„Gefangen nehmend“. Nachdem wir uns den Kopf zermartert und im Lexikon ewig lange nach einem Adjektiv gesucht hatten, das bislang noch nicht für den Alfa Tipo 33 Stradale benutzt worden war, einigten wir uns auf diesen Begriff. Fasst er doch den Charakter und die Ausstrahlung dieses straßenzugelassenen Rennwagens am besten zusammen. Der Stradale ist mehr als nur ein Hingucker, er beansprucht Deine ganze Aufmerksamkeit und lässt so manche Kinnlade vor Ehrfurcht herunterklappen. Und sollte das nicht jeder große Alfa können?
Feuriger Anlassvorgang
Man frage jeden kompetenten Automobilkenner und -historiker nach seinen zehn schönsten Autos aller Zeiten – neun von zehn würden garantiert den Tipo 33 Stradale auf die Shortlist nehmen. Natürlich ist ‚Schönheit’ immer subjektiv, doch für uns ist Franco Scagliones zugleich sinnliches wie kraftvolles Design nicht weniger als weltmeisterlich. Die kompakten Proportionen sind perfekt austariert, die Konturen und Wölbungen des bei Marazzi gefertigten Aluminium-Körpers erotisierend. Das ist großes Kino – innen wie außen - und bis zu den hoch an den acht Ansaugtrichtern montierten Einspritzdüsen, die beim heiseren Anlassen des Motors gierig Flammen spucken.
Rennwagen für die Straße
Wie Sie sicher wissen, wollte Alfa mit dem Tipo 33 seine Rennsporterfahrung und -technologie für ein extremes Straßenauto nutzen. Obwohl das Auto dabei vom offenen Sportprototypen zum geschlossen Supersportwagen mutierte, gingen nur wenige zugunsten der Alltagstauglichkeit zwingende Modifikationen damit einher. Das Interieur wurde zwar üppig mit Leder ausgelegt und außen verschwanden die dicken Spoiler. Doch hat der Stradale weder ein Lenkradschloss noch Rückspiegel. Und der kleine, wie beim Rennwagen als Mittelmotor eingebaute 2,0-Liter-V8, wurde kaum gedrosselt.
Mit knapp 290 auf der Autostrada
Die Leistungsangaben schwanken von Auto zu Auto, wie auch viele kleine Designfeatures. Doch 230 PS gelten als der am häufigsten genannte und allgemein akzeptierte Wert. Das hört sich zunächst nicht toll an, doch wiegt der Alfa nur 700 Kilo. Der erste private Besitzer eines Stradale, der Amerikaner Henry Wessels II, wurde einmal wie folgt zitiert. „Auf der Autostrada Richtung Venedig fuhr ich vier Kilometer lang mit 10.000 U/min im sechsten Gang. Dabei maß ich eine Geschwindigkeit von knapp 290 km/h.“ Kein Zweifel: Das war noch immer ein echter Racer.
Verdammt teures Vergnügen
Mit 9,75 Millionen Lire war der Tipo 33 Stradale auch teuer, sehr teuer sogar. Daher entstanden auch nur 18 Exemplare. Fünf wurden von Bertone, Pininfarina und Italdesign als Basis für ziemlich abgedrehte Designstudien genutzt – von denen keine auch nur halb so würdig gealtert ist wie der Stradale. Weniger als zehn Autos sollen heute noch existieren und die Suche nach einem zum Kauf angebotenen Modell ist schwieriger als die nach den meisten Ferraris der 60er-Jahre.
Imitation schmeichelt dem Original
Wir sollten Ihnen nun verraten, dass dieser hier abgelichtete Stradale ein von Alfa Romeo in den späten 1970er-Jahren angefertigter Nachbau ist. Doch ganz ehrlich: Wen juckt es, wenn das Auto so ungemein sexy dasteht? Bis auf einige grobkörnige Promotion Videos, einem Kurzauftritt im französisch/italienischen Film „Ein heißer November“ (1969, mit Gina Lollobrigida) und – in jüngerer Zeit – Auftritten bei Concours d’Élegance sind diese Autos selten öffentlich zu sehen. Doch diese Scheu und Zurückgezogenheit sind Teil des Mythos. Beim Anblick eines Tipo 33 Stradale bleibt niemand unberührt – so einfach ist das.
Fotos: Rémi Dargegen for Classic Driver © 2017