Mit der Vorstellung des FF Grand Tourer sorgte Ferrari im Jahr 2011 für einiges Aufsehen. Doch obwohl es sich dabei um den ersten direkt vom Werk entwickelten und auf Band gelegten Kombi handelte, war es nicht das erste Rennpferd dieses Formats, das auf die Straße kam.
Wenn Sie zur Monterey Car Week reisen und den Beweis sehen wollen, dann halten Sie Ausschau nach dem Schweizer Spezialautohändler Andreas Wüest. Denn er wird mit diesem einzigartig coolen Ferrari Shooting Brake, der vor fast 50 Jahren auf Basis eines 365 GT4 2+2 entstand, über die kalifornische Halbinsel rauschen.
Der erste Umbau eines Grand Tourers der Modeneser Marke zum Kombi reicht sogar noch weiter zurück. Genau gesagt bis ins Jahr 1967, als der amerikanische Ferrari-Importeur Luigi Chinetti die Carrozzeria Vignale mit der Entwicklung einer Kombi-Karosse für einen 330 GT beauftragte. Ein Auto, das im renommierten Petersen Museum ausgestellt wurde, bevor es Jason „Jay“ Kay, Sänger der britischen Acid-Jazz-Band Jamiroquai, im Jahr 2011 kaufte.
1972 war es wiederum Chinetti, der im Auftrag des Immobilienmoguls Bob Gittleman aus Florida den Umbau eines 365 GTB/4 Daytona in einen Hochgeschwindigkeits-Kombi an Panther Westwinds in Weybridge (Surrey, England) vergab. Der 1972 vom Designer Robert Jankel gegründete Hersteller von Nischensportwagen war mit seinen Morgan-ähnlichen Roadstern Lima und Kallista erfolgreich. Daneben entwickelten die Briten auch einige sehr ausgefallene Kreationen. Allen voran das sechsrädrige Cabriolet Panther „6“ mit 8,2-Liter-Cadillac-Motor von 1977 und den luxuriösen, vom Bugatti „Royale“ inspirierten de Ville, dessen schamlose Extravaganz Käufer wie Rockstar Elton John und Schauspieler Oliver Reed anlockte.
Und vermutlich war es die Bereitschaft von Panther, ungewöhnliche Projekte zu übernehmen – in Kombination mit dem Ruf für qualitativ hochwertige Arbeit – die einen umtriebigen Schweizer Autohändler namens Willy Felber dazu veranlasste, sich 1976 an die Briten zu wenden. Vorausgegangen war eine für den Eidgenossen potenziell lukrative Anfrage eines arabischen Scheich, ob Felber nicht einen „etwas anderen“ Ferrari liefern könnte...
Felber (1928-2002) war von klein auf von Autos besessen und begann schon in den 1940er-Jahren mit eigenen Entwürfen. Was bei seinen Eltern die Hoffnung weckte, dass er seinem Vater in die Ingenieursbranche folgen würde (dieser hatte unter anderem den 5,8 Kilometer langen und 1964 eröffneten Großen St. Bernhard-Tunnel entworfen und mitgebaut.
Doch nach Abschluss seines Studiums an der Universität Lausanne fühlte sich Felber junior mehr zur Welt der exotischen Autos hingezogen. Nach Anfängen als Verkäufer eröffnete er ein Ersatzteilgeschäft und gründete in Morges am Genfer See unter dem Namen „Haute Performance Morges" erfolgreich eine Vertretung für Luxusmarken wie Rolls-Royce und Ferrari.
Felbers einnehmende Persönlichkeit und sein untrüglicher Geschäftssinn machten ihn schon bald zum Autolieferanten berühmter Persönlichkeiten wie Charlie Chaplin und Johnny Halliday. Aber auch viele Formel-1-Größen, darunter Mario Andretti, James Hunt und Emerson Fittipaldi, zählten zu seinen Kunden.
