Eine verrückte Vorstellung, dass noch vor nicht allzu langer Zeit die 993-Baureihe der 911er als wenig geschätztes mittleres Kind galt - statt der ausgereiften luftgekühlten Traumwagen, die sie heute für uns darstellen. Was unseren Kummer, nicht schon früher ein Exemplar für unsere Sammlung zu sichern, etwas lindert, ist die Vorstellung, dass jemand einen neuen Golf GTI im Gegenwert eines unberührten 993 Carrera hätte erstehen können. Nun, diese Tage sind längst vergangen und die Preisentwicklung der 993 wuchs stetig nach oben, so wie die Sammlerwelt allmählich begriff, um was für ein Juwel es sich hier handelt. Dessen ungeachtet widmen wir uns heute nicht irgendeinem 911 – weit gefehlt. Dieses Exemplar in Grand Prix White ist ein 911 Carrera RS von 1996: Der womöglich großartigste luftgekühlte Porsche 911, der je gebaut worden ist.
Profunde Porsche-Kundler kennen sicherlich das RennSport-Rezept, das erstmals mit dem 996 GT3 RS Aufmerksamkeit errang und kurz nach diesem Auto debütierte. Aber als nun dieser Porsche vorgestellt wurde, war RS ein Emblem, das man selten genug an einem Heck zu sehen bekam. Doch die Erfolgsformel war die gleiche: Auf Gewicht verzichten und dafür eine draufgängerische aerodynamische Karosserie. Um also den 993 Carrera RS zu entwickeln, erleichterte Porsche den Heckmotor-Sportwagen um alle nicht-wesentlichen Elemente.
Zentralverriegelung, Radio, Lautsprecher, elektrisch verstellbare Sitze, elektrische Fensterheber und Spiegel, Geräuschdämmung und die Scheinwerfer-Waschanlage blieben in den Regalen. Zu dieser Radikaltour gehörten auch dünnere Glasscheiben, vorderer Kofferraumdeckel und Türen aus Aluminium und Innenpaneele in Leichtbau. Als Resultat dieser Bemühungen entstand ein pures, auf den Fahrer ausgerichtetes 1.280 Kilo-Federgewicht. Das alles war schon vielversprechend genug und dabei haben wir uns noch nicht einmal dem Herzstück, dem Motor genähert.
Dieses Herzstück des 993 Carrera RS war 200 Kubikzentimeter größer als jenes irgendeines anderen 993 – aufgerüstet mit einem 3746 Kubikzentimeter großen luftgekühlten Boxer-Reihenzylinder, eingebettet hinter der Heckachse. Tatsächlich besaß der 993 RS den Typ M64/20, ein Motor, der für den RS spezifisch war. Schmiedekolben, zweifache Ölkühler und leichtete Schwinghebel trugen ebenfalls dazu bei, dass sich dieser RS von seiner nicht ganz so extremen Baureihen-Verwandtschaft abhob. Das bescherte dem RS sportliche 304 PS, gut 28 PS mehr im Vergleich zum Serienmodell. Gemäß den Erwartungen von 2022 mag sich das nicht wie eine Rakete anhören, aber es sollte auch nicht vergessen werden, dass selbst der leichteste 911 der Baureihe 992 gut 200 Kilo mehr auf die Waage bringt.
Das Exemplar, das Sie auf diesen Fotos bewundern können, verließ das Werk am 27. Juli 1995, um den Weg zu Mizwa, Japans alleinigem Porsche-Importeur, anzutreten. Obwohl die neunziger Jahre die japanische Wirtschaft schwer in Mitleidenschaft zogen, zügelte das nicht den unstillbaren Appetit Nippons für leistungsstarke Fahrzeuge. Wie dieses Auto belegt, gab es einen steten Markt für Porsches spezielle Motorsport-Varianten mit einigen bemerkenswerten Spezifikationen. Der erste Besitzer optionierte diesen Porsche als M002 „basic“ 993 Carrera RS, allerdings noch mit dem M003 Clubsport-Aerodynamikpaket. Ein Element dieser besonderen Bestellung ist dieser fantastische festmontierte Flügel sowie der speziell geformte vordere Stoßfänger inklusive Winglets und tieferen Frontsplitter.
Wer einsteigt, entdeckt viele Komponenten, die einem von modernen RS-Modellen bekannt sind wie Gewebe-Türhebel und Schalensitze – letztere übrigens Glaserfaser unterstützte Recaro-Sitze passend zur Außenfarbe lackiert. Was allerdings den Gesamteindruck besonders unterstreicht, sind die Sitzeinlagen in weiß, grau und schwarz, die für uns ein absolutes Muss für einen RS der neunziger Jahre sind. Die Alltagstauglichkeit dieses speziellen Exemplars gewinnt dennoch hinzu, denn der Erstbesitzer hat sich allem Purismus zum Trotz dann doch wieder für elektrische Fensterheber, Radio und Klimaanlage entschieden. Der nächste Eigner darf sich freuen, dass zwar die Motorsport-DNA erhalten blieb, aber das Fahrerlebnis nicht so kompromisslos wie bei einem Rennfahrer ausfällt.
Was diesen RS zu so einem ungewöhnlichen Vertreter seiner Art macht, sind außerdem die ursprüngliche Bedienungsanleitung auf japanisch, Wagenheber und Werkzeugkasten. Im Rahmen von Show and Display wurde das Auto 2016 in die USA exportiert. Jetzt, da es mehr als 25 Jahre zählt, ist es auch von gesetzlichen Einschränkungen befreit, heißt, man kann die Musik des 3,8-Liter-Boxermotors nach allen Regeln der Kunst dröhnen lassen. Statt den riesigen Aufpreis für einen neuen 911 GT3 RS zu investieren, warum spüren Sie nicht lieber den Grundlagen der RS-Faszination in einem der großartigsten 911 überhaupt nach? Falls Sie der Purismus dieses Porsche 911 Carrera RS von 1996 nicht mehr loslässt, dann notieren Sie den 19. November in Ihrem Kalender: An diesem Tag wird der Porsche bei der Broad Arrow Auctions West Palm Beach 2022-Versteigerung aufgerufen werden.