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Offroader trifft Supersportwagen bei diesem Duo im Military-Look

Könnte diese verrückteste Paarung von Supersportwagen der jüngeren Zeit sich tatsächlich doch als durch und durch vernünftig erweisen? Also, Tarnanzug und Stahlhelm anlegen, um zu erleben, was es mit dem Lamborghini Huracán Sterrato und Porsche 911 Dakar auf sich hat.

An der Ostküste Englands befindet sich ein charmantes Örtchen, in dem britische Rentner ihren Lebensabend genießen. Alte Fischerboote, Senioren-Scooter und eine kaum fassbare Zahl von ruhenden Wohnwagen rosten in der salzigen Nordseeluft vor sich hin. Es ist ein friedlicher, malerischer Ort, in dem die Zeit still steht – wahrscheinlich eine Hochburg der Brexit-Befürworter – und wenn es einmal Abenteuer zu erleben gab, so sind sie längst eine verblichene Erinnerung. Willkommen in Filey.

Und dennoch, trotz des bedächtigen Rufs dieser Fischerdorfs, parkt da ein enormer Widerspruch an den zahllosen Reihen von Ferienhäusern: ein Sports Utility Vehicle, genauer gesagt, ein Land Rover. Bullenfänger, Schnorchel und klobige Offroadreifen setzen einen heftigen Kontrast zu den akkurat gepflegten Rasenflächen und Gartenzwergen. Er wirkt bereit, alles mit einer Umdrehungen eines gesperrten Differentials zu vernichten.

Was könnte wohl die Ruheständler dieses verschlafenen Städtchens annehmen lassen, dass ein robustes 4x4-Fahrzeug, das ursprünglich für die britischen Streitkräfte entwickelt worden war, das adäquate Transportmittel für den Wocheneinkauf darstellen würde? Um diese Frage zu beantworten, benötigen wir einen V10-Saugmotor und einen doppelt aufgeladenen Boxer-Reihensechszylinder, die in ein paar geländegängigen Supersportwagen eingepflanzt worden sind. Ach ja, und natürlich ein Dachzelt.

Unsere Assistenten bei dieser Recherche sind zwei der aberwitzigsten Modelle, die derzeit auf dem Markt sind und aussehen, als wären sie gerade von einem Landungsboot der Royal Navy gerollt – der Lamborghini Huracán Sterrato und der Porsche 911 Dakar. Bei ihnen handelt es sich um hoch aufgerüstete Allradversionen ihrer Modellfamilie, dank ihres Designs wagemutig bereit, dorthin aufzubrechen, wo man eher keine Sportwagen antrifft: Pisten, zugefrorene Seen und Sanddünen (wenn man den Pressefotos Glauben schenken darf). „Sterrato“ bedeutet auf italienisch nämlich „unbefestigter Weg“ und „Dakar“ erinnert ganz klar an die Rallye Paris-Dakar, Zerstörerin von Frontachsen und der Willenskraft der Rennfahrer.

Statt sich bei der offenkundigen, Pseudo-Rallye-Ästhetik zu bedienen (wir meinen dich „Rough Roads“), besitzen die Autos, die uns heute begleiten, eine distinktive militärische Charakteristik. Das Modell Dakar ist in passend bezeichneten „Nato Olive“ konfiguriert und der Sterrato in mattem „Verde Turbine“ mit kontrastierenden schwarzen Akzenten. Wenn Action Man, der Kinderzimmer-Haudegen, eine Flotte von Supercars sein Eigen nennen dürfte, dann müssten sie so und keinen Deut anders sein.

„Ich wollte, dass sie so aussehen, als hätte ein budget-bewusstes Verteidigungsministerium sie in Auftrag gegeben“, erzählt uns ihr Besitzer Chris. Traditionell kamen Fahrzeuge mit erhöhter Bodenfreiheit für militärische Einsatzzwecke in Frage, deswegen wollte ich, dass sie authentisch wirken. Zum Beispiel haben beiden Autos Räder in der Karosseriefarbe, damit es aussieht, als käme der Lack aus nur einer Sprühdose.“

Aber natürlich sehen beide Exemplare nicht aus, als wären Sprayer-Kids in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu Werke gegangen: Das Konzept für dieses Paar wurde von Porsches Sonderwunsch und Lamborghinis Ad Personam-Individualisierung realisiert, Abteilungen, die weit mehr kreativen Raum für Kunden bieten, als normale Händler leisten könnten.