Aber es waren die frischen Petro Dollars, die aus dem Nahen Osten nach Europa strömten, die es Felber ermöglichten, seinen langjährigen Traum vom Bau einzigartiger und ausgefallener Autos zu verwirklichen. Sein Erstlingswerk stand 1974 auf dem Genfer Salon: der Felber FF, ein im (Retro)Design an den Ferrari 166 Spyder Corsa angelehnter Roadster auf Basis Ferrari 330 GTC und aufgebaut bei Panther. In Kombination mit einem „kleinen schwarzen Buch“ mit Kontakten im Automobilhandel und in der Welt des Autodesigns avancierte Felber schnell zum Ansprechpartner für Kunden wie den erwähnten Scheich, der mit einem Ferrari Shooting Brake oder Kombicoupé liebäugelte.
Um das Projekt voranzutreiben, kaufte Felber 1976 einen 365 GT4 Baujahr 1974 vom Schweizer Importeur SAVAF. Das Modell hatte im Jahr zuvor auf dem Genfer Ferrari-Stand als Ausstellungstück posiert, war danach aber kaum noch genutzt worden und so die ideale Basis für die Schaffung eines brandneuen „Specials“. Felber beauftragte keinen Geringeren als Giovanni Michelotti mit der Gestaltung der Karosserie. Parallel schickte er den Wagen nach Großbritannien, wo Panther Westwinds die Vision des berühmten Designers so schnell wie möglich in Form gießen sollte. Die hochqualifizierten Karosseriebauer von Panther erledigten den anspruchsvollen Job nach firmeneigenen Qualitätsstandards binnen weniger Wochen. Allerdings nicht schnell genug, um zu verhindern, dass Felbers Nahost-Kunde aus dem Geschäft ausstieg und das Unikat nun ohne Erstbesitzer dastand.
Der auf die Bezeichnung „Felber Croisette SW“ getaufte Shooting Brake mit unveränderter C-Säule, aber mit Zusatzfenstern und nach hinten verlängertem Dach, war in „Blue Ribat“ lackiert. Davon absetzt war ein weißes Vinyl-Dach, während das Interieur mit einem Kühlfach und TV-Gerät auftrumpfte. Aber da die Folgen der Ölkrise noch immer den Verkauf von Autos mit großen Motoren und hohem Benzinverbrauch erschwerten, dauerte es bis 1979, ehe Felber in Gestalt von Albrecht Guggisberg, Besitzer der Berner Oldtimer Garage, einen Käufer für den V12-Kombi fand.
Dieser wiederum verkaufte ihn für bescheidene 45.000 Franken an einen Zürcher Ferrari-Fan. In dessen Händen er blieb, bis er 1990 für 300.000 Franken inseriert wurde. Der bislang letzte Besitzer, Roger Imboden, erwarb den Felber Croisette, um sein Trio von Felber-Ferraris zu vervollständigen. Die beiden anderen sind der ebenfalls von Michelotti entworfene spektakuläre 365 GTC/4 „Strandwagen“ (von 1976) und ein Exemplar des eingangs erwähnten FF, von dem Felber und Panther Westwinds ein gutes Dutzend herstellten und zum Preis von jeweils etwa 100.000 Franken verkauften.
Bis zu diesem Monat war der Croisette – abgesehen von dem kurzen Ausflug zu Panther Westwinds – die ganze Zeit in der Schweiz verblieben. Was bedeutet, dass er auf der diesjährigen Monterey Car Week zum ersten Mal der Weltöffentlichkeit vorgestellt wird. Der für diesen Beitrag in der Bay Area von San Francisco fotografierte Wagen trägt noch immer seine originale Lackierung in Ribat-Blau und das weiße Dach. Bis auf das fehlende Kühlfach entspricht er exakt dem Zustand beim Verlassen des Werkes von Panther Westwinds vor bald 50 Jahren.
Ansonsten trägt er auch weiterhin seine Doppelantennen auf dem Dach, das Connolly-Leder in Pelle-Beige und den zeitgenössischen Kathodenstrahl-Fernseher zwischen den Vordersitzen. Mit dem Nachweis, dass der Kilometerstand von unter 80.000 km korrekt ist, steht dieser einzigartige Ferrari nun in den Startlöchern. Er wird – nachdem Andreas Wüest die Massen in Monterey mit ihm begeistert hat – in den Räumlichkeiten von OTS and Co. (www.otsandco.com) in der East Bay, San Francisco, zu sehen (und zu kaufen) sein. Nun, Sie haben doch immer gesagt, dass Sie gerne „etwas anderes“ hätten, nicht wahr?
Fotos von Kevin Arechiga