Wie so viele andere längst vergangene und große Marken war auch Delage nicht immun gegen den unerbittlichen Lauf der Zeitläufte. Heute ist diese französische Marke weitgehend unbekannt, doch im Europa der Vorkriegszeit stand Delage an der Spitze der Leistungspyramide und konkurrierte auf den Rennstrecken des Kontinents mit Größen wie Bugatti um Ruhm und Ehre. Das 1905 von Louis Delage gegründete Unternehmen hatte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eine Vielzahl ikonischer Modelle entwickelt, darunter den wunderbaren Delage D8-120 S von De Villars, über den wir vor kurzem berichtet haben, den 15.S.8 – ein bereits einsitziger Grand-Prix-Rennwagen, der Robert Benoist 1927 zum Weltmeister machte - und natürlich den D6 3 Liter.
Der D6 3 Liter, auch bekannt als Olympic, sollte Delage nach der Übernahme der Marke durch den in Frankreich lebenden britischen Geschäftsmann Walter Watney im Jahr 1935 den Wiederaufstieg in die Königsklasse des Motorsports ermöglichen. Acht D6 3 Liter wurden für den Wettbewerb gebaut. Der erste wurde 1936 fertig, die letzten fünf kamen 1946 nach Kriegsende heraus. Wenn man kurz rechnet, bleiben zwei Autos übrig, und diese hellblaue Schönheit ist eines davon.
Der Held unserer heutigen Geschichte, Chassis #51821, wurde zusammen mit seinem Schwesterauto, Chassis #51820, für den Einsatz bei den 24 Stunden von Le Mans des Jahres 1939 aufgebaut. Er entging dem feurigen Schicksal seines Stallgefährten – nach Unfall ausgebrannt – und kann bis heute auf eine lückenlose Geschichte zurückblicken.
Gebaut von Mechaniker/Fahrer Maurice Varet – der ein Delahaye 135 Course Chassis als Basis verwendete – und mit einer Karosserie von Olivier Lecanu-Deschamps rollten #51821 und #51820 nicht unerprobt an die Sarthe. Eine Reihe von Renn- und Testeinsätzen, unter anderem beim Grand Prix von Antwerpen (den Georges Monneret am 21. Mai 1939 hinter den Alfa-Piloten Farina und Sommer als Dritter beendete), mussten ihm und seinem Mitstreiter Louis Gérard eine gewisse Zuversicht gegeben haben, als sie am 17. Juni in Le Mans an den Start gingen. Und prompt legten die beiden Franzosen im Delage mit der Startnummer 21 sofort los wie die Feuerwehr.
Während der zweite D6 mit Armand Hug und Roger Loyer nach 152 Runden die Segel streichen musste, führten ihre Markenkollegen das Feld für fast 20 Stunden an, ehe zwei gebrochene Ventilfedern für einen unplanmäßigen Zwangsaufenthalt sorgten. Das gab dem von Jean-Pierre Wimille und Pierre Veyron gesteuerten Bugatti T57 C „Tank” die Chance, seinen Rückstand aufzuholen und in Führung zu gehen. Trotz aller Bemühungen konnten Gérard und Monneret in der verbleibenden Zeit den Rückstand nicht mehr aufholen und mussten sich mit Abstand auf den Sieger mit Platz zwei zufriedengeben.
Streng genommen hätte der Delage jedoch mit großem Abstand gewinnen müssen, selbst wenn man die Verzögerung in der Box berücksichtigt hätte. Es war vor allem dem guten Sportsgeist der Delage-Crew zu verdanken, dass man keinen Protest gegen Bugatti einreichte. Denn die Molsheimer Mannschaft hatte in den letzten Stunden des Rennens wegen Überhitzungsproblemen die untere Verkleidung des 57 C entfernt – was laut Reglement aber strikt verboten war. So blieb Delage nur der Titel des „moralischen” Siegers und Platz zwei vor dem britischen Lagonda V12 mit Dobson/Brackenbury.
