Bei unserer ersten Begegnung mit Jochen Hempel und einem seiner Bristol sind wir noch in der Annahme, dass wir von einem mintgrünen Aston Martin überholt werden. Kurze Zeit später finden wir den geparkten Wagen auf dem bekannten ehemaligen Industriegelände wieder. Und stellen fest, dass es sich bei dem englischen Sport saloon um einen Bristol 410 aus dem Jahr 1969 handelt. Was die Sache natürlich noch interessanter macht. Bristol hat nicht den Legendenstatus eines Aston Martins – dennoch ist dieser Anblick eines Sportwagens aus der exzentrischen britischen Manufaktur alles andere als alltäglich. Vom Bristol 410 wurden insgesamt nur 79 Stück verkauft. Dieser mintgrüne V8 aus der Kleinserie fährt heute allerdings ohne seine markanten Chromstoßstangen umher, um ihn „einfach etwas sportlicher wirken zu lassen“, wie uns Jochen Hempel später verrät.
In seiner Galerie beschäftigt sich Jochen hauptsächlich mit zeitgenössischer Kunst. Zu seinen bekanntesten Künstlern gehören der finnische Fotograf Esko Männikö und der gut befreundete Bildhauer Stephan Balkenhol. Wir lernen Jochen als sehr sympathischen und offenen Galeristen kennen, der uns mit seinem Wissen und seinen Geschichten überwältigt. Seine Galerie ist ein offener Kunstraum – dennoch laufen einige Geschäfte mitunter knallhart ab. Kunst ist für viele Menschen auch eine Wertanlage. Es kommt schon vor, dass der Galerist seine Arbeiten mit Freude an Kunden ausliefert, der das Kunstwerk zur reinen Wertsteigerung direkt ins Lager stellen lässt. Mit seinen Automobilen geht Jochen Hempel ganz anders um. Sie sollen leben, bewegt werden. Für Jochen besitzt jedes seiner Autos ein eigenes Leben, mit eigenen Geschichten und gemeinsamen Erfahrungen.
Interessante Geschichten auch sein von Zagato entworfener Bristol 412 Convertible Saloon im Farbton „Brabazon Beige“ zur Genüge erlebt. Zunächst wurde der Brite kurz vor unserem Treffen durch einen Getriebeschade ausgebremst. Darauf folgten mehrere Wochen der Verzweiflung und Ernüchterung. Erst war das importierte Austauschgetriebe nach der Kontrolle durch den deutschen Zoll nicht mehr auffindbar. Dann musste man feststellen, dass ein falsches Getriebemodell geliefert worden war und schlichtweg nicht passte. Es ist nachvollziehbar, dass eine solche Situation nervenaufreibend sein kann. Schlussendlich wurde das alte Getriebe überholt und funktionierte auf Anhieb. Dass Jochen bei der ersten Ausfahrt das Targadach entglitt und eine Delle am Heck hinterließ, sorgte nach allen Geschehnissen nur noch für ein müdes, sarkastischen Lächeln. Das Leben mit einem Bristol geht eben leichter mit britischem Humor und angelsächsischer Duldsamkeit.
Unter dem Lieferschein „CAR/14/0812“ wurde am 09. April 1976 genau jener Bristol 412 vom Werk an die Bristol Cars Limited ausgeliefert. Er diente Inhaber Anthony „Tony“ Crook für ein paar Jahre als Demonstrator Car, bevor er unter nicht geklärten Umständen den Fuhrpark von Bristol verließ. Es lässt sich aber nachvollziehen, dass das exzentrische Convertible drei weitere Besitzer auf der Insel hatte, bevor es 1988 fortan seine Meilen in Australien sammelte. Doch 30 Jahre im australischen Westen haben ihre Spuren hinterlassen. Da man wohl den originalen italienischen Türschlössern von Lancia nicht traute, wurden zusätzliche Schlösser eingebaut. Und in seinem dezenten Beige ging der Bristol im Outback wohl schlichtweg unter. Man verpasste ihm ein sattblaues Kleid, welches in den Jahren deutlich von der australischen Sonne gezeichnet wurde. Bevor Jochen jedoch Schlösser und Altlack entfernte, sollte der Kauf des Wagens zur Feuertaufe werden.
Mit welchen Erwartungen würden Sie zum Kauf eines Autoklassikers nach England fliegen? Wohl nicht damit, auf dem Fußboden der Wohnung des Verkäufers übernachten zu müssen. Da der Bristol auf dem Weg zum Flughafen liegen blieb und das Problem an diesem Tag nicht mehr gelöst werden konnte, musste Jochen mangels freier Hotelzimmer in Wiltshire diese ungewöhnliche Art der Übernachtung antreten. Dank der munteren Mechaniker vor Ort war die Heimreise am nächsten Morgen möglich – doch schon bald folgte ein neues Problem: Dass es im März in England regnet, sollte niemanden überraschen. Dass sich der Scheibenwischer aber schon nach wenigen Meilen verabschiedete, erwies sich als erneute Herausforderung. Durch wiederholtes Anhalten und Fixieren der Scheibenwischer verzögerte sich die Fahrt erheblich. Doch der frisch gebacken Bristol-Besitzer schaffte es gerade noch vor Abfahrt auf die Fähre – und der Rest der Reise verlief ohne weitere Vorkommnisse.
Auf die Marke Bristol ist Jochen im Übrigen durch einen Freund aufmerksam geworden. Dieser zeigte ihm seinen Bristol Blenheim, ein Linkslenker und „furchtbar hässlicher Wagen“, wie Jochen gesteht. Dennoch hatte es ihm die Marke angetan. Schließlich suchte er schon seit Längerem ein ungewöhnliches Auto mit Geschichte. Exklusiv sollte es sein, aber dennoch erschwinglich. Sein erster Bristol wurde der 603 – das Coupé wurde von 1976 bis zum Jahr 2011 ohne große Veränderungen in England gebaut. Als vor ein paar Jahren die Frontscheibe einen Sprung hatte, war es das Bristol-Werk selbst, dass als einziger Anbieter noch originale, wenn auch gebrauchte Scheiben auf Lager hatte. Und da Bristol den Einbau ganz exklusiv nur vor Ort anbot, musste Jochen ein weiteres Mal nach England reisen. Eine Nacht auf dem Fußboden blieb ihm dieses Mal erspart.
Es scheint schon fast selbstverständlich, dass auch dieser Wagen seine eigene Geschichte zu erzählen hat. Kurz vor der ersten Insolvenz von Bristol Cars Limited im Jahr 2011 holte Jochen seinen Briten im einzigen Showroom der Marke In der Kensington Hight Street in London ab. Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass sein Bristol 603 der letzte Gebrauchtwagen war, der vor der Insolvenz in diesen heiligen Hallen verkauft worden war. Heute, fast 10 Jahre und einige Wiederbelebungsversuche später, hat Bristol seine Aktivitäten leider endgültig eingestellt. Hoffen wir, dass die Traditionsmarke dennoch nicht verschwindet und Menschen wie Jochen Hempel ihre Geschichte auf ganz persönliche Art und Weise fortschreiben können.