Es gibt Autos, die regen aufgrund ihrer Physis einfach nicht zum Fahren an. Englische Mittelklassewagen der späten 80er Jahre gehören dazu, auch einige japanische Kleinwagen. Aber doch sicher nicht jener rote Ferrari Testarossa, der vor wenigen Tagen zu einem Rekordpreis von rund 220.000 Euro bei RM Auctions in Pebble Beach versteigert wurde. Doch offenbar hatte sein erster Besitzer bereits im April 1989, kurz nach der Auslieferung bei Kessler Motors in New York, vergessen, wo er das gute Stück geparkt hatte. Und sich auch später keine weiteren Gedanken um seinen Ferrari gemacht. Nur so ließe sich zumindest der wohl einmalig geringe Kilometerstand von nur 129 Meilen erklären. Wir tippen: Der Ferrari stand völlig unbehelligt von allen Irrungen und Wirrungen der Zeit in einer blitzsauberen, klimatisierten Garage und empfing gelegentlich den Besuch von autorisiertem Personal, das nach Reifendruck, Öl und Wasser sah. Der Zustand des Testarossa, der erstmals 2012 wieder auf die Straße durfte, spricht daher auch den anspruchsvollsten Sammler an. Nicht nur, dass die inzwischen gnadenlos ausgehärteten Pirelli-Reifen noch die Originalfarbe gehabt haben dürften – auch sämtliche Sticker, Schlüssel und Bordbuchunterlagen nebst Einfahrhinweise waren beim ersten Aufruf in Kalifornien noch vorhanden. Freuen dürfte sich der neue Besitzer darüber ebenso wie über eine makellose Inneneinrichtung.
Doch ein paar Schritte zurück: Ferrari war 1985 mit dem Testarossa angetreten, um die Reihe der anspruchsvollen Sportcoupés mit Zwölfzylindermotor fortzuführen. Allzu spartanisch durfte es daher in dem relativ engen Cockpit nicht zugehen. Und auch wenn die Instrumentierung heute ein wenig an einen Fiat-Ritmo erinnern mag, so ist die Komposition aus Leder und Veloursteppichen doch überzeugend. Das mag nicht zuletzt an dem besonderen Gesamteindruck liegen, den ein Testarossa auch fast dreißig Jahre nach seinem Debüt auf der Straße hinterlässt. Wo immer der fast zwei Meter breite Zwölfzylinder auftaucht, erstarren die Passanten. Ein Grund sind die in den 80er Jahren populären, seitlichen Gitterstrukturen. Diese eigentlich als Luftführung für den im Heck sitzenden Motor gedachten „Kiemen“ waren zeitweise sogar so populär, dass es Autoveredler gab, die sie selbst Profanmodellen wie dem Opel Kadett implantierten. Von derart „veredelten“ Porsche Gemballa oder Mercedes-SGS-Coupés ganz zu schweigen.
Technisch blieb Ferrari mit dem Testarossa seinem gewohnten Standard treu. Ähnlich dem Modell 512 BB verfügt auch der Testarossa über einen Gitterrohrahmen. Ein äußerst aufwendiges Fahrwerk mit jeweils zwei Feder- und Stoßdämpferelementen pro Rad an der Hinterachse sowie doppelten Dreieckslenkern an der Vorderachse garantieren ein optimales Fahrverhalten. Für genügend Kraft an der Hinterachse sorgt der von einer Bosch-Einspritzanlage mit Kraftstoff versorgte 5,0-Liter-Zwölfzylinder mit immerhin 390 PS. Damit schafft der Zweisitzer bei freier Bahn 295 km/h und katapultiert seine Insassen binnen 5,3 Sekunden auf 100 km/h. Werte, die bei seinem Debüt für Furore sorgten, ebenso wie sein Preis. Rund eine Viertelmillion D-Mark kostete ein brandneuer Testarossa 1985. Unser eingelagerter Fotowagen hat seinen Wert demnacht beinahe verdoppelt. Ob der neue Besitzer indes gewillt ist, diese Investition auch auf Ausfahrten zu genießen, ist nicht überliefert. Wenn ja, ist der rote Renner zunächst mit Vorsicht zu genießen – denn vor dem Fahrspaß dürfte eine längere Einfahrphase mit gelupftem Gasfuß nötig sein.
Fotos: Khiem Pham ©2012 Courtesy of RM Auctions