Nach dem souveränen Gewinn der nach Gruppe-5-Reglement ausgetragenen Markenweltmeisterschaft des Jahres 1976 mit dem in Martini-Farben lackierten Werkswagen entschloss sich Porsche, für die Saison 935-Kundenfahrzeuge auf Band zu legen. Sowohl für deutsche Kunden wie Kremer, Loos, Kannacher, Max Moritz als auch US-Crews wie Brumos, Barbour oder Garretson. Hatte diese erste Serie von 13 Fahrzeugen noch einen maximal „nur“ 630 PS starken Dreiliter-Boxer mit Mono-Lader im Heck, spendierte man den Kunden eines 935/78 ein Bi-Turbo-Triebwerk, das in der stärksten Ausbaustufe mit 3,2 Liter Hubraum (930/80) bis zu 720 PS bei 8000 U/min pro Minute über einen starren Durchtrieb auf die Fahrbahn brachte. Mit bis zu 680 Pferdestärken stand ihm die Dreiliter-Variante (930/72) kaum nach. Insgesamt bauten sie in Weissach 15 Exemplare des 935/78 auf. Neben Brumos, Loos, Kremer und Co. freute sich als neuer Kunde auch Joest Racing/Liqui Moly über die stärkeren Antriebsherzen, deren Ladedruck der Pilot über das legendäre „Dampfrad“ vom Cockpit aus nach Bedarf regeln konnte. Die 935/78 erhielten als weitere Besonderheit größere Heckkotflügel, um die beiden links und rechts längs zur Fahrtrichtung montierten Ladeluftkühler aufnehmen zu können. Für leichtere Arbeiten im Motorumfeld konnten sie komplett entfernt werden.
Unser Titelheld, das Auto mit Chassisnummer 930-890-0012, gehörte auch zu dieser Bi-Turbo-Fraktion und wurde 1978 an die Kölner Brüder Erwin und Manfred Kremer geliefert, die ihn mit Bob Wollek und Henri Pescarolo sofort bei den 24 Stunden von Daytona einsetzten. Die französischen Routiniers starteten aus der ersten Reihe, fielen aber früh mit Motorschaden aus. Nach nur einem Rennen verkaufte Kremer den 935 an den Aachener Unternehmer und Privatfahrer Dieter Schornstein, der ihn in den Farben der Sponsoren Sekurit und (ab 1980) Vegla ausführlich in der deutschen Rennsport-Meisterschaft und in der Marken-WM einsetzte. Für Le Mans 1978 vermietete er sein Auto an die drei Amerikaner Busby, Knoop und Cord, die damit Platz sechs und den Sieg in der Gruppe-5-Klasse holten. Schornstein griff bei den 6 Stunden von Dijon wieder selbst ins Steuer und belegte zusammen mit Edgar Dören Platz drei. Nach sage und schreibe 35 Starts in den Jahren 1979 und 1980 – darunter 1980 als Highlight der erneute Klassensieg an der Sarthe – gab Schornstein den Wagen bei Joest Racing in Zahlung, da er sich dort einen 935 J neu hatte aufbauen lassen. Joest tat nun das Gleiche mit 890-0012 und spendierte ihm neben einer eigenen Front- auch eine verlängerte Heckverkleidung samt NACA-Düsen zur besseren Beatmung von Motor und Intercoolern.“
Erstmals in dieser neuen Konfiguration kam das Auto mit Sponsorgeldern des Kolumbianers Mauricio de Narvaez dann erneut in Le Mans zum Einsatz, der jedoch nach 152 Runden mit einem Ausfall endete. Danach bestritt Jochen Mass mit 930-890-0012 die 200 Meilen von Nürnberg am Norisring und den im Rahmenprogramm des Formel-1-Grand Prix ausgetragenen DTM-Lauf in Hockenheim. Nachdem Schornsteins neuer Vegla-935 J 1982 im Training zu Le Mans bei Tempo 300 mit Harald Grohs am Steuer bei einem horrenden Feuerunfall total zerstört wurde, mietete der Aachener sein altes Auto erneut bei Joest, um damit die vier letzten Rennen der Saison zu bestreiten.