Wohin man auch blickt, entdeckt man sonderangefertigte Details – von den eloxierten Prallplatten an Front und Heck des Dakar, die üblicherweise einen silbernen Finish besitzen, bis zum ausgeräumten Cockpit des Sterrato. „Es gibt hier keine der Gimmicks, die man optionieren würde, wenn man das Auto für einen Wiederverkauf spezifizieren wollte“, sagte Chris. „Ein Verteidigungsministerium hätte nicht den Etat, um Karbonfaser-Schalensitze zu bestellen!“

„Ich wollte, dass es ultra-basic aussieht“, fährt er fort, „so, als könnte man die Tür öffnen und den Innenraum mit einem Schlauch abspritzen. Deswegen sind auch die Spiegel beider Autos mattschwarz. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich unlackierte Stoßfänger haben wollen. Wie ein altes, graviertes Zippo-Feuerzeug oder eine alte Taucheruhr der Froschmänner – diese beiden Autos wurden spezifiziert, um würdevoll zu altern. Bekommen sie Kratzer oder Beulen, dann trägt das zur Patina des Duos bei und betont ihre Bestimmung – wie ein Skateboard mit Gebrauchsspuren.“

Im Innenraum des Dakar setzt sich das strikte utilitaristische Thema fort. Zusätzliche Rücksitze bieten Platz für zu allem entschlossene Mitfahrer dank der GT3-Sitzgurte, Kordsamt-Einsätze ersetzen den serienmäßigen Race-Tex-Stoff, weil sie unempfindlicher gegenüber Staub und Schmutz sind und sogar die „911“-Stickerei auf den Kopfstützen sucht man vergebens. Trotz dieses spartanischen Konzepts bleibt noch Raum für etwas Humor wie beispielsweise bei den illuminierten Türschwellern: „Strassen? Wo wir hinfahren, brauchen wir keine…Strassen“. In der Tat, Straßen sind hier überbewertet.

Allerdings, trotz aller Gelände-Ambitionen, gehört zur traurigen Wirklichkeit, dass die Mehrzahl der weltweit verkauften Dakar und Sterrato – auf 2.500, beziehungsweise 1.499 Einheiten limitiert – ausschließlich Asphalt unter ihre Reifen nehmen. So wie die Rentner-SUV allenfalls einen durchnässten Grünstreifen passieren müssen, werden die meisten dieser Offroad-tauglichen Super Cars ihre gefahrenen Kilometer auf geteertem Mittelmaß absolvieren, ohne eine Spur von Schlamm in den Reifenprofilen.

Damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage: Wenn diese Autos nicht gemäß ihrer Bestimmung eingesetzt werden können, welchen Sinn ergibt dann der Besitz? Wenn sie von ungefähr 95 Prozent ihrer Eigner nie über eine Sanddüne gejagt oder während einer Rallye-Etappe herumgeschleudert werden, kann man hier schon fragen: Was ist der Mehrwert?

„Kaum jemand kauft einen SUV, um ins Gelände zu fahren, ähnlich kauft niemand einen Bugatti, um auf über 480 Stundenkilometer zu beschleunigen“, erläutert Chris. „Man kauft sie wegen des psychologischen Faktors von „ich könnte, wenn ich wollte“. Es geht nicht darum, mit diesen Autos querfeldein zu brausen, sondern um dieses Erleben beim Fahren, eine Attitüde, die fünf oder sechs Jahrzehnte zurückreicht.“

„Wenn Sie an einen Sportwagen aus den 60er oder frühen 70er Jahren denken, dann verbinden Sie damit ein sehr entspanntes Fahrerlebnis. Wegen der stark profilierten Reifen und fehlender Aerodynamikkomponenten haben Sie sich bei der Ein- oder Ausfahrt aus Garagen keine Gedanken gemacht. Wenn Sie zum Bäcker wollten, sind Sie kurz auf dem Gehsteig gefahren, um zu parken – das macht ein moderner Sportwagen nie mit.“

„In einem normalen Lamborghini, selbst einem serienmäßigen Elfer, bereitet jeder Trip Kopfschmerzen“, stellt Chris fest. „Könnte man möglicherweise irgend etwas beschädigen? Kehrt das Auto im selben Zustand zurück? Im Gegensatz dazu bieten der Dakar und der Sterrato ihren Eignern eine entspannte Ownership-Erfahrung.“

