In Paris liefern sich Polizei und Demonstranten heftige Straßenschlachten. Es herrscht das Chaos.
Das Jahr ist 1968 und Frankreich ist in Aufruhr. Mit mehr als 11 Millionen Arbeitern im Streik steht das Land vor dem Stillstand. In Paris liefern sich im Mai, aufgestachelt von einer rücksichtslosen Polizei, mehr als 20.000 Demonstranten heftige Straßenschlachten. Es herrscht das Chaos. Vielen Bürgern wird der Ernst der Lage jedoch erst bewusst, als die traditionell im Juni stattfindenden 24 Stunden von Le Mans auf unbestimmte Zeit verschoben oder – aufgrund der massiven Streiks – gleich ganz abgesagt werden sollen.
Unter den wenigen, die in dieser revolutionären Zeit überhaupt noch arbeiten, sind die Bürohengste der FIA: Während in Paris die Wasserwerfer durch die Straßen jagen, diskutieren sie darüber, wie man die immer schnelleren und gefährlicheren Rennwagen entschärfen kann. Die Antwort? Natürlich ein neues Reglement. Für die Motoren der Prototypenklasse wird eine Hubraumgrenze von drei Litern eingeführt, die Sportwagenklasse ist auf fünf Liter limitiert.
Ferrari tobt, Redele und Gordini freuen sich
Als Enzo Ferrari von der Entscheidung erfährt, tobt er vor Wut. Und als die Organisatoren das neue Austragungsdatum für die 24 Stunden von Le Mans auf den 28. und 29. September legen, weigert sich die Scuderia, überhaupt ein Auto an den Start zu bringen. Der Vier-Liter-Motor der Ferrari P4 ist schließlich für einen Prototypen nicht mehr zugelassen. Auch für die Chevrolet-Motoren der Chapparals und die Mirage M1 mit ihren vom Ford GT40 abgeleiteten 5,7-Liter-Maschinen ist das Spiel zu Ende.
Doch es gibt auch Teams, die von der neuen Hubraumgrenze profitieren. Unter den Gewinnern sind Jean Redele and Amedee Gordini – die Gründer der großen französischen Marken Alpine und Gordini. Inspiriert vom neuen Reglement und beflügelt durch die finanzielle Rückendeckung durch Renault, haben sie eine neue Motorkombination entwickelt: Sie kombinieren die Blöcke und Zylinderköpfe des neuesten 1,5-Liter-Rennmotors von Gordini mit einem einfachen Kurbelgehäuse und kreieren so einen konventionellen V8 mit vier obenliegenden Nockenwellen und einem Hubraum, der gerade unterhalb der Drei-Liter-Marke liegt.
Kein Triumph in Le Mans
Zum Einsatz kommt der Motor in einer modifizierten Version des Alpine A210 mit Rohrrahmenchassis und Querlenker-Aufhängung, der fortan als Renault-Gordini Alpine A220 bekannt wird. Der Wagen startet bereits früh in die 1968er-Saison, doch mehr als 300 PS sind aus dem Triebwerk kaum herauszuholen. Mehr aus Hoffnung denn realistischer Erwartung stellt das Team vier A220 für Le Mans auf. Und die neuen Modelle erweisen sich als so schwach und unzuverlässig wie befürchtet, von den vier Startern kommt nur der Wagen von Andre de Cortanze und Jean Vinatier ins Ziel – die beiden können sich sogar vor zwei A210 setzen und erreichen einen veritablen achten Platz.
Bis Renault Sport mit dem Zweiliter-V6-Turbo des Alpien A442 B endlich seine Lorbeeren in Le Mans abholen kann, soll ein ganzes Jahrzehnt vergehen. Doch wie man so schön sagt: Das ist eine ganz andere Geschichte.