Doch damit war das Arbeitsleben dieses 935 noch immer nicht beendet. Denn nach einer inaktiven Saison 1983 kam der mit Kaffee-Geldern gesegnete de Narvaez für zwei IMSA-Rennen wieder ins Spiel. Als Warm-up fuhr er im Februar den GP von Miami, gefolgt am 24. März 1984 von den 12 Stunden von Sebring. Als Partner für dieses Mega-Event holte er sich den erfahrenen Deutschen Hans Heyer und den schwedischen Formel-1-Piloten Stefan Johansson ins Boot.
Heyer erinnert sich noch lebhaft an das zunächst mit Hindernissen gepflasterte Wochenende: „Stefan und ich kamen wegen eines Turbinenschadens am Flugzeug einschließlich Feuer erst nach Ende des Trainings an. Wir kannten die Strecke beide nicht und durften sie noch nicht einmal zu Fuß abgehen, das konnte ja lustig werden. Vom 16. Startplatz, den de Narvaez herausgefahren hatte, bin ich jeweils auf den langen Geraden mit viel Ladedruck zwischen den Prototypen Slalom gefahren. In der zweiten Runde war ich mit Hans-Joachim Stuck (Akin-935) im Schlepptau schon Erster, wusste aber immer noch nicht, ob es in der nächsten Ecke rechts oder links herumging. Es war abenteuerlich, aber Leistung ist halt durch nichts zu ersetzen. Brian Redman im Group-44-Jaguar mit 12-Zylinder-Saugmotor verstand die Welt nicht mehr. Später kam Johansson mit der gleichen Nummer und wir haben diesen Klassiker zur Verwunderung aller gewonnen.“
Es sollte der letzte Sieg eines Porsche 935 bei einem großen Langstreckenrennen sein. Denn längst hatte nach Einführung der Gruppe C zur Saison 1983 der 956 bei Porsche die Nachfolge des 935 angetreten. De Narvaez versuchte es 1985 noch einmal in Sebring, doch diesmal endete das gegen Mitternacht endende Rennen für ihn und seine beiden amerikanischen Partner mit einem DNF.
Nach diesem allerletzten Einsatz wurde 930-890-0012 abgestellt und 1987 an den französischen Sammler und Gentleman-Piloten Jean Verchere verkaufte. Der fuhr ihn nur einmal, 1987 bei einem Trackday in Dijon, um ihn dann in 36 Jahren an seinen neuen europäischen Besitzer zu verkaufen Mit dem Wunsch: „I hope you enjoy owning this fantastic car as much as I did.“ 45 Jahre nach der Erstauslieferung wurde der Wagen dann von einer dreiköpfigen Crew unter Leitung des freien Porsche-Mechanikers Hermann Rüttger in weniger als vier Monaten wieder technisch in einen fahrbereiten Zustand versetzt und die Patina des unberührten Autos vollständig erhalten. Lediglich die Sponsorenaufkleber wurden auf den Stand des Sebring-Sieges von 1984 verändert. In alter Frische verhalf der 890-0012 dann seinem neuen Eigner auf Anhieb zum Klassensieg beim Goodwood Festival of Speed – mit 0,01 Sekunden (!) Vorsprung auf den Ex-Joest 962 FAT-Turbo! Und bei der ins Haus stehenden Porsche Rennsport Reunion vom 28. September bis 1. Oktober 2023 wird unter anderem Stefan Johansson „seinen“ Siegerwagen von 1984 über den Weathertech Raceway Laguna Seca steuern dürfen!
„Es wurde bei der Restaurierung sehr darauf geachtet, die Patina zu erhalten“, betont Hermann Rüttger. „Das Auto hat zum Beispiel nach wie vor den Original-Motor drin und spricht aufgrund des Zustands komplett für sich selbst.“ Das für ihn Bemerkenswerteste an dieser Zeitkapsel ist aber die Tatsache, dass das Auto unverbastelt ist und in über 60 Rennen nie einen Crash hatte. „They are only original once“, so auch die feste Überzeugung des neuen Besitzers. Wir jedenfalls freuen uns schon darauf, diesen bemerkenswerten Porsche 935 im neuen Jahr bei verschiedenen Trackdays und Events wieder zu sehen und dem Zischen seiner Turbolader zu lauschen!
Photos: Stephan Bauer / Wouter Melissen