Noch bevor unser Zug an einem sonnigen Januarnachmittag in Milano Centrale einfährt, ist klar: Guglielmo Miani ist ein Mann der Tat. In einigen kurzen Emails und Telefonaten hat uns der Modemacher und Autosammler zu den besten Orten und Lichtverhältnissen für unsere Fotoproduktion beraten, uns in einem zentral gelegenen Grand Hotel untergebracht, in seiner privaten Garage einen Parkplatz für uns geräumt, uns einen vorläufigen Produktionsplan präsentiert, der unseren Besuch geschickt mit seinem eigenen Terminkalender verknüpfte, und sogar ein Abendessen mit seinem guten Freund, dem Autosammler und potentiellen Lancia-Retter Eugenio Amos organisiert. Nun empfängt uns Miani gegenüber des alten Mailänder Bahnhofs – an seinen dunkelgrünen Bentley Turbo gelehnt, eine SteveMcQueen-Persol auf der Nase und eine schwarze Bamford-Patek am Handgelenk, den hellgrauen Angoramantel über seinen weißen Kaschmir-Rollkrakenpullover geworfen und lässig an einer selbst gedrehten Zigarette ziehend – mit breitem Lächeln, als er uns erkennt.
Der Abholservice per Bentley für Kunden, die nach Mailand kommen, um für einen neuen Anzug Maß nehmen zu lassen, ist nur eines der zahlreichen Details, die Larusmiani von allen anderen italienischen Modehäusern unterscheidet. Zu pumpenden French-House-Beats machen wir es uns auf dem Rücksitz bequem, bewundern die Mulliner-Ausstattung und den zentralen Tachometer gleich neben der ausklappbaren Whiskeybar. Der erste Stop unserer Rundfahrt ist der Flagship Store in der Via Montenapoleone, Larusmianis Hauptquartier im Herzen des Mailänder Modeviertels. “Wollt ihr auf der Fahrt schon Fotos machen?”, fragt Guglielmo Miani – und bevor wir antworten können, hat er bereits ein Uber herangewinkt und dem Fahrer in rasantem Italienisch erklärt, wie man ein Kameraauto im Stadtverkehr manövriert. Der Mann ist wirklich nicht zu stoppen.
Was ist die Geschichte hinter Ihrem Familienunternehmen, der Modemarke Larusmiani?
Die Geschichte begann 1922, als mein Großvater in der Via Manzoni eine Schneiderei eröffnete. Unter dem Namen “Larus” – Italienisch für Möve – fertigte er in Handarbeit Anzüge, Jacken, Mäntel und Regenkleidung. Bald darauf begann er, Stoffe aus Großbritannien zu importieren, die damals als die wertvollsten und schönsten Textilien der Welt galten. Was er nicht selbst verwendete, verkaufte er an andere Schneider. Bis in die 1950er und 1960er Jahre musste man schließlich zu einem Schneider gehen, um sich ein ordentliches Outfit anfertigen zu lassen. In diesen Jahren wurde mein Großvater zum größten Importeur von britischen Stoffen in ganz Italien. Mit dem Siegeszug der Prèt-a-Porter-Mode begann er ebenfalls, seine eigenen Kollektionen zu produzieren. Als mein Vater Ende der 1950er Jahre in der Firma einstieg, entwickelte er eine Linie modischerer, weniger formeller Stoffe, die in Italienhergestellt wurden. Zu diesem Zeitpunkt wurde aus dem Textilimporteur Larusmiani ein Textilproduzent, der die gesamte italienische Modeindustrie belieferte. Wir gingen sozusagen den umgekehrten Weg, wie ihn Loro Piana, Etro, und Ermenegildo Zegna beschritten hatten, als sie auf Basis der Textilproduktion ihre eigenen Modemarken entwickelten.
Nachdem Sie 12 Jahre lang die Stoffproduktion geleitet hatten, haben Sie die Marke Larusmiani im Jahr 2012 von Ihrem Vater übernommen. Was haben Sie seitdem anders gemacht?
Ich habe seitdem die kreative Kontrolle über Larusmiani übernommen und der Marke meinen persönlichen Stempel aufgedrückt. Heute ist Larusmiani vor allem ein Ort, an dem moderne Gentlemen alles finden, was ihr Herz begehrt. Davon abgesehen betreiben wir noch immer eine Schneiderei mit 40 Mitarbeitern in der Toskana, in der Anzüge wie zur Zeit meines Großvaters von Hand hergestellt werden. Und wir haben die älteste Marke in der Via Montenapoleone erworben – den legendären Messerladen von G. Lorenzi, der 1929 gleich gegenüber von Larusmiani eröffnet wurde.
G. Lorenzi war eine Mailänder Institution. Können Sie uns ein wenig mehr über den Mann hinter der Marke und die Produkte erzählen, die sie nun bei Larusmiani weiter verkaufen?
