Ein Lockvogel für Enzo Ferrari
Sergio Pininfarina stand Ende der 1970er Jahre schon lange der Sinn danach, eine viertürige Limousine für Ferrari zu kreiern, um den Hochleistungsschiffen von Maserati, Jaguar und Mercedes-Benz Konkurrenz zu machen. Pininfarinas 50. Firmenjubiläum im Jahre 1980 schien der ideale Zeitpunkt für ein Konzept, das als Lockvogel dienen sollte, um Enzo Ferrari von der Idee eines viertürigen Ferrari zu überzeugen. Die Designschmiede stellte also rechtzeitig zum Turiner Autosalon 1980 den Ferrari Pinin auf die Räder. Als Basis diente ein Ferrari 412.
Sehnsüchtige Blicke
35 Jahre später hat unser Fotograf Rémi Dargegen beim Anblick des Prototypen in Maranello gemischte Gefühle: „Der Pinin sieht merkwürdig gestreckt aus, wenn man ihn aus Distanz betrachtet, obwohl er nur wenig länger ist als ein Ferrari 365, 400 oder 412. Seine Silhouette ist typisch für die späten 1970er und frühen 1980er Jahre. Ein Look, den man entweder mag oder nicht. Aber es lässt sich nicht verleugnen, dass dieser Prototyp viel Eleganz ausstrahlt.“
Zurück in die Zukunft
Der Avantgarde-Charakter dieser ungewöhnlichen Oberklassenlimousine wird unserem rasenden Fotoreporter erst bewusst, als er auf dem Beifahrersitz Platz nimmt: „Beim Anblick des Interieurs wurde mir klar, dass Autos wie der Pinin Vorreiter für Highend-Luxusschlitten wie Panamera, Rapide und Lagonda waren”, berichtet Remi. “Dieser Ferrari war mit vier Sitzen, Bedienelementen für die Fontpassagiere, einem unglaublichen Level an Komfort, hochwertigem Leder überall und einer für die damalige Zeit beeindruckend innovativen Technologie eindeutig die Benchmark. Auch das Armaturenbrett war definitiv zukunftsweisend.“
Konzeptstudie mit Tücken
Weil der Ferrari Pinin nur als Showcar diesen sollte, musste die Unterbringung des Motors hinter den Designansprüchen zurückstehen. Vorgesehen war für den Prototypen ein V12 mit fünf Litern Hubraum – und in Turin wurde der viersitzige Ferrari auch mit diesem Triebwerk vorgestellt. Aber leider fuhr der edle Italiener noch nicht. Den Pinin fahrfertig zu machen, bereitete Ferrari Kopfschmerzen – ein Umstand, der auch unserem Fotograf bei seiner kurzen Probefahrt nicht entging: „Der Ferrari ist zwar fahrbereit, aber er hat seine Tücken. Da dieser Prototyp nicht um einen Motor herum entworfen wurde, ist im Innenraum sehr wenig Platz. Das Kraftpaket aus dem Ferrari 512 BB wurde im Prinzip nachträglich in den Motorraum gequetscht. Ich sitze also in dieser einzigartigen Konzeptstudie mit ihrer faszinierenden Historie, die nur mit Mühe Linkskurven nehmen kann. Außerdem muss man die Straße ständig mit Argusaugen beobachten, denn das winzigste Steinchen könnte dem Pinin zum Verhängnis werden – so tief liegt der Motor.“
Der falsche Zeitpunkt
Obwohl Enzo Ferrari von Pininfarinas Konzeptstudie sehr beeindruckt war und eine Serienproduktion des viertürigen Pinin ernsthaft in Erwägung zog, entschloss er sich letzten Endes doch gegen dieses radikal andere Design. Das Concept Car wurde an den belgischen Rennfahrer und Ecurie- Francorchamps-Teamleiter Jacques Swaters verkauft. „Der Pinin lag auf einer Linie mit der Ferrari-Philosophie”, ergänzt Remi. “Aber leider war die Zeit noch nicht reif.”
Der Ferrari, der hätte sein sollen
„Heute damit durch die Straßen von Maranello zu schweben“, schwärmt unser Fotograf, „vorbei am Ferrari-Werk und zum Restaurant Cavallino ist allerdings ein Hochgenuss. Auch wenn der Pinin nicht gerade mit Straßentauglichkeit glänzt, so ist es doch eine große Ehre für mich, am Steuer des einzigen viersitzigen Ferrari zu sitzen, den die Italiener je gebaut haben –und von dem sie eindeutig mehr hätten bauen sollen.“
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2015