Trotz des verpassten Le-Mans-Sieges ließ sich Louis Gérard nicht entmutigen und gewann am 6. August den Grand Prix du Comminges in der 3-Liter-Klasse. Als nächstes wurde Chassis 51821 für die verkürzte Mille Miglia von 1940 präpariert - eine Veranstaltung, bei der aufgrund des bereits ausgebrochenen Krieges bis auf Deutsche Ausländer von der Teilnahme ausgeschlossen waren. Also kamen die italienischen Top-Piloten Piero Taruffi und Luigi Chinetti ans Steuer, sahen jedoch nicht das Ziel. Woraufhin der schöne Blaue in die Hauptstadt seines Heimatlandes zurückkehrte.
Im Raum Paris geparkt, blieb Chassis 51821 bis 1950 im Verborgenen. Dann beschloss Gérard, sein Renngefährt zu verjüngen, um attraktive Preisgelder zu kassieren. Er gab ihm eine neue Fahrgestellnummer (#880-001) und setzte ihn sowohl bei den Coupes du Salon 1950 in Montlhéry (Platz zwei) als auch beim heiß umkämpften Grand Prix de Paris 1951 im Bois de Boulogne ein, wo Gérard den achten (und letzten) Platz in einem Feld von 14 Startern erreichte.
Louis Gérard war ein leidenschaftlicher Racer, doch die Ergebnisse, die er mit dem Delage erzielen konnte, reichten ihm einfach nicht mehr aus. So traf er die Entscheidung, den verdienstvollen Rennveteranen an den italienischen Gentleman-Driver und erfahrenen Bugatti-Piloten Graf Emilio Eminente du Benedetto zu verkaufen. Der freute sich, Chassis 51821 ein neues Zuhause bieten zu können und verlieh ihm sogar eine neue Karosserie aus dem Atelier des berühmten Karosseriebauers Figoni. Mit dem Ziel, in der GT-Klasse an den Start zu gehen, wurde der Delage zu einem „Coach Grand Sport“ im Stil eines Delahaye 235 umgebaut. Solcherart neu eingekleidet, bestritt der Graf zusammen mit seiner Tochter Danièle Foufounis mit einigem Erfolg Rennen und errang mehrere Ehrenplätze, darunter einen vierten Platz bei den Coupes de Paris 1954 in Montlhéry.
Chassis #51821 wanderte danach zwischen verschiedenen Sammlern und Enthusiasten hin und her, ehe François und Josy Jolly es in den Beständen eines Automuseums in der Nähe von Nancy entdeckten. Schnell erkannten sie die Verbindung zwischen dieser schlafenden Schönheit und dem Delage, der 1939 in Le Mans auf dem Höhepunkt seines Ruhms von Louis Gérard gefahren wurde und das Podium erreichte. Worauf sich eine sorgfältige und langwierige Restaurierung anschloss, die den Wagen wieder in den Zustand von 1939 zurückversetzte.
Nach seiner Fertigstellung nahmen François und Josy Jolly zwischen Juni 1982 und 2018 an zahlreichen Veranstaltungen teil, manchmal in Begleitung von Georges Monneret (der 1983 verstarb) und oft von Louis Gérard (der 2000 verstarb). Seit dem Tod von François Jolly im Jahr 2018 wurde der Wagen nicht mehr bewegt, und nun hat die Familie Jolly beschlossen, dass es an der Zeit sei, einen neuen Custodian für diesen einmaligen französischen Rennwagen zu finden. Als wohl rechtmäßiger und eigentlicher Sieger der 24 Stunden von Le Mans 1939 in dieses Fahrzeug fraglos einer der bedeutendsten französischen Rennwagen aller Zeiten. In Anbetracht seines Motorsport-Stammbaums und seiner lückenlosen Geschichte wäre Chassis #51821 eine fabelhafte Ergänzung für jede Sammlung. Es hat den Schätzwert von 800.000 bis 1,2 Millionen Euro sicherlich mehr als verdient, wenn es am 26. November bei der Herbstauktion von Aguttes in Paris unter den Hammer kommt.