Aldo Lorenzi bezeichnet sich selbst als Messer-Handwerkskünstler, doch tatsächlich ist er ein wahres Genie mit zahlreichen Talenten. Er produzierte nicht nur wunderschöne Messer, er suchte und fand in aller Welt auch die besten Schmiede und verkaufte ihre Messer in seinem Laden. Bald bot er auch Rasierwaren, dann Raucher-Zubehör wie Zigarrenschneider, schließlich auch Spiele und andere elegante Accessoires für Gentlemen an. Wir freuen uns, dass wir diese Tradition nun unter dem Dach von Larusmiani weiterführen können. Übrigens sind wir der einzige Ort auf der Welt, an dem man ein maßgefertigtes Feuerzeug von S. T. Dupont als Einzelstück in Auftrag geben kann. Es sind die besten Feuerzeuge, die es gibt – und sie werden nach den Vorstellungen unserer Kunden in Frankreich gefertigt. Sie merken: Egal ob Sie nun einen in Handarbeit maßgeschneiderten Anzug suchen, ein besonderes Rasiermesser oder einen Humidor, bei uns werden Sie fündig.
Welche Philosophie verfolgen Sie mit Ihrer Mode?
Unser Verständnis von Luxus ist geprägt von Qualität und klassischem Understatement, allerdings ohne dabei langweilig zu sein. Viele Kleidungsstücke haben einen exaltierten Twist, so dass sie auch in die Garderobe eines Dandies passen. Diese samtenen Hausmäntel zum Beispiel produzieren wir seit zwanzig Jahren – heute werden sie allerdings eher auf Parties und sogar auf der Straße getragen. Mit unseren Seidenpyjamas verhält es sich ähnlich. Unsere Kunden lieben es, diesen klassischen Herrenteilen eine neue Bedeutung zu geben. Und uns macht es Spass, die Schneidertradition mit kleinen Kniffen zu brechen und weiter zu entwickeln. Gleichzeitig erhalten Sie von uns einen perfekten Anzug auf Maß. Es liegt alles nur an Ihrem persönlichen Geschmack.
Wir verlassen den Laden von Larusmiani und wechseln auf die andere Straßenseite, um in der Pasticceria Cova – eine weitere Mailänder Institution, die jüngst ihren 200. Geburtstag feierte – einen schnellen Kaffee zu trinken. Mit der marmornen Bar, den weiß livrierten Kellnern, den Silberkannen, Kronleuchtern und mit Puderzucker bestäubten Süßigkeiten scheint die Konditorei wie eine Zeitkapsel, in der die lombardische Grandezza bis zum heutigen Tag konserviert wurde.
Sie sind Präsident des Montenapoleone-Viertels, in dem alle großen Modemarken in Mailand ihren Flagship Store betreiben. Was macht diese Gegend so besonders?
Es ist schwer zu beschreiben, man muss dieses Viertel einfach selbst erleben. Man steht hier quasi im Epizentrum der italienischen Modekultur. Man kann hier in einem Radius von 800 Metern all die verschiedenen Kollektionen und limitierten Editionen entdecken, die nur für die Mailänder Läden von Prada, Gucci und so weiter entworfen werden. Man findet diese Kleider nicht in Japan oder China, sondern nur bei uns. Das macht uns zu einem Sehnsuchtsort für anspruchsvolle Shopper. Hier ist auch die in aller Welt berühmte italienische Lebensart noch lebendig. Egal ob in dieser Bar hier, im Restaurant nebenan oder in den Hotels und Geschäften. Und all dies geschieht hier ganz natürlich, es ist kein durchinszeniertes Disneyland. Das ist die Art, wie wir Leben!
Können Sie uns ein wenig mehr über den grünen Bentley Turbo verraten, in dem wir hergekommen sind?
Es ist ein Bentley Turbo RT Mulliner aus dem Jahr 1998 — das letzte von 55 Exemplaren, dass von Mulliners Interior Designer Darren Day entwickelt wurde. Ich habe Jahre lang nach ihm gesucht. Irgendwann stieß ich auf einer französischen Website, die Autos für Hochzeiten vermittelten, darauf. Ich bin generell fasziniert von Autos aus den Neunzigerjahren – alle meine Bentleys stammen aus dem Jahr 1998.
Was ist an den Bentleys der 1990er Jahre so besonders?
Als ich ein Teenager war, bewunderte ich, wie sie Tür an Tür vor dem Monte Carlo Beach Club parkten. Später, als ich mich wieder für Autos aus dieser Epoche interessierte, wurde mir erst bewusst, wie rar Sie eigentlich waren – viel seltener als die Ferraris der Neunzigerjahre. Hinzu kommt, dass sie die letzten wirklich von Hand gefertigten Bentleys waren, bevor Volkswagen die Marke übernahm. Ich bin verrückt nach Handwerkskunst und ich wusste schnell, dass dies meine Autos waren. Nachdem ich mein erstes Exemplar erstanden hatte – einen sehr speziellen schwarz-schwarzen Bentley Continental R Mulliner SE aus Berlin – suchte ich einfach weiter.
Natürlich arbeitet Guglielmo Miani nicht nur im Montenapoleone-Viertel, er wohnt auch dort – nur einige Gehminuten vom Larusmiani Store entfernt. Als wir aus dem Aufzug treten, der uns hinauf in sein Penthouse mit Blick über die Dächer von Mailand gebracht hat, staunen wir über eine eklektische Sammlung von Kunstwerken, Fotografien, Designobjekten, Autobüchern – und eine Honda Four, die neben seinem Sofa parkt. An der verspiegelten Wand des Wohnzimmers schwebt zudem die Karosserie eines roten Autodelta-Rennwagens. Der perfekte Ort also, um ein wenig mehr über die automobile Sozialisation unseres Gastgebers zu erfahren.
Seit wann begeistern Sie sich eigentlich schon für Automobile?
Mein Vater machte sich nicht allzu viel aus Autos, aber mein Patenonkel – sein Name ist Renato della Valle – war ein dreifacher Offshore-Powerboat-Weltmeister und er war verrückt nach allem mit einem starken Motor. Er baute auch die berühmten Montecarlo Offshorer Rennboote, die in den 1980er Jahren die Nachfolge der Riva Aquarama antraten. Ich erinnere mich noch gut an seine Garage, in der vierzig Ferraris standen. Er hat mich mit dem Autovirus infiziert.
Was war Ihr erstes eigenes Auto?
Das erste Auto, das ich selbst fuhr, war der weiße Mini Moke meines Vaters auf Sardinien. Ich war ungefähr 14 Jahre alt, als er mir auf einer leeren Straße das Steuer überließ. Später, als Teenager, war ich nicht gerade gut in der Schule, und mein Vater versprach mir ein Auto, sollte ich alle Prüfungen bestehen. So kam ich zu einem schwarzen BMW M3 Sport Evo 2. Als ich nach Amerika zog, um am Babson College bei Boston Unternehmertum und Jura zu studieren, ließ ich den Wagen in Mailand zurück. Ich hatte vor Ort nur ein Fahrrad und nach neun Monaten war ich ernsthaft auf Entzug. Eines Tages entdeckte ich im Schaufenster eines Autohändlers eine rote Corvette mit rotem Interieur. Der Händler wollte 500 Euro Leihgebühr im Monat – und ich unterschrieb sofort den Vertrag. Als mein Vater davon Wind bekam, hatte er fast einen Nervenzusammenbruch. Er ließ mir umgehend per Flugzeug meinen BMW schicken. Ein halbes Jahr war ich mit dem Wagen mit meinen italienischen Nummernschildern in Boston unterwegs. Einmal fuhr ich wohl etwas zu schnell und mit qualmenden Reifen in die Newbury Street, als hinter mir ein Polizeiauto auftauchte. Als junger und heißblütiger Italiener trat ich instinktiv das Gaspedal durch – und tatsächlich konnte ich entkommen. Ich versteckte das Auto irgendwo und fuhr es die nächsten Monate nicht mehr, bis ich irgendwann neue Nummernschilder hatte. Später verkaufte ich den BMW an einen Investmentbanker in New York für den doppelten Preis.
Was sind das für Maschinen, mit denen Sie sich Ihr Wohnzimmer teilen?
Die Karosserie des Autodelta Tipo 33 habe ich günstig bei einer Auktion ersteigert. Die Honda gehörte meinem Vater. Eigentlich hatte er meiner Mutter versprochen, sie zu verkaufen – doch später entdeckte ich sie versteckt in einem unserer Warenlager. Ich habe sie restaurieren lassen und betrachte sie heute wie ein Kunstwerk.
Gibt es Autos, die Sie in Ihrer Sammlung vermissen?
Ich habe immer die Geschichte von Alfa Romeo geliebt und in früheren Jahren sowohl einen Alfa 164 als auch einen wunderschönen Alfa 147 in Cumberland Grey mit beigefarbenem Lederinterieur besessen. Morgen sehe ich mir den Alfa SZ meines Schreiners an – er hat ihn einst neu gekauft und fast nie bewegt. Es ist der einzige Alfa aus den 1990er Jahren, der mich fasziniert. Und letztendlich ist es einfach nicht richtig, dass ein autoverrückter Mailänder wie ich keinen Alfa Romeo besitzt (lacht).
Fotos: Tom Shaxson für Classic Driver © 2018