Die Theorie von Chris bewahrheitet sich auf jeden Fall auf einer normalen Fahrstraße. Die Anspannung, die man mit dem Bewegen eines wertvollen Supersportwagens verbindet, ist auffällig ausbleibend. Bodenschwelle? Kein Problem. Hohe Bordsteinkante? Wirklich kein Problem. Eine plötzliche, unbemerkte Senke in der Fahrbahn? Nur her damit. Wegen der erhöhten Bodenfreiheit – 50mm beim Porsche und 44mm beim Lamborghini – sowie den verstärkten Bodenplatten verwandelt sich das Fahrerlebnis in eine Offenbarung. Statt dauernd die Straße nach Splitter-zerstörenden Hindernissen zu scannen oder hyper-vorsichtig auf Parkplätzen zu navigieren, befreien Dakar und Sterrato ihre Fahrer von dieser Sorge, damit sie einfach nur diese Maschinen genießen können.

Und was für Maschinen die beiden sind! Diese Offroad-Varianten sind alles andere als weich-gekochte, verwässerte Vertreter der serienmäßigen 911 GTS oder Huracán. Unter ihrer Rüstung sind sie immer noch die rassigen, leidenschaftlichen Vollblüter, die wir lieben gelernt haben. Wenn man auf der Mittelkonsole des Sterrato die Abdeckung hochklappt und den knallroten Starterknopf drückt, hat man beinahe den Eindruck, eine Rakete abzufeuern – bis der V10 erwacht und einem schlagartig klar wird, dass man selbst auf dem Sprengkopf angeschnallt ist. Dieser Lärm geht unter die Haut und ist urtümlich provokativ: Shock and awe, Schock und Staunen, roh und ungezähmt. Die Start-Sequenz des Dakar ist zwar nicht ganz so spektakulär, aber dieses Manko wird mehr als kompensiert durch die exquisiten Kontaktpunkte und das Interieur – hier ist das Herzstück der grandiose analoge Drehzahlmesser, der leider beim jüngsten 992 dem Facelift zum Opfer fiel.

Einmal in Bewegung gesetzt, bieten diese Alleskönner-Gokarts ernstzunehmende Feuerkraft. Beide Geschosse touchieren die 100-Stundenkilometer-Marke in 3,4 Sekunden, was nichts anderes bedeutet, als dass der Rückstoß den Fahrer gegen den Sitz wirft, wenn sich das Gaspedal in einen Abzug verwandelt. Beim Kurvenslalom fühlt sich der erhöhte Lamborghini enorm geerdet an und vermittelt großes Vertrauen in seine Eigenschaften dank des perfekt austarierten Allradsystems. Im Vergleich dazu fühlt sich der etwas höhere Dakar eine Spur weicher an, was aber daran liegen dürfte, dass er von den beiden mehr Kompetenz für Geländefahren erhielt. Dass wir bei unserer Dakar-Ausfahrt auch noch ein Dachzelt mitschleppten, dürfte für die Fahrzeugdynamik nicht von Vorteil gewesen sein.

Die Höchstgeschwindigkeiten sind auf knapp 240 km/h beim Porsche und auf gut 260 beim Lamborghini abgeregelt. Aber wie wir jetzt wissen, kauft niemand diese Autos, um auf einer gesperrten Startbahn Vmax zu erreichen oder den Nil zu überqueren, den Kilimanjaro auf Reifen zu erklimmen oder an einer Kamelkaravane im Sinai mit Sandgischt vorbei zu rasen.

Was den Dakar und den Sterrato schlichtweg so schön und unwiderstehlich macht, ist ihre überzeugende aber auch aufregende Alltagstauglichkeit in ganz realen Situationen in unseren Breitengraden. Natürlich sind sie keine Stadtautos, aber sie durchmessen gelassen den urbanen Verkehrsfluss, ohne Stress zu erzeugen. Sie sind auch keine Hypercars, aber Nebenstraßen bewältigen sie locker in der halben Zeit. Und wenn es soweit ist, dass die Reifen keinen Asphalt mehr spüren, dann kommen Sie fern der befestigten Straßen und Wege weiter als mit einem durchschnittlichen SUV. Wie sich herausstellt, sind diese All-Action-Gefährte tatsächlich die perfekten Allrounder. Verraten Sie es nicht den Ruheständlern von Filey – dann wollen alle einen!

Fotos: Jon Gorman

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