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Ferrari FF: Vier für alle Fälle

Mit vier Personen und 660 PS durch Regen, Schnee und Eis: Kein Ferrari war jemals so alltagstauglich wie der neue FF – und dabei derart schnell. Ist den Entwicklern aus Maranello tatsächlich die Quadratur des Kreises gelungen? Wir haben das italienische Allrad-Raumwunder in Südtirol getestet.

 

„Selbst mit einem Ferrari käme man hier nicht durch“, grummelt der Taxifahrer, als wir uns durch nordischen Nieselregen und zähen Berufsverkehr zum Hamburger Flughafen schieben. Es ist das alte, über jahrzehnte bestätigte Vorurteil vom rasenden Italo-Sportwagen, der nur auf freien und trockenen Traumstraßen fasziniert. Thomas Magnum, Sonny Crockett, Ricardo Tubbs – die äquatorialen Archetypen der Ferraristi-Gemeinde waren eitel gefönte Schönwetterfahrer. Und ihre italienischen Diven wären schon beim ersten Regentropfen ins Schlingern geraten. Auch wer mit einem Ferrari tatsächlich länger verreiste, hatte außer Spiegelsonnenbrille und Zahnbürste höchstens ein dickes Bündel Lire-Scheine im Gepäck, mehr brauchte man nicht. Und bekam es auch nicht unter. Doch jetzt das: Maranello enthüllt den Ferrari Four oder kurz FF, einen Superkombi mit 660 PS starkem Hochleistungs-V12. Auf trockener Straße kann man eine vierköpfige Familie samt Reisegepäck und Labrador in 3,7 Sekunden auf 100 km/h katapultieren, mit 335 km/h Spitze ist er wahrscheinlich der schnellste Viersitzer auf dem Planeten. Gleichzeitig ist der FF als erster Ferrari mit einem Allradantrieb ausgestattet, der ihn von der Polarregion über Engadin und Cote d’Azur bis hin zu den Wüsten des Mittleren und Fernen Ostens universell einsetzbar macht. Eis, Schnee, Regen, Sand – ab sofort nessun problema.

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Klar, dass dieses Konzept polarisiert. Auf dem Genfer Salon im März wurde der FF als Nachfolger des bis 2010 rund 3.000 Mal verkauften Ferrari 612 Scaglietti dem Publikum präsentiert. Die Reaktionen auf den fast fünf Meter langen Exoten: offenkundige Begeisterung, völlige Befremdung, kaum etwas dazwischen. Aus Marketing-Sicht kein schlechtes Zeichen. Schließlich soll der FF neue Märkte und Kundenkreise erschließen, auch wenn die Kernmärkte USA und Europa weiterhin dominieren. Dass der erste Allrad-Sportwagen der Automobilgeschichte, der Jensen FF, auf selbigen Namen hörte wie der neue Allroad-Ferrari, ist laut Marketing-Department übrigens reiner Zufall. Nun lädt Ferrari zur ersten Testfahrt nach Südtirol, die geladenen Journalisten sollen im alpinen Kontext ein Gefühl für den neuen Alleskönner bekommen. Zwischen uns und der Ausfahrt steht allerdings noch das sogenannte „Technische Briefing“ – eine mehrstündige Theorievorlesung auf Hochschulniveau. Sichtlich stolz sezieren die Entwicklungsleiter in charmantem Italo-Englisch den neu entwickelten Allradantrieb, genannt „4 Ruote Motrici“ oder kurz 4RM, bis ins kleinste Detail. 50 Prozent leichter als vergleichbare Vierrad-Systeme soll er sein. Und nur zum Einsatz kommen, wenn er auch wirklich gebraucht wird. Also dann, wenn Wasser, Schnee, Eis, Sand oder Staub den Hinterrädern die Traktion entziehen. Bis 200 km/h kann die Leistung über die am Motor angedockte Power Transfer Unit (PTU) theoretisch komplett auf die Vorderräder geleitet werden. Bei Trockenheit dagegen verspricht der FF das markentypische Hecktriebler-Gefühl: Steuerung vorn, Power hinten. Man will die Ferrarristi ja nicht zu sehr verschrecken.

Ferrari FF: Vier für alle Fälle
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Bemerkenswert am neuen Allradantrieb ist zudem der Verzicht auf eine mechanische Verbindung der beiden Antriebsachsen. Über Mehrscheibenkupplung und Doppelkupplungsgetriebe wird die Antriebskraft bzw. das Drehmoment direkt von der Kurbelwelle an die PTU geschickt, die vorn übrigens auch die Funktion der Traktionskontrolle übernimmt. Hinten sorgen das F1-Trac-System und ein E-Differential für die passende Kraftverteilung. Soweit die Theorie. Doch wir sind hier, um das neue Modell auf der Straße zu erleben – und freuen uns gefühlte 200 Powerpoint-Folien später, endlich die Zündschlüssel in den Händen zu halten. Vor dem Start noch ein erster analytischer Blick: In den Abmessungen unterscheidet sich der Ferrari FF kaum vom Scaglietti, dafür wurde er von Pininfarina weitaus dramatischer gestylt, mit grimmig funkelnden LED-Sehschlitzen und animalisch grinsendem Kühlermaul versehen. Für Aufmerksamkeit ist also gesorgt. Bis zur B-Säule ist der Newcomer so flach und dynamisch geschnitten wie der Modellbruder GTB, ein größeres Greenhouse und das steile Kombi-Heck sorgen im Anschluss jedoch für deutlich mehr Bein- und Kopffreiheit auf den hinteren Sesseln: Sogar mit 1,90 Metern Körpergröße könnten wir im Fond bequem längere Strecken „aussitzen“. Bentley Continental GT und Aston Martin Rapide sind deutlich enger.

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Auch was die Flexibilität der Raumgestaltung angeht, kann man den Designern nur gratulieren: Das vierteilige Schedoni-Gepäck für mehrwöchige Touren, alternativ auch den Skisack und die Golfschläger, kann man dank umklappbaren Rücklehnen oder Durchreiche – beides bisher absolute Fremdwörter für Maranello – bequem im Heck verstauen. Bis zu 800 Liter soll man in den Tiefen des FF unterbringen können. Was viele Kritiker des Allround-Konzepts vergessen: Die geräumige Shooting-Brake-Variante hat bei Ferrari eine lange Tradition – auch wenn die Jagd-Kombis nach britischem Vorbild bis heute immer nur Einzelstücke externer Entwickler geblieben sind (man denke an Giotto Bizzarrinis Ferrari 250 GTO Breadvan, den Ferrari 330 GT Shooting Brake von Vignale oder den Ferrari 456 GT Estate von Pininfarina). Viertürer oder gar SUVs schließt Ferrari-Chef Luca di Montezemolo dagegen auch weiterhin kategorisch aus – den finanziellen Erfolgen von Sportwagen-Konkurrent Porsche mit genau diesen Crossover-Modellen zum Trotz.

Ferrari FF: Vier für alle Fälle
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Das Cockpit des FF ist wiederum betont dramatisch gestaltet, mit allen wichtigen Funktionstasten, Fahrdynamik-Einstellungen und großen Schaltpaddels am multifunktionalen F1-Lenkrad, im Testwagen zudem mit reichlich Sichtcarbon. Für unseren Geschmack hätte der geräumige Gran Turismo im Innenraum ruhig etwas zurückhaltender ausfallen dürfen als etwa das Supersport-Geschoss 458 Italia. Doch das kleinteilige High-Tech-Cockpit entspricht natürlich der dynamischeren Positionierung. Entwicklungsbedarf besteht dennoch beim Navigations- und Entertainment-System – hier ist man anderswo bereits deutlich weiter. Andererseits ist ein Ferrari kein Ort, an dem man sich in den virtuellen Welten der Bordelektronik verliert – der eigentliche Kick ist analoger, physischer Natur. Man dreht den Schlüssel im Schloss, drückt auf den roten Startknopf auf dem Volant und der Zwölfzylinder erwacht mit heiserem Bellen zum Leben. Der 6,3 Liter große V12 geht auf das Triebwerk des 599 GTB zurück, sitzt direkt hinter der Vorderachse und wurde für den Einsatz im FF mit einer Direkteinspritzung bestückt. 660 PS leistet der Motor bei 8.000/min, das maximale Drehmoment liegt bei 683 Nm. Bei rund 1,8 Tonnen Gesamtgewicht zieht der Ferrari Four in nur 3,7 Sekunden auf 100 km/h – und tatsächlich spürt man das Leistungsgewicht von 2,7 Kilo pro PS schon beim ersten Tritt aufs Gaspedal. Dass der Beifahrer Drehzahl, Gang und Geschwindigkeit auf einem eigenen kleinen, optionalen Display genauestens nachvollziehen kann, dürfte jedoch nicht jedem Cockpit-Patriarchen in den Kram passen.

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Über den „Manettino“-Schalter am Lenkrad kann man zwischen vier Fahrmodi wählen – von Schnee über Regen und Komfort bis Sport und ESC Off. Entsprechend der gewähnlten Einstellung ändern sich die Abstimmung von Lenkung, Getriebe, Gaspedal, Stoßdämpfern, ABS und ESP. Wir starten den Tag im Komfort-Modus und vertrauen dem neuen Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe die Gangwechsel an. Wenn man mit sensiblen Passagieren und vollbeladenem Picknick-Korb unterwegs ist, sicherlich die vernüftigste Einstellung, auch weil die neue Automatik weiterhin sportlich und ohne Unterbrechung der Zugkraft schaltet. Der Unterschied zum Automatik-Getriebe des Scaglietti ist jedenfalls immens. Je steiler die Straßen und enger die Kurven werden, desto mehr möchte man die Zügel jedoch selbst in die Hand nehmen. Der Sport-Modus bietet hier nach unserer Meinung das optimale Setting, um das Potential des Wagens zu erfahren. Die elektronischen Kontrollsysteme üben sich dann in italienischer Lässigkeit – und lassen dem Heck in schnell gefahrenen Kehren etwas mehr Freilauf. Auch die kehligen Brüller des Motors beim manuellen Griff in die Carbon-Schaltpaddel ist einfach zu befriedigend, um sie allein der automatisierten F1-Box zu überlassen. Dass der Ferrari FF trotz seiner Dimensionen auf dem Asphalt zu kleben scheint und weder wankt noch schaukelt, ist wohl einer grandiosen Feinabstimmung auf F1-Niveau zu verdanken.

Ferrari FF: Vier für alle Fälle
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Natürlich hätten wir den Ferrari FF auch gerne auf Schnee und Eis getestet – doch die Sonne brennt und hat den Winter bis auf Weiteres aus der Landschaft verbannt. Im Gegensatz zu den Serienmodellen sind unsere Testwagen mit einer Traktionsanzeige ausgestattet, auf denen man die Kraftverteilung ablesen kann. Doch auf den trockenen Serpentinen ist es fast unmöglich, die Kraft auf die Vorderräder zu bringen – nur gelegetliche Rollsplit-Felder und Schmelzwasser-Pfützen lassen uns erahnen, dass überhaupt ein Allrad-Antrieb existiert. Ein guter Grund also, sich bereits im April auf den nächsten Winter – und den ersten ernsthaften Schnee-Test – zu freuen. Schon jetzt können wir dem Ferrari FF jedoch martialische Kraft, ein unglaublich präzises Fahrwerk, eine deutlich gefühlvollere Lenkung als bisher, sowie eine sehr viel breitere Charakter-Skala bescheinigen. Wer mit Blick auf den Porsche Panamera aber einen Jeckyll-und-Hyde-Sportwagen erwartet, der auf Knopfdruck zur Komfort-Limousine wird, sollte gewarnt sein: Denn selbst im Komfort-Modus, mit weicheren Dämpfern und schneller hochschaltendem DKG, bleibt der FF stets nervös und fordernd, ein reinrassiger Ferrari eben. Auch der V12-Sound changiert von heiser bis hysterisch, lässt aber niemals die typisch italienische Dramatik vermissen. Als unauffällige Familienkutsche für Bestensverdiener dürfte der Shooting Brake selbst in grauer oder schwarzer Lackierung kaum taugen.

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Wer sind also die Käufer des neuen Allrad-Ferrari? Sportliche Familienväter aus den USA, solvente Wintersportler in Europa, steinreiche Unternehmer aus den steinig-staubigten Weiten Asiens und Arabiens? Der Preis (in Deutschland 258.200 Euro inklusive Steuern) scheint jedenfalls keine Hürde zu sein – die erste Jahresproduktion von 800 Einheiten ist bereits verkauft. Im Mai werden in Europa die ersten Linkslenker ausgeliefert, ab Herbst wird der Allrad-Ferrari auch international das Straßenbild der Jetset-Skiorte prägen. Andere Ferrari-Modelle sollen den 4x4-Antrieb nicht erhalten – der FF ist freilich auch ein modellpolitisches Experiment. Synergien mit anderen Fiat-Marken wie Maserati, wo für den neuen Quattroporte dringend ein Allrad-System gebraucht wird, sind zwar grundsätzlich vorstellbar, in Italien jedoch noch nicht so etabliert wie etwa bei der effizienzwütigen Volkswagen Group, wo man den italienischen Alleskönner übrigens mit Argusaugen beobachtet. In Genf konnte man jedenfalls eine sichtlich aufgeregte Ingenieurs-Entourage um Allrad-Vordenker Ferdinand Piëch und VW-Chef Martin Winterkorn bei der Technik-Visite auf dem Ferrari-Stand beobachten. Für die Ingenieure aus Maranello ein erster Triumpf. Auf der IAA September bringt Ferrari erst einmal den 458 Italia Spider: Der offene Achtzylinder entspricht dann auch wieder dem klassichen Vorurteil vom Schönwetter-Ferrari à la Magnum und Miami Vice. Zu Quadratisch soll der Kreis schließlich auch nicht ausfallen.

Fotos: Jan Baedeker/ Ferrari