Wie vielen unserer Leser bekannt, waren die 1960er Jahre eine goldene Ära für Privatrennfahrer. Es war eine Zeit, in der jeder, der über ein gut gefülltes Bankkonto verfügte, einen eigenen Rennwagen kaufen und ihn so modifizieren konnte, um in der Welt des Motorsports eine Chance gegen die „Big names“ zu haben. Dieser einst in Vergessenheit geratene Jaguar E-Type, der sich heute in der Ascott Collection befindet, ist ein Relikt aus einer solchen Underdog-Geschichte, und zwar eine faszinierende.
Die Geschichte dieser Raubkatze beginnt mit den Caillets, einer bekannten und wohlhabenden Familie aus dem französischen Teil der Schweiz. Die Caillets machten zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Herstellung von Pferdesätteln für die Schweizer Armee ein Vermögen, das dank ihres Rufs als Hersteller der besten in der Schweiz verfügbaren Sättel bis in die 1960er-Jahre immer mehr anstieg. Maurice Caillet, geboren 1932, war der Erbe dieses Geldberges und nutzte ihn, um mit Anfang 30 seine Rennkarriere zu finanzieren.
Der Auftakt missglückte Caillet allerdings gründlich, als er 1961 beim Bergrennen Cote de la Faucille mit seinem Cegga Maserati verunglückte, sich dabei schwer verletzte und seinen Rennwagen völlig zerstörte.
Verständlicherweise hatten danach Einsitzer ihren Reiz für ihn verloren, und so beschloss Caillet, sich auf Langstreckenrennen zu konzentrieren. Das Fahrzeug seiner Wahl, ein Jaguar E-Type, sah zwar nicht schlecht aus, aber die unbefriedigenden Ergebnisse der Saison 1963 veranlassten Caillet, nach Möglichkeiten zu suchen, der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein. Ende 1964 fand er ihn in Form eines jungen Renningenieurs namens Phil Henny. Caillet gab ihm zur Aufgabe, seinen Jaguar in nur vier Monaten in eine furchteinflößende Rennmaschine zu verwandeln.
Die beiden verschwendeten keine Zeit und reisten nach England, um sich im Jaguar-Werk in Coventry wertvolles Know-how zu verschaffen. Der Besuch lohnte sich, denn Henny ließ sich von den Modifikationen inspirieren, die Jaguars Rennabteilung an den Autos ihrer Kunden vornahm. Als Souvenir erhielt Caillets E-Type eine Aluminium-Motorhaube und einige optimierte Fahrwerkskomponenten.
Nun war es an Henny, aus, wie er selbst sagte, „einem Esel ein Vollblut zu machen.“ Im besonders kalten Winter 1964/65 begann er in einer Ecke der Caillet-Fabrik an dem E-Type zu arbeiten. Verbrachte viel Zeit damit, alle möglichen Teile zu durchbohren und zu bearbeiten, um das Gewicht des E-Type zu reduzieren. Im Frühjahr 1965 war der E-Type fast bereit für sein erstes Rennen: die 1000 km von Monza am 25. April. Die von Dunlop gelieferten Rennreifen waren jedoch viel größer als von Henny vorgesehen, und Caillet wollte vor dem Rennen auch noch einen alten Freund in Modena besuchen.
Der Mann, um den es hier geht, war der legendäre Karosseriebauer und Rennfahrer Piero Drogo. Er verpasste dem Caillet-E-Type eine markante Wölbung auf der Motorhaube und seitliche Lufteinlässe vor den hinteren Kotflügeln als Teil eines innovativen Systems zur Kühlung der Bremsen. Zusätzlich zu der erleichterten Karosserie war der E-Type nun mit Borrani-Drahträdern für die breiteren Dunlops, einem 5-Gang-ZF-Getriebe, einem speziellen Rennsport-Armaturenbrett und einem rennfertigen Motor ausgestattet. Wir können uns nur vorstellen, wie zuversichtlich Caillet auf dem Weg nach Monza gewesen sein muss.
Er hatte jedoch noch eine weitere Überraschung für Henny parat: Caillet hatte noch vor Monza das Autodrom von Modena für Testfahrten gebucht. Bei denen kein Geringerer als Juan Manual Fangios persönlicher Mechaniker, Guerino Bertocchi, anwesend war, um Hennys Arbeit an dem frisch modifizierten Jaguar zu bewerten.
Mit Bertocchis Zustimmung machte sich das Team auf den Weg nach Monza, wo sich die Box der Jaguar-Privatmannschaft direkt neben der des Shelby-Rennstalls befand. Trotz der Sprachbarriere freundete sich Henny schnell mit den Shelby-Mechanikern an, insbesondere mit einem jungen Mann namens Gordon Chance, der dem E-Type-Team eine Dose des berühmten hitzebeständigen VHT-Lacks von Shelby schenkte. Ein Lack, der auch für den Auspuff von Shelbys eigenem Daytona Coupé verwendet wurde.
Trotz der Hilfe der Shelby-Mechaniker hatte Caillet kein gutes Rennen in Monza. Es endete mit einem Ausfall wegen zu hoher Öltemperaturen am Differential. Die Lösung war klar: Vor dem nächsten Rennen musste ein Kühler eingebaut werden.
Nach Monza ging es für Caillet und Henny auf dem Montjuich Circuit in Barcelona weiter. Wo Caillet für einmal seinen Rhythmus fand und einen 5. Platz nach Hause fuhr. Angespornt durch dieses Ergebnis kehrten sie in die Schweiz zurück, um den Jaguar noch einmal zu überholen, ehe es zum 1000-km-Rennen auf dem berüchtigten Nürburgring ging. Für den auf den 23. Mai 1965 angesetzten Klassiker sollte wie schon in Monza wieder Andre Wicky als zweiter Fahrer ins Cockpit steigen, doch erst einmal musste Caillet, der mit den zahlreichen Kurven der Grünen Hölle nicht vertraut war, die dringend nötige Streckenkenntnis erlernen.
Leider erwiesen sich Caillets Bedenken als berechtigt. Bei hoher Geschwindigkeit flog er im Training mit seinem E-Type am „Flugplatz“ hart in die Böschung, überschlug sich und verletzte sich erneut schwer. Bewusstlos wurde er ins nahegelegenes Krankenhaus von Adenau gebracht und von dort weiter per Hubschrauber in die Bonner Klinik verlegt. Danach lag Caillet mehrere Wochen im Koma, es sollte Jahre dauern, bis er sein Gedächtnis vollständig wiedererlangt hatte.
Caillets Mutter war verständlicherweise am Boden zerstört und teilte Henny mit, dass die Caillets nie wieder irgendwelche Rennabenteuer finanzieren würden. Für Henny war das jedoch nicht das Ende. Er wurde später selbst Mechaniker bei Carroll Shelby und trug 1967 beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans entscheidend zum Sieg des Ford GT Mk IV über Ferrari bei.
Der zertrümmerte E-Type hingegen blieb seit 1965 unangetastet und wechselte nach Caillets Unfall nur noch drei Mal den Besitzer. Mit seiner faszinierenden Geschichte und den einzigartigen Modifikationen von Piero Drogo ist dieser Jaguar E-Type für die selektivsten historischen Rennen und Wettbewerbe der Welt zugelassen. Wir können nur hoffen, dass er die Restaurierung erhält, die er verdient!
Fotos von Bernard Canonne