Wir Automobiljournalisten neigen gelegentlich zu einer gewissen Übertreibung, wenn wir auf ein besonders seltenes Auto stoßