Wie ein lange gereifter Wein
Auch 25 Jahre nach seinem Debüt verursacht der Anblick eines Jaguar XJ220 noch immer weiche Knie und ehrfürchtiges Staunen. Seine gestreckte Form und seine schiere Größe und Länge haben ihn weitaus weniger altern lassen als viele seiner zeitgenössischen Konkurrenten. Gab es jemals einen Supersportwagen, der dazu auserkoren war, einen Ehrenplatz an den Posterwänden von Teenagerzimmern zu erobern, dann dieser. Das unter den Lichtern des Hangars schimmernde Exemplar trägt die Chassisnummer acht, es stammt aus einer Serie von zehn Prototypen und wurde 1991 von keiner Geringeren als Prinzessin Diana enthüllt – aus Anlass der offiziellen Einweihung der eigens für den XJ220 errichteten Fabrik in Bloxham bei Banbury. In jüngerer Vergangenheit diente der Wagen Pirelli dazu, einen neuen Reifen für Jaguar Classic und den XJ220 zu entwickeln. Eine naheliegende Partnerschaft – war doch seinerzeit die Konzeptstudie des XJ220 mit von Hand profilierten Pirelli-Pneus bestückt, obgleich der Erstausrüstervertrag danach an Bridgestone ging. Die leider etwas unglückliche Geschichte des XJ220 ist bestens dokumentiert, doch ohne Zweifel werden heutige Besitzer dankbar sein für die nun neu initiierte Werksunterstützung. Wer weiß, ob sich im Zuge dessen nicht auch eine Wertsteigerung der seltenen Autos einstellt?
Noch immer verdammt schnell
Das Interieur in Mushroomgrau ist plüschig und vermittelt das Gefühl eines Kokons. Gut abgeschirmt vom rauen Wummern des hinter uns sitzenden Bi-Turbo-V6 wirkt alles noch eher undramatisch. Aber nur so lange, bis unser Fahrer auf den Taxiway des Flughafens Mendig in der Eifel steuert und das Gas bis zum Bodenteppich durchdrückt. Sofort stellt sich der volle Ladedruck ein, versetzt einen Schlag in den Rücken und lässt das Auto wie eine Rakete nach vorne schießen. Während die Geschwindigkeit ansteigt, hört man, wie die Luft nur wenige Zentimeter über dem Kopf vorbeizischt. Und man ahnt, dass es noch um einiges schneller gehen könnte. In der Tat, selbst nach heutigen Maßstäben ist der 1992 mit 341 km/h angegebene Jaguar noch immer verdammt schnell!
Unsere eigene „Grüne Ratte“
Egal, wie man nun genau zum neu aufgelegten Jaguar XKSS oder der hinter ihm stehenden Idee der originalgetreu und per Hand nachgebauten „Continuation Cars“ stehen mag – ein XKSS ist ohne Zweifel eines der faszinierendsten automobilen Objekte, die diesen Planeten bevölkert haben. Oder eben neu bevölkern sollen. Kaum verwunderlich, dass sich Steve McQueen damals in dieses Auto verliebte. Auch wenn die Lackierung von Chassis Zero in Sherwood Green nicht identisch ist mit McQueens „Grüner Ratte“, nutzte Jaguar das Auto für ein Einführungsvideo auf dem Mulholland Drive in Los Angeles, das in Bezug auf die Dramaturgie eindeutig von der Welt des Hollywood-Stars beeinflusst war. Mein Erstaunen über das aus großen Scheinwerferaugen blickende und leicht aufgequollene Auto verschwand in dem Moment, als der Motor grollend aufbellte. Im knapp geschnittenen Beifahrerraum kauernd, wird man sehr schnell von einer enormen Hitze, dem Geruch von Benzin und Leder sowie dem ohrenbetäubenden Lärm des gleich unter einem seitlich austretenden Auspuffs umhüllt. Wir düsten die Runway hinunter und durch die erste der künstlich angelegten Kurven – und sofort wurde klar, dass dies kein weich gefederter Sportwagen für einen Sonntagnachmittag-Ausflug ist. Sondern durch und durch ein D-type. Sehr imponierend, wie der Wagen beschleunigte, bremste und einlenkte.
Einer der Größten aller Zeiten
Wären wir die glücklichen Kunden eines der neun neuen Jaguar XKSS, würden wir alles Erdenkliche tun, um eine Einzelzulassung zu bekommen. Denn nur die würde es erlauben, das Auto auch auf der Straße bewegen zu können. Einen XKSS auf unserem Lieblingsstück Landstraße ausfahren zu können, dürfte durch kaum ein anderes Fahrerlebnis zu toppen sein. Und für 1,3 Millionen Euro wäre es zudem noch das Schnäppchen des Jahrhunderts.
Fotos: Mathieu Bonnevie for Classic Driver © 2017