„Such a perfect day,” sang Lou Reed vor fast 50 Jahren. Hat er dabei vielleicht an eine frühmorgendliche Fahrt entlang des berühmten 17-Mile Drive auf der Halbinsel von Monterey gedacht? Mit nicht nur einem, sondern zwei oder besser gleich drei Lamborghini Miura? Als der ursprüngliche Traktorenbauer Ferruccio Lamborghini 1963 seine Sportwagenfirma gründete, träumte er vom Bau seines eigenen, ultimativen Gran Turismo. Nach einem ansehnlichen Aufwärmtraining mit den Modellreihen 350 und 400 setzte er seinen Traum 1966 mit der Enthüllung des Lamborghini Miura in die Realität um. Zugleich präsentierte er damit das erste Auto, das Journalisten zur Prägung eines bis dahin unbekannten und nun neuen Gattungsbegriffs animierte: dem Supersportwagen.
Der Lamborghini Miura entstand aus den Träumen junger Designer und Ingenieure, die ihre Liebe zu Rennwagen verband: Marcello Gandini, Giampaolo Dallara, Paolo Stanzani, Bob Wallace – und nicht zu vergessen Giotto Bizzarrini, Konstrukteur des als Mittelmotor installierten Viernockenwellen-V12, der aus drei Litern Hubraum 350 PS schöpfte. Kaum überraschend, dass in den Folgejahren all diese Männer in ihrer jeweiligen Fachdisziplin in Führungspositionen hineinwuchsen.
Was unser kalifornisches Sonnenaufgangs-Erlebnis besonders speziell machte, war der historische Background und der hervorragende Zustand der drei Lamborghini Miura. Jeder Wagen hatte gerade erst eine historisch korrekte und penibel ausgeführte Restaurierung bei Lamborghinis Polo Storico erfahren. Wie hoch die Qualität dieser Arbeiten wirklich war, davon zeugte das Abschneiden der Autos beim Pebble Beach Concours d’Elegance: Platz eins und drei in der Miura-Klasse.
Beim Anblick der Preziosen wurde uns nochmal bewusst, was für eine großartige Idee es doch ist, sie in den firmeneigenen Werkstätten wieder auffrischen zu lassen. Der große Vorteil liegt darin, dass die Original-Spezifikationen immer direkt nachgeprüft und respektiert werden, was die Authentizität der Modelle garantiert. Auch auf einer persönlicheren Ebene ist es eine wunderbare Idee, weil es einfach unglaublich viel Freude vermittelt. Denn im Endeffekt wird hier die freudige Erwartung rekonstruiert, die der ursprüngliche Besitzer empfunden haben muss, als er das Auto damals neu in Sant’Agata in Empfang genommen hat.
Alle diese Gedanken treten in dem Moment in den Hintergrund, in dem die drei Zwölfzylinder ihren vollen, runden und kraftvollen Sound ertönen lassen. Der sowohl süß wie musikalisch ist. Bei weitem am meisten Krach macht als Folge seines offenen Auspuffs der einzigartige Lamborghini Miura SVR. Der Wagen mit Chassisnummer #3781 wurde ursprünglich am 30. November 1968 als grüner Miura S in Italien ausgeliefert. Nachdem er in nur sechs Jahren durch die Hände von acht italienischen Besitzern gegangen war, kaufte ihn 1974 der deutsche Unternehmer Heinz Straber, der den Lamborghini für schnelle Fahrten an den Gardasee nutzen wollte.
Dazu ließ er den Wagen in angeblich 18 Monaten bei Lamborghini nach Vorbild des wild bespoilerten Miura SVJ in einen SVR umbauen - in leuchtendem Rot und zugelassen für den Einsatz auf öffentlichen Straßen. Im Bug wurde ein Zusatztank installiert, um die Zahl der Tankstopps zu reduzieren, während die offene Auspuffanlage noch ein paar PS mehr freigesetzt haben dürfte. Nachdem er vergeblich eine deutsche Zulassung beantragt hatte, verkaufte Straber das Auto jedoch schon ein Jahr später nach Japan, wo es zum Hauptdarsteller im berühmten Manga «The Circuit Wolf» und zum beliebtesten Spielzeugmodell des dortigen Marktes avancierte. Wenn Sie einen schnellen und lauten Miura mögen, dann wäre der SVR ihr Favorit.
Der Lamborghini Miura P400 in der wunderschönen Farbe Arancio dagegen ist ein Filmstar. Das Polo Storico hat das Auto mit Chassisnummer #3586 zweifelsfrei als jenes Modell identifiziert und zertifiziert, das 1969 in der Eröffnungsszene zum Kultfilm "The Italian Job" zu sehen ist. Der berühmte 17-Mile Drive entlang des Pazifiks unterscheidet sich zwar deutlich vom Großen St. Bernhard-Pass in der Schweiz, doch ist die Zahl der Kurven vergleichbar. Das Erlebnis hinterm Steuer dürfte jedoch mit großer Sicherheit den Fahrer dazu animieren, Teile des von Matt Monro intonierten Film-Songs On Days like Theseanzustimmen!
Der dritte und letzte Miura unseres Trios trägt die Chassisnummer #3673 und wurde beim letzten Pebble Beach Concours d’Elegance mit dem Preis „Best in Class” gekürt. Er zählt ohne Zweifel zu den exquisitesten unter allen noch existierenden Modellen und ist bis ins kleinste Detail das perfekte Beispiel dafür, wie ein Miura aussehen und fahren sollte. Das Auto wurde ursprünglich an einen südafrikanischen Enthusiasten ausgeliefert und gehört heute dem FIA-Präsidenten Jean Todt. „Vor vielen Jahren hatte ich die Gelegenheit, einmal einen Miura zu fahren”, sagt Todt, der ein begeisterter Automobilsammler ist. „Und ich hatte lange davon geträumt, einen zu besitzen. Als ich #3763 erwarb, sah er sehr traurig aus und benötigte dringend mehr Aufmerksamkeit. Ich hätte mir für eine Restaurierung keinen besseren Ort vorstellen können als Sant’Agata Bolognese. Denn ich wollte mir den Traum, einen Miura zu besitzen, wirklich umfassend erfüllen.”
Unsere Traumausfahrt endet mit einem Halt am Strand, um Fotograf Rémi Dargegen die Möglichkeit zu geben, die magische Szenerie im Bild festzuhalten. Mit den sanft an den Strand schlagenden Wellen und dem freundlichen Knistern der abkühlenden Motoren schien für einen Moment die Zeit still zu stehen. Es ist ein Moment, der allen, die an diesem Tag dabei waren, noch sehr lange im Gedächtnis bleiben wird. Wie die Erinnerung an einen wunderbaren Traum.
Text: Massimo Delbo / Fotos: Rémi Dargegen © 2020