Technologie hat das moderne Hochleistungsfahrzeug abgestumpft und aufgebläht. Das mag wie eine ketzerische Behauptung klingen, wenn man bedenkt, dass wir jede Woche von einem anderen 2000-PS-Hypercar hören. Aber hinter dieser gigantischen Leistung verbirgt sich immer eine noch höhere Zahl, die mit einem Faktor zusammenhängt: Gewicht. Sie glauben mir nicht? Nehmen Sie zum Beispiel den glänzenden neuen 3.0 CSL von BMW. Wir alle wissen, dass CSL für Coupé, Sport und Leicht steht. Aber selbst mit 200 Kilo weniger wiegt der neue CSL immer noch stolze 1600 kg - also nicht gerade ein Federgewicht. Doch in den 1960er Jahren, als Computer und Sicherheitsausrüstungen unsere Hochleistungsautos noch nicht belasteten, bedeutete Leichtbau auch wirklich Leichtbau. Und vielleicht hat sich kein Rennauto jener Zeit so strikt an dieses Mantra gehalten wie der Alfa Romeo Giulia Sprint GTA.
Ehe wir unsere Augen einem der schönsten Alfa-Rennwagen aller Zeiten zuwenden, sollten wir verstehen, wie das Auto überhaupt entstanden ist. Dessen Genesis beginnt mit einem kleinen Rennstall namens Autodelta. Gegründet 1963 von zwei ehemaligen Ferrari-Ingenieuren, Carlo Chiti und Ludovico Chizzola, als unabhängiges Unternehmen für die Entwicklung und Vorbereitung von Rennwagen. Dank der guten Beziehungen von Chiti zu den Verantwortlichen von Alfa Romeo wurde Autodelta jedoch schon bald mit Entwicklungsprojekten der Mailänder betraut. Autodelta wurde 1964 börsennotiert, und nach dem Umzug von Udine im Nordosten Italiens nach Mailand (was Chizzola dazu veranlasste, seine Anteile zu verkaufen) übernahm Alfa Romeo 1965 Autodelta und erkor es zum offiziellen Alfa Romeo-Werksrennstall, mit Chiti als Geschäftsführer.
Zunächst konzentriert sich Autodelta auf die Entwicklung der legendären Zagato-Sportwagen TZ1 und TZ2. Doch Alfa wollte auch seine Serienfahrzeuge fördern, und so begann Autodelta mit der Arbeit an einer neuen, schärferen Version der Giulia Sprint GT, die in der Gruppe 2 der europäischen Tourenwagenserie antreten sollte. 1965 wurde auf dem Autosalon in Amsterdam schließlich das Ergebnis der Arbeit der Weltöffentlichkeit vorgestellt: die Giulia Sprint Gran Turismo Alleggerita, kurz GTA.
Der Aufwand, der für das Projekt Giulia Sprint GTA betrieben wurde, wäre im Jahr 2022 finanziell kaum mehr darstellbar. Chiti und sein Team ließen bei der Entwicklung ihres neuen leichtfüßigen Rennwagens nichts unversucht. Sie ersetzten fast alle Teile der Vollstahlkarosserie des Sprint GT durch leichte Aluminiumlegierungen aus Peraluman. Im Einzelnen betraf das radikale Diätprogramm die komplette äußere Karosserie (bis auf die Schweller), die äußeren Türverkleidungen, die Motorhaube, den Kofferraumdeckel, das Luftleitblech, die Trägerplatte des Armaturenbretts, die Reserveradablage, die hintere Innenverkleidung, sogar die Nummernschildhalterung, die Halterung für den optionalen Ölkühler und die vorderen Bodenplatten. Kombiniert mit einer leichteren Innenausstattung war das Endergebnis ein Auto, von dem wir uns vorstellen können, dass es an windigen Rennstreckentagen festgezurrt werden musste. Denn alles in allem senkte Autodelta das Trockengewicht um 205 auf nur noch 745 Kilo – womit der moderne 3.0 CSL von BMW locker übertrumpft wird.
Noch unglaublicher: Nach dem Bau eines jeden GTA im Alfa Romeo-Werk Arese wurde jedes Exemplar per LKW zu Autodelta in Settimo Milanese transportiert, wo es komplett zerlegt und für den Renneinsatz vorbereitet wurde. Die Giulia Sprint GTA wurde vom bewährten 1570-ccm-Vierzylinder-Reihenmotor angetrieben, der ähnlich abgestimmt war wie das im TZ1 und TZ2 verwendete Triebwerk. Die Motoren verfügten über Aluminiumblöcke, während der Ventildeckel, die vordere Motorwand, das Getriebegehäuse, die hintere Getriebewand und die Ölwanne aus einer Magnesiumlegierung namens Elektron hergestellt wurden. Nach ihrer Ankunft bei Autodelta wurden alle Teile des Motors ausgewuchtet und poliert, das Schwungrad erleichtert und eine spezielle Stahlkurbelwelle eingebaut. Zu den weiteren Modifikationen gehörten der Einbau eines Ölkühlers und eines Ölauffangbehälters (Catch Tank), eine tiefergelegte Ölwanne, eine leichtere Windschutzscheibe und ein ZF-Sperrdifferenzial aus Spezialstahl. Der letzte Schliff bestand in einer kurzen Auspuffanlage, die auf der linken Seite unter der Fahrertür austrat, und der Verlegung der Batterie in den Kofferraum. Nach der umfassenden Überholung leistete jeder GTA beeindruckende 160 PS, die später auf rund 175 Pferde ansteigen sollten.
Solche Spitzentechnologie forderte jedoch ihren Preis, sodass der Umbau durch Autodelta mit satten 100 % Aufschlag auf den Preis einer normalen Giulia Sprint GT zu Buche schlug. Was bedeutete, dass nur die beliebtesten Kunden von Alfa die Chance erhielten, einen GTA zu erwerben, was ihn zu einer echten Rarität machte. Insgesamt bauten die Mailänder zwischen 325 und 500 GTA, von denen nur 25 originale Autodelta-Werkswagen waren.
Was uns zu diesem Wagen mit der Fahrgestellnummer AR13056 führt, einem dieser so extrem seltenen Werksrenner. Dieses spezielle Auto gehört jedoch zu einer noch exklusiveren Gruppe, wie Sie bald herausfinden werden. Es wurde am 25. Februar 1966 auf Autodelta S.p.A. in Udine zugelassen und kam bis 1968 nicht auf die Rennstrecke. Doch genau in jenem Jahr wurde auch eine neue Klasse in der Tourenwagen-Europameisterschaft eingeführt, die Gruppe 5. Chiti war dies natürlich nicht entgangen, was ihn zum Bau einer aufgeladenen Version des 1,6-Liter-Vierzylinders animierte. Dieses Modell erhielt die Bezeichnung GTA-SA, was auf Italienisch „sovra alimentata", also „aufgeladen" bedeutet. Die Archive weisen aus, dass nur etwa sechs davon jemals an den Start gingen, darunter auch der AR613056. Die SA-Motoren leisteten satte 60 PS mehr als die nicht Sauger-Pendants, wobei die Zusatzleistung auf Kosten eines unglaublichen Durstes nach Kraftstoff ging.
Der AR613056 fuhr 1968 mit dem aufgeladenen Motor bei mehreren Veranstaltungen, unter anderem beim Sechs-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring, wo er von den Alfa-Werksfahrern Lucien Bianchi, Nino Vaccarella und Mario Casoni pilotiert wurde. Alle drei Fahrer befanden sich auf dem Höhepunkt ihres Könnens: Vaccarella war bereits Sieger des 24-Stunden-Rennens von Le Mans, Bianchi gewann Le Mans nur zwei Monate nach seinem Start in dem kleinen Alfa, und Casoni sollte 1972 in Le Mans mit Platz drei ebenfalls auf dem Podium stehen. Das Trio erreichte mit seinem GTA-SA mit einer Runde Rückstand auf den siegreichen BMW 2002 von Hahne/Quester Platz fünf in der Gesamtwertung. Nicht schlecht, aber das Langstreckenrennen zeigte, dass die höhere Geschwindigkeit des SA den hohen Kraftstoffverbrauch des Autos nicht kompensieren konnte.
Leider wurde mit Beginn der Saison 1969 der von zwei Kompressoren aufgeladene Motor nicht mehr eingesetzt, während der AR613056 noch an drei Läufen zur Tourenwagen-EM teilnahm. Ignazio Giunti steuerte ihn beim GP von Belgrad auf den ersten Platz in der Gruppe 2, während Andrea de Adamich und Spartaco Dini beim Sechs-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring mit dem zweiten Platz in der Gesamtwertung und dem erneuten Sieg in der Gruppe 2 brillierten. Giunti gelang beim Lauf in Jarama ein weiterer Klassensieg, sodass am Ende des Jahres Alfa den Titel in der Konstrukteurs- und der Fahrermeisterschaft (für Dini) in der Division 2 der EM feiern konnte. Während seiner Rennkarriere trug der AR613056 das Mailänder Kennzeichen „MI E789401“, gut zu erkennen auf dem Foto, welche das Auto bei einem Sprung im Abschnitt Flugplatz des Nürburgrings zeigt. Es ziert bis heute diesen charismatischen GTA.
Der kleine Alfa war nicht nur in den glorreichen 60ern erfolgreich, sondern auch im historischen Rennsport unserer Tage. Nach gründlicher Vorbereitung durch Alexander Furiani - den weltbesten GTA-Spezialisten – errang der AR613056 mehrere Gesamtsiege in der „Under Two Litre“ und „Master Touring Car Series“. Außerdem gewannen Furiani und Frank Stippler mit ihm 2013 die St. Mary's Trophy beim Goodwood Revival.
Immer ohne Rücksicht auf Kosten liebevoll gewartet und begleitet von seinem originalen italienischen Libretto mit komplett dokumentierter Besitzergeschichte von neu an, ist AR613056 einer der seltensten und begehrtesten Alfa Romeo Werksrennwagen, die wir seit langer Zeit gesehen haben. Wenn dieser äußerst seltene Alfa Romeo Giulia Sprint GTA von 1965 Ihr Interesse geweckt hat, dann setzen Sie sich mit Moritz Werner in Grünwald in Verbindung. In der Zwischenzeit genießen Sie dieses Video von AR613056, wie er in Goodwood mit Frank Stippler am Steuer den Ford Galaxie von Jochen Mass und Tom Kristensen das Fürchten lehrt. Aber gucken Sie bitte bis ganz zum Schluss, es lohnt sich!
Fotos: Moritz Werner via Archiv Dasse / Archiv Kraeling / Revs Institute / Wouter Melissen