Was ist es, das wir alle so sehr an Tourenwagen lieben? Für uns liegt ihr Reiz vor allem in der visuellen Schlichtheit. Sie sind in fein geschnittene Anzüge gekleidet und trotz des Überrollkäfigs und anderer Sicherheitsausrüstungen sofort als ein Modell erkennbar, das parallel zur Rennstrecke auch auf einem Besucherparkplatz stehen könnte. Während die 1990er-Jahre ein Jahrzehnt innovativer und intensiver Entwicklungen in der Welt des Motorsports waren und einige der berühmtesten Rennwagen aller Zeiten hervorbrachten, sind es die damals noch sehr seriennahen Tourenwagen, die für uns herausragen. Keiner von ihnen glänzte so wie der Audi V8 Quattro – eine Rennlimousine die dort anknüpfte, wo das Rallye-Monster der Gruppe B Mitte der 1980er-Jahre aufgehört hatte. Und wie dieses versuchte, die absolute Dominanz in seiner Disziplin zu erlangen.
Zu Beginn des neuen Jahrzehnts dauerte es bei Audi ein wenig länger mit der Entwicklung eines Homologationsspecials – anders BMW und Mercedes-Benz, die ihre Waffen für die 1990 über elf Wochenenden zu je zwei Rennen (Samstag/Sonntag) gehende Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) schon früh fertig geschmiedet hatten. Die Rennen waren hart umkämpft – es gab reichlich Lackaustausch und gegenseitiges Spiegelabfahren – und BMW und Mercedes-Benz bekämpften sich bis aufs Messer. Die größte Aufmerksamkeit erregte jedoch als dritten Kraft ein werksunterstützter, von Schmidt Motorsport (SMS) eingesetzter Audi V8 quattro. Erstmals engagierte sich die Ingolstädter Marke offiziell in der DTM und verpflichteten mit dem ehemaligen Sportwagen-Weltmeister Hans-Joachim Stuck einen echten Hochkaräter als Stammfahrer. Am Ende gewann „Strietzel“ mit der allradgetriebenen Limousine sieben von 22 Rennen und sicherte sich gleich im ersten Anlauf den Titel. Rallye-Star Walter Röhrl, der für die letzten vier Wochenenden in einem zweiten Audi V8 dazustieß, erhöhte das Audi-Erfolgskonto durch einen Sieg am Nürburgring auf acht Siege.
In der Saison 1991 kehrte Audi mit einer Evolutions-Version des V8 und nunmehr zwei werksunterstützten Teams zurück. Für Schmidt Motorsport ging neben dem amtierenden Meister Stuck der 22-jährige Nachwuchsmann Hupert Haupt an den Start. Unterstützung bekamen sie von zwei weiteren V8, genannt vom AZR Audi Centrum, für Frank Biela und Frank Jelinski. Erneut erwies sich der Audi Quattro-Antrieb als eindeutiger Vorteil in Kurven, die die Audianer wie auf Schienen durchfuhren, während andere Piloten schon mit einem ausbrechenden Heck kämpften. Bald kamen Stimmen auf, den 4x4-Antrieb zu verbieten, doch fielen sie bei der Sportbehörde ONS auf taube Ohren.
Zum Leidwesen von BMW und AMG-Mercedes hatte Audi den V8 mit einer Fülle von Upgrades versehen – wie dieses schöne Exemplar aus dem Jahr 1991 zeigt. Der 3,6-Liter-V8-Motor leistete in der „Evo“-Version nun fast 500 PS. Ein völlig neuer Frontsplitter und ein höhenverstellbarer Heckflügel sorgten für erhebliche aerodynamische Verbesserungen. Trotzdem kam BMW am besten aus den Startlöchern, gewann mit Johnny Cecotto und Steve Soper die ersten vier Rennen; gefolgt von zwei Erfolgen für Klaus Ludwig im Mercedes 190 E 2.5-16 EVO2. Auf der Berliner Avus, einem für Audi vorteilhaften Vollgaskurs, holte dann Audi mit je einem Sieg für Stuck und Biela erstmals die Siegestrophäen ab. Am Ende war es dann Biela, der sich mit sechs Siegen den Titel sicherte. Damit gelang Audi als erster Hersteller eine erfolgreiche Titelverteidigung. Stuck landete nach vier Siegen auf Platz drei der Schlusstabelle, und Neuling Haupt holte mit Platz drei beim zweiten Avus-Lauf sein bestes DTM-Ergebnis ever.
In der Saison 1992 war die Dominanz des Autos für die Konkurrenz immer noch eine zum Schlucken bittere Pille. Es bildete sich eine Anti-Audi-Allianz, die dann mit einem Protest gegen eine neue Kurbelwelle (mit 180° Zapfenversatz statt der 90° im Serien-V8) Erfolg zeitigte. Dies führte ausgerechnet vor Audis „Heimspiel“ auf dem Norisring zum sofortigen Rückzug, sodass der Dreifachsieg von Biela, Stuck und Jelinski beim ersten Lauf des Eifelrennens auf der Nürburgring Nordschleife im April der letzte Sieg eines Audi V8 Quattro in der DTM war.
Wenn man sich das Auto ansieht, ist leicht zu verstehen, warum es ein solcher Überflieger war. Neben dem Allradantrieb war sein hochdrehender V8-Saugmotor der Grundstock des Erfolges. Das und sein unverschämt niedriges Gewicht – ein Vorteil, den die Konkurrenz schnell erkannte, und den Audi für 1992 ein Mindestgewicht von 1.300 kg aufbürdete. Trotzdem ließ sich die viertürige Limousine dank des Allradantriebs mit mehr Agilität um die Rennstrecke jagen als ein halb so großes Auto. Trotz des geringen Gewichts überrascht der Audi vor allem im Innenraum, wo er gemäß den damaligen Vorschriften der Gruppe A das Armaturenbrett aus Holzfurnier beibehielt, was der Umgebung aus nacktem Metall einen Hauch von Noblesse verleiht!
Audi bewahrte das hier gezeigte Modell bis 2014 in seinem Museum auf. Dann erwarb sein ehemaliger Fahrer und heutige Rennstallbesitzer Hupert Haupt den V8. Und gab ihn für eine professionelle Restaurierung in den Audi Sport-Farben der Saison 1991 in die kundigen Hände von Imgrund Motorsport aus Hüttenhausen (Landkreis Eichstätt, Oberbayern). Nun mit einem 4,2-Liter-Motor bestückt, der ein höheres Drehmoment bei zugleich etwas niedrigerer Höchstdrehzahl abgibt, ist dieser ikonische Tourenwagen noch nicht bereit, seine Slicks an den Nagel zu hängen. Er wird zusammen mit einem umfangreichen Ersatzteilpaket verkauft, das unter anderem den Original-Rennmotor, zwei Ersatzfelgensätze, einen Kabelbaum, eine komplette Bremsanlage und einen originalgetreuen Laptop zum Herunterladen von Daten umfasst. Sein nächster Besitzer wird alles haben, was er braucht, um noch einmal Rennen zu fahren. Denn der Audi verfügt über einen FIA Historical Technical Pass und wird zweifellos zu den zahlreichen historischen und Youngtimer-Tourenwagenevents zugelassen – allen voran die Läufe zur DTM Classic.
Dankt man an schnelle Audis aus vergangenen Zeiten, kommen einem sofort die Schotterpisten des Ur-Quattro in den Sinn. Aber Audi hat sich in jener Zeit in vielen Disziplinen des Motorsports versucht. Um der Welt zu beweisen, dass die vier Ringe eine Kraft sind, mit der man rechnen muss. Zum Leidwesen der DTM zog sich Audi im Jahr 2020 bekanntlich vollständig aus der Meisterschaft zurück. Sie ist auch heute noch eine beliebte Rennserie, wenngleich mit GT-3-Fahrzeugen statt Tourenwagen ausgetragen. Wodurch es unwahrscheinlich ist, dass wir in baldiger Zukunft nochmal eine 1.300 kg schwere, feuerspeiende V8-Limousine auf den Rennpisten sehen werden. Das verstärkt nur die Zuneigung, die so viele von uns für diese Gruppe-A-Rennwagen hegen. Denn es ist ein Auto, das bereit ist zu kämpfen, sei es auf den härtesten Rennstrecken der Welt oder auf dem Supermarktparkplatz. Dieses fantastische Stück des Audi-Motorsport-Erbes wird bei der kommenden RM Sotheby’s Monaco Sale vom 11. Mai versteigert.