Herkunft – darum dreht es sich heute, speziell in Bezug auf Autos. Es ist wie bei Menschen oder Musikstücken – manche haben halt das spezielle Etwas oder eine besondere Historie, andere eben nicht. In diesem Fall geht es um einen Porsche 934, der nicht weniger als sechs Mal bei den 24 Stunden von Le Mans antrat.
Jeder will den Porsche 934 kennen, oder meint es zumindest. Zugegeben, die Optik ist bekannt, sie ähnelt einem leicht aufgebrezelten 930 Turbo. Dazu kommen für die 1970er-Jahre teils kriegerisch anmutende Outfits, dazu die Flammen aus dem Auspuff der mit einem nur sehr langsam ansprechenden Sechszylinder Turbo bestückten Monster. Doch die Geschichte des Modells ist im Vergleich zum weitaus radikaleren 935 eher unbekannt. Der Tatsache geschuldet, dass der 934 im Vergleich zum 935 immer nur die zweite Geige spielte.
Als Evolution des noch mit einem Saugmotor bestückten RSR wurde der auf dem 930 Turbo aufbauende 934 für Privatteams aufgebaut, die damit ab der Saison 1976 in der Gruppe 4 der Sportwagen-Weltmeisterschaft oder in der Deutschen Rennsport-Meisterschaft (DRM) antreten wollten. Da das Reglement nur enge Grenzen setzte, hob sich das bärenstarke Auto nur wenig vom Serien-930 ab. Der Serien-Heckspoiler und die relativ schmalen Reifen (unter aufgenieteten Kotflügelverbreiterungen verborgen) führten zusammen mit dem stattlichen Gewicht von 1120 Kilo zu einem delikaten Fahrverhalten, sodass nur wenige Topfahrer das Potenzial des Wagens voll ausnutzen konnten.
Auch unter der Karosserie waren die Gemeinsamkeiten groß. Der 2993 cm3 große Motor leistete bei einem Ladedruck von 1,4 bar anfangs 485 PS. Im Gegensatz zum Serientriebwerk lag das Lüfterrad horizontal, die Ladeluft wurde mit zwei zu beiden Seiten des Gebläses angebrachten Wärmetauschern heruntergekühlt. Ab 1977 stieg die Leistung dank angehobener Verdichtung und 1,7 bar Ladedruck dann bis an die 600-PS-Marke.
Ein Modell mit einer so langen Renngeschichte zu treffen, ähnelt der Begegnung mit einem verdienstvollen Kriegsveteranen – man übt sich fast automatisch in Demut. Denn es geht eine besondere Aura von alten Rennwagen aus. Besonders wenn es keine Werkswagen, sondern Modelle von Privatteams sind, die sich ihre Sporen jedes Wochenende aufs Neue auf die harte Tour verdienten mussten. Um so nicht weniger als den Fortbestand ihrer Teams zu sichern.
Dieser Porsche 934 gehört in diese Kategorie. Unter den zahlreichen internationalen Events, darunter auch mehrere Rallyes – trat er zwischen 1976 und 1981 insgesamt sechs Mal bei den 24 Stunden von Le Mans an. Und bei jedem Start in der Sarthe trug das Auto einen anderen – und zum Teil unvergessenen – Look zur Schau. Der fraglos coolste war der von 1977 – ein auf Betreiben von Hauptsponsor 3M gestaltetes „Röntgen“-Design, das bewies, dass sich die Folien auch bei über 300 km/h nicht von der Karosserie lösten.
Als einer von 31 für 1976 bei Porsche aufgebauten 934 wurde unser Titelheld über den französischen Porsche Importeur Sonauto an den Chef des Teams ASA Cachia, Henri Cachia, ausgeliefert. Sofort schickte man das brandneue Auto nach Le Mans, wo Jean-Claude Andruet, Jacques Borras und Cachia himself zwar auf Platz 26 ins Ziel kamen, aufgrund der zu geringen zurückgelegten Distanz aber nicht gewertet wurden. Im Jahr darauf kehrte der 934, nun unter der Bewerbung von JMS Racing, an den Circuit de la Sarthe zurück. Das im erwähnten X-Ray-Design folierte Auto schlug sich diesmal weitaus besser – Platz 19 im Gesamt und Platz drei in der GT-Klasse mit den drei Franzosen Cyril Grandet, Jean-Louis Bousquet und Philippe Dagoreau.
Für 1978 verwandelte der renommierte französische Maler Michel Gueranger den 934 in ein 320 km/h schnelles kubistisches Kunstwerk. Doch blieb der Preis für die schönste Lackierung auch das Einzige, was der neue Besitzer des Wagens, Daniel Urcun, und seine Fahrer Guy Chasseuil und Jean-Claude Lefebvre mitnehmen konnten – Ausfall nach nur sieben Stunden.
1979 standen die Zeichen dann schon wieder besser für das unermüdliche Porsche Arbeitspferd. Unter der Bewerbung Kores Racing kam das von Roland Ennequin, Georges Bourdillat und Alain-Michael Bernard pilotierte Modell auf Platz 16 im Gesamtklassement und Platz 2 in der GT-Klasse. Und das trotz eines eine Stunde langen Boxenstopps zum Wechsel eines Kühlers.
Mit der identischen Fahrerpaarung lief der nun in einer karierten Musterung (pink/schwarz) gekleidete Porsche auf Platz 24 und erneut auf P2 in seiner Kategorie ein. Sein Schwanengesang folgte dann 1981. Der neue Besitzer Valentin Bertapelle spannte mit seinen Landsleuten Thierry Perrier und Bernard Salam zusammen und holte zu einem Zeitpunkt, als die allermeisten Teams längst auf den 935 umgestiegen waren, mit einem Schnitt von 155,7 km/h den Klassensieg und P17 im Gesamtklassement. Nach diesem letzten Auftritt in Le Mans durfte das Auto dann seine Marathon-Ausrüstung mit Stolz zur Seite legen.
Man halte sich nur vor Augen, wie oft dieser Porsche mit knapp 320 km/h die Hunaudières-Geraden herunter gebraust ist, nur um dann vor der Mulsanne-Rechtskurve bis fast zum Stillstand abzubremsen. Wie viele Stunden er durch die Nacht brauste, und wie oft er seinen Teamchefs Sorgenfalten auf die Stirn trieb, wenn es mal nicht so geschmiert lief. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass dieser 934 durch Himmel und Hölle gegangen ist, was ihm unseren uneingeschränkten Respekt einbringen sollte.
Heute ist das „mechanisch perfekte“ Auto wieder mit seinem Original-Motor vereint – der war zuvor in einem 934-Nachbau installiert. Die Details sind phantastisch, wie die zeitgenössische Grundig Gegensprechanlage, die elektrischen Fensterheber (sic!), die Positionsleuchte auf dem Dach und die wunderschön gealterter
BBS-Felgen. Bemerkenswert bleibt aber vor allem die Tatsache, dass wie so viele andere 934 dieses Auto nicht zum 935 aufgerüstet wurde. Was es heute um so wertvoller macht.
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2018