Wenn wir die Möglichkeit hätten, in der Zeit zurückzureisen, um einen besonderen Moment in der Geschichte zu erleben, fielen uns viele Ereignisse ein. Zu erleben, wie der junge Elvis Presley zum ersten Mal mit den Hüften wackelt, zu hören, wie die Concorde zu ihrem Jungfernflug abhebt oder vielleicht im Frühling 1934 dabei zu sein, wie Jean Bugatti sein neuestes Wunderwerk, den Typ 57, erstmals der Öffentlichkeit vorstellt. Und damit den Startschuss für eines der legendärsten Modelle der Molsheimer Marke gibt, das bis zum Ausbruch des Krieges in vielen Varianten gebaut wurde.
Wie bei vielen anderen Marken in jener Zeit üblich, wurde auch der Typ 57 bevorzugt als „rolling chassis“ gebaut. Um Kunden danach die Möglichkeit zu geben, ihr Modell bei einem der darauf spezialisierten Karosseriebauer nach eigenem Gusto gestalten und ausstatten zu lassen. Oder man nutzte die Möglichkeit, eine von drei werksseitigen Karosserievarianten zu ordern, benannt jeweils nach berühmten europäischen Bergpässen. Es gab den Galibier, eine viertürige Limousine ohne B-Säule, den Ventoux, ein elegantes zweitüriges Coupé mit vier Sitzplätzen, und schließlich den Stelvio, ein zwei- bis viersitziges Cabriolet, dessen Aufbau an Gangloff übertragen wurde.
Nach einem erfolgreichen ersten Produktionsjahr kam 1935 eine weitere und damit vierte Werksvariante auf den Markt: ein Faux Cabriolet namens Atalante. Dieses zweitürige, zweisitzige Coupé mit festem Dach, einteiliger Windschutzscheibe und fehlenden Trittbrettern sollte das beliebteste Modell von Bugatti werden. Insgesamt entstanden 33 Exemplare, von denen glücklicherweise ein bemerkenswert hoher Prozentsatz intakt überlebt hat oder auf andere Type 57-Fahrgestelle umgebaut wurde.
Dieses sehr frühe Exemplar mit Fahrgestellnummer 57252 zeichnet sich durch ein elegant eingezogenes Heck aus, das dem gesamten Wagen ein agileres Äußeres verleiht. Kleine Details, wie die konvexen Radabdeckungen mit speziellen, handgeformten Elementen in Tropfenform und die elegant auslaufenden hinteren Kotflügel verleihen dem Wagen ein zierliches und spitz zulaufendes Aussehen. Dieser Wagen verbrachte nach seiner Erstauslieferung am 18. Mai 1935 an einen Monsieur Perrot aus Lyon einen Großteil seines frühen Autolebens bei verschiedenen französischen Bugatti-Händlern und -Sammlern. Ab 1957 fand er mehrere Besitzer in Amerika, ehe er für 19 Jahre in den Besitz des italienischen Autors Guido Artom gelangte. Von dort fand er den Weg zum britischen Sammler Peter Rae. Dieser behielt den Bugatti weitere 20 Jahre und gönnte ihn während dieser Zeit eine über drei Jahre gezogene Restaurierung. Dabei ließ er wieder die Original-Scheinwerfer (freistehend statt wie zwischenzeitlich in die Kotflügel integriert) montieren und die Kotflügelformen dem ursprünglichen Design anpassen.
Nach einem weiteren Besitzerwechsel innerhalb des UK ging es für den Bugatti im September 2019 schließlich in die Niederlande, wo ihn sein neuer (holländischer) Besitzer bei Classic Skills aus Lomm (nördlich von Venlo) erneut restaurieren ließ. Im Zuge dessen erhielt der Atalante seine ursprüngliche zweifarbige Grün-Lackierung („Rauch und Salbei“) zurück, dazu als weitere Zugaben eine Lederausstattung in der Anmutung einer Elefantenhaut und – für Hochgeschwindigkeitstouren – ein Getriebe mit zusätzlichem Overdrive.
Jeder Bugatti ist speziell, keiner identisch mit einem anderen, sie sind wahre Juwelen einer glorreichen Epoche. Dich die Typ 57 Atalante sind dank ihrer aerodynamisch verfeinerten Karosserien, der üppigen Innenausstattung sowie der beeindruckenden Leistung und Straßenlage aber noch einmal eine Klasse für sich. Dieses Exemplar mag nächstes Jahr seinen 90. Geburtstag feiern, aber für den passenden Sammler fängt seine Reise gerade erst an! Verfolgen Sie, wie dieses Exemplar am 30. August bei der Londoner Auktion von Gooding & Company versteigert wird.