Enzo Ferrari tat nicht nur sich selbst einen großen Gefallen, als er einst das Übernahmeangebot von Henry Ford II für seine Firma ausschlug – er schrieb auch eines der spannendsten Kapitel der Automobilgeschichte: Ford war nämlich so entrüstet über die Zurückweisung des Commendatore, dass er den großartigen GT40 kosntruieren ließ, um die Rivalen aus Maranello von den Rennstrecken zu fegen. Die Scuderia Ferrari wiederum setzte daraufhin zum Vergeltungsschlag an – und konstruierte einige der schnellsten und schärfsten Rennwagen seiner Geschichte. Unter den Geschossen befand sich auch der Ferrari 206 Sport Prototipo.
Ein betörendes Wesen
Die von Drogo gefertigte Karosserie erinnerte an den noch stärkeren Ferrari 330 P, war allerdings kompakter in den Abmessungen und umspannte das Rohrrahmenchassis so knapp, wie der Rock einer neapolitanischen Hafenschönheit. Für den genialen V6 hatten derweil Meister-Ingenieur Vittorio Jano und Enzos Sohn Alfredo „Dino“ Ferrari verantwortlich gezeichnet. Tatsächlich ist der Wagen so auffallend hübsch, dass man kaum die Augen von seinem perfekt proportionierten Karosseriekörper abwenden kann. So lange man auch sucht – man findet einfach keinen unvorteilhaften Blickwinkel. Und das kann man wahrlich nur von den wenigsten Sportprototypen dieser Zeit behaupten.
Ferrari hatte ursprünglich geplant, den 206 S in einer Auflage von 50 Exemplaren zu bauen, um den Rennwagen für den Gruppe-4-Rennsport zu homologieren. Doch finanzielle Turbulenzen, die letztlich zum Zusammenschluss mit Fiat führen sollten, entstanden nur 18 Exemplare und der Buchstabe „P“ für Prototyp wurde zur Modellbezeichnung hinzugefügt. Dass ein so seltener, schöner, begehrenswerter und erfolgreicher Rennwagen den ein oder anderen Kopisten inspirieren würde, war fast unvermeidlich. So existieren heute zahlreiche Replicas, die sich mitunter drastisch in Qualität und Experise unterscheiden. Bei der hier gezeigten „Tool-Room Copy“ handelt es sich um eine der besten Rekreationen.
Eine Frage der Details
Gebaut wurde die Neuauflage des legendären Ferrari 206 SP mit viel Sachverstand und zahlreichen Originalteilen aus den Ferrari-Archiven. Feriggestellt im Jahr 2001, hat er die letzten 15 Jahre in erster Hand verbracht. „Ich kaufte damals einige Ersatzteile eines ebenfalls nicht ganz unbedeutenden Ferrari 206“, erinnert sich der jetzige Besitzer, der anonym bleiben möchte, „darunter drei Lenksäulen, Teile des Antriebs und der Federung, eine Windschutzscheibe und eine Frontverkleidung.“ Was er nicht besaß, das waren ein Chassis, ein Motor, ein Getriebe, wobei zumindest für das Fahrgestell detaillierte Zeichnungen existierten.
Die Konstruktion des Wagens selbst nahm einige Jahre in Anspruch. Zunächst wurde der britische Ferrari-Spezialist Bob Houghton mit dem Auftrag betraut, später wanderte das Projekt dann zu RM Wilson Engineering in Leicester weiter. Die atemberaubende Karosserie wurde bei einer Firma namens Shapecraft auf Basis der vorhandenen Front und Windschutzscheibe entwickelt und ist selbst für Kennen kaum vom Original zu unterscheiden. Tatsächlich ist die Ausführung so gut gelungen, dass selbst der berühmte Modeneser Karrosseriebauer Brandoli zunächst nicht glauben wollte, dass dieser Ferrari nicht in Maranello, sondern in England gebaut worden war. Seine Kraft schöpft der Dino 2,4 Liter Vierventil-V6-Motor mit rund 250 PS Leistung, wie er einst auch in einigen 206 SP zum Einsatz kam. Das Getriebe stammte zunächst aus dem Ferrari 250 LM, dass der Kraft besser gewachsen zu sein schien. Mittlerweile erfolgt die Kraftübertragung jedoch über eine echtes Dino-Getriebe.
Auf vielen Rennstrecken zuhause
„Für die Jungfernfahrt fuhren wir schließlich nach Silverstone“, berichtet uns der Besitzer, „und wie es der Zufall so wollte, war an diesem Tag auch der berühmte Ferrari-Privatrennfahrer David Piper an der Strecke. Als er den Dino sah, wurde er ganz aufgeregt – er hielt ihn für ein Original. Ich fragte ihn, ob er nicht eine Runde mit mir drehen wollte, und er willigte ein. Er war sehr angetan, empfahl allerdings noch einige Feinjustierungen. So einigten wir uns auf einen Deal: Er durfte den Ferrari nach Belieben für sein historisches Rennteam einsetzen, dafür aber die Wartung übernehmen.“
Trotz seines recht kurzen Lebens kann der Dino bereits auf eine durchaus beeindruckende Renn- und Reisekarriere zurückblicken. Mit David Piper und seinem Besitzer war er auf Rennstrecken zwischen Goodwood und Schweden, Kapstadt und Australien unterwegs. Und dank der Abstimmungsarbeit des ehemaligen Rennsport-Privatiers, der sich noch genau daran erinnert, wie sich der Ferrari 206 SP Werksrennwagen einst fuhr, ist der Wagen ein durchaus ernstzunehmender Gegner für die schnellsten Rennwagen der Epoche. „Er ist unglaublich schnell, vor allem auf Slicks“, verrät uns der Besitzer. Auf der südafrikanischen Rennstrecke von Kyalami lag er nur 0,2 Sekunden hinter einem Ferrari 365 P mit V12-Motor und auf Phillip Island konnten wir gegen die Hubraum-Monster vom Schlag des Ford GT40 sogar einen Gesamtsieg einfahren. Zahlreiche wirklich gute Fahrer saßen schon hinter dem Steuer – und sie alle haben den Dino geliebt!“ Auch wenn die Teststrecke von Bicester Heritage, auf der wir den Ferrari während unseres Fotoshootings einige Runden bewegen können, nicht mit den großen Rennstrecken der Welt mithalten kann – das Potential ist sofort sichtbar. Und das Brüllen des V6 klingt einem noch Stunden später im Ohr.
Nichts als die Wahrheit
Anders als viele „Rekreationen“ großer Klassiker versucht der Dino allerdings nie vorzugeben, etwas zu sein, was er nicht ist. Eine originale Ferrari-Chassisnummer sucht man vergebens. Auch auf die oftmals an den Haaren herbei gezogene Verbindung zu einem bei historischen Rennen verunfallten und verschrotteten Exemplar wurde in diesem Fall nicht bemüht. „Das Chassis ist neu – weder könnte, noch wollte ich um diese Tatsache herumredem“, gibt uns der Besitzer deutlich zu verstehen. „Wir waren in diesem Punkt immer um besondere Vorsicht bemüht.“ Dennoch ist der Dino verblüffend originalgetreu – mehr noch, als manch ein echtes Exemplar, das mittlerweile mit einem neuen Getriebe ausgestattet wurde.
Derzeit steht der Ferrari im Auftrag seines Besitzers beim englischen Classic Driver-Händler Legends Automotive zum Verkauf. Auch die beiden Händler Melvin und Daniel Glanz halten den Rennwagen für bemerkenswert. „Der Dino wurde zwar neu aufgebaut, er ist in der historischen Rennsportszene jedoch äußerst respektiert und hat bereits an zahlreichen wichtigen Rennen teilgenommen, unter anderem dem Goodwood Revival. Und Lord March würde ihn nicht zulassen, wenn er nicht von ihm begeistert wäre. Zudem verkaufen wir ihn ja nicht als etwas, das er nicht ist. Es handelt sich schlicht und einfach um ein automobiles Kunstwerk, das mithilfe zahlreicher Originalteile in aufwändigster Kleinstarbeit konstruiert und von einem berühmten Ferrari-Rennfahrer abgestimmt wurde. Es stimmt einfach alles, man kann einsteigen und sofort beim nächsten Rennen antreten.“
Noch immer ein heikles Thema
Natürlich sind Rekreationen und Replicas in der klassischen Automobilszene noch immer ein heikles Thema, um das viele Experten einen großen Bogen machen – und auch wir möchten nicht zwingend die Büche der Pandora öffnen. Doch drängen sich gewisse Fragen auf. Etwa die, was eine perfekte Dino-Kopie letzten Endes noch von einem Original unterscheidet, das auf einem historischen Chassis neu aufgebaut und im Anschluss von Ferrari Classiche zertifiziert wurde. Denn auch bei diesem „Neubau“ war es schließlich das Ziel, dem ursprünglichen Dino so nah wie möglich zu kommen. Wie sagte sein Besitzer uns so richtig: „Ein besonderes Auto ist ein besonderes Auto.“ Was könnte man dieser Aussage entgegenhalten?
Fotos: Amy Shore for Classic Driver © 2016