unter anderem in Monza, führten Elio Zagato und Spada persönlich durch. Und der Auftritt des „Super Sport“ als Hauptattraktion auf dem Zagato-Stand des Turiner Salons von 1967 unterstrich die klare Absicht, ihn als Serienmodell anbieten zu wollen. Letztendlich kam der Wagen aber schlicht zu spät. Lancia verlor rapide an Geld, und angesichts des bevorstehenden Übernahmeangebots durch Fiat war weit mehr als ein exotisches Sondermodells nötig, um die Unabhängigkeit des Unternehmens zu bewahren.
Doch Elio Zagato war so beeindruckt von dem Auto, dass er es für seinen persönlichen Gebrauch behielt und in den folgenden fünf Jahren regelmäßig fuhr. Dann verkaufte er es an einen Schweizer Liebhaber, der es bis 1998 pflegte. Von dort gelangte der Lancia nach Deutschland und in die Hände seines derzeitigen und erst dritten Besitzers.
Heute präsentiert sich der „Super Sport“ aus zwei Gründen in einem wirklich hervorragenden Zustand. Zum einen wurden Karosserie und Mechanik ohne Rücksicht auf die Kosten restauriert, zum anderen ist auch die originale Innenausstattung über die Jahrzehnte hinweg nahezu perfekt erhalten geblieben. Ein Blick in den Innenraum genügt, um sich direkt ins Jahr 1967 zurückversetzt zu fühlen. Die maßgeschneiderten Schalensitze und die massive Querstrebe zwischen den hinteren Aufhängungsdomen deuten an, dass dieses Auto hart gefahren werden will. Das große Dreispeichen-Lenkrad, der lichte Innenraum und das wunderschön verkleidete und ausgestattete Armaturenbrett deuten andererseits darauf hin, dass der SS auch für schnelle und bequeme Tourenfahrten geeignet sein könnte.
Die einzigartigen, von Spada entworfenen Felgen sind auch immer noch vorhanden und verleugnen mühelos ihre 55 Jahre. Und der kühne „FLAVIA“-Schriftzug ist so aktuell wie die Schriftzüge auf den Rückseiten der neuesten Modelle von Bentley und Audi. Aber was uns am Flavia SS Zagato als Einzelstück wirklich anspricht, ist, dass er trotz seines einzigartigen Status wie ein Auto aussieht, das man tatsächlich NUTZEN könnte. Wenn Sie das auch so sehen – und die Verantwortung für ein einzigartiges Stück italienischer Automobilgeschichte übernehmen können – wartet Christophe Schmidt auf Ihren Anruf.
Fotos: Stephan Bauer © 2022 / Style Auto via Weekend Heroes