Fahren um des Fahrens willen – ein Gefühl, das wir aufgrund der Anforderungen des modernen Lebens leider viel zu selten und meist auch nicht unmittelbar vor der Haustür genießen können. Doch hier bietet sich nun eine solche Gelegenheit – denn eine Ex-Werks-Alpine A110 1300 S wartet draußen auf der Einfahrt. Schon um 3 Uhr nachts wachen wir erstmals auf. Der Gedanke an das, was uns ein paar Stunden später auf ruhigen und wunderschönen Landstraßen erwartet, lässt uns nur noch in einen unruhigen Restschlaf zurückdämmern. Die Vorfreude ist groß....
Der Kälte trotzen
Noch ist es dunkel, doch weder die bittere Kälte noch die von Schneewänden gerahmten und teils matschigen Straßen können den Augenblick trüben. Denn Du fährst gleich eine Alpine A110. Sie wurde konzipiert vom legendären Jean Rédélé, um damit die eisigen Seealpen-Pässe der Rallye Monte Carlo am schnellsten zu bezwingen. Aber auch die staubigen Schotterpisten der griechischen Rallye Akropolis. Doch der erste große Erfolg kam 1968 bei einem Lauf zur Rallye-EM: Auch gelegentliche Eisplatten waren kein Hindernis für Werksfahrer Jean Vinatier und seinen Co Marcel Callewaert, mit dem hier fotografierten Modell die Rallye Vltava in der damaligen Tschechoslowakei (CSSR) zu gewinnen. Im Ziel lagen die Franzosen vor so illustren Gegnern wie Simo Lampinen (Saab 96), Gilbert Staepelaere (Ford Escort TC), Hakan Lindberg (Saab 96) und einer weiteren Alpine mit Jean-Francois Piot und einem gewissen Jean Todt.
Passt wie ein Handschuh
Es stimmt, was sie über die Alpine sagen – man fährt das Auto weniger als dass man es trägt, so winzig sind seine Abmessungen. Hat man sich erst einmal in die wie ein Handschuh geformte Kabine hineingeschält und einen leicht benzingetränkten Ledergeruch durch die Nasenflügel inhaliert, kann der Spaß beginnen. Der Gordini Motor erwacht mit einem geschäftigen Brummen zum Leben und durchbricht die morgendliche Stille. In den Wäldern hallt sein Sound von den Stämmen wider und dringt zugleich direkt in die Seele des Piloten. Währenddessen kommt die Sonne langsam über den Horizont empor, taut den Asphalt auf und wärmt das Cockpit.
Geborener Rallyeschreck
Sammler mögen eher nach der stärkeren A110 1600 Ausschau halten, doch Jürgen Clauss, Gründer von AlpineLab und neben unserem Fotomodell stolzer Besitzer von fünf weiteren Plastikflundern aus Dieppe – hält den1300 S mit Gordini-Motor für das non plus ultra. „Okay, sie ist nicht so kräftig“, sagt er, „doch dafür ungemein agil. Und der Motor liebt hohe Drehzahlen.“ Als authentisches Werksauto trägt unsere Alpine alle Insignien eines echten Rallyeautos: ultradünne und fast schon beängstigend fragile Glasfaser-Paneele, SEV Marchal Zusatzscheinwerfer und zwei Tanks, um nur die wichtigsten zu nennen. Letztere wissen wir dankend zu schätzen, während wir die tänzerischen Fähigkeiten der nur 720 Kilo leichten Plastikflunder austesten.
Puzzlespiel
Kaum zu glauben, aber noch vor zehn Jahren war diese schöne Französin nicht mehr als ein Wrack, ohne Hoffnung auf Rettung. Bis, ja bis der im schwäbischen Nest Aldorf-Brech (Rems-Murr-Kreis) ansässige Clauss sie entdeckte. Nachdem das Auto seine Rennsportkarriere beendet hatte, wurde es im Raum Wien im normalen Straßenverkehr eingesetzt und hatte dann irgendwann einen Unfall. Es ging durch die Hände mehrerer österreichischer Besitzer, doch alle scheuten die Mühen einer vernünftigen Restaurierung. Immerhin horteten die meisten von ihnen noch gewisse Teile, was Clauss dabei half, die Alpine wieder auf den Stand Vltava Rallye von 1968 zurückzubringen. Als er damit begann, stand er vor einem Teilepuzzle. „Es war schwierig, die nötigen Teile aufzutreiben. Doch ist es Teil meiner Passion – ich liebe es, auf Spurensuche zu gehen und dazu in Kontakt zu früheren Besitzern zu treten. Nicht immer habe ich Erfolg, doch die meisten sind bereit zu helfen.” Im hiesigen Fall besteht kein Zweifel: Der Aufwand hat sich allemal gelohnt, diese Alpine ist einfach nur vom Feinsten.
Der Frühling darf noch warten
Eine solche A110 ist die perfekte Begleitung für Straßenrallyes wie die Tour Auto. Eine echte Rallye-Ikone, trotz seiner winzigen Statur strahlt das Auto eine Aura großer Wichtigkeit aus. Man soll ja immer dann aufhören, wenn es gerade am schönsten ist. Das tun wir dann auch, und steuern schweren Herzens zurück zur Basis. Und während die Alpine langsam abkühlt, bewundern wir aus der warmen Gare heraus noch einmal ihre wundervoll schlanke Figur. Der Frühling ist in Sicht, doch manchmal kann auch Kälte das Herz erwärmen.....
Fotos mit freundlicher Genehmigung von AlpineLab / David Zu Elfe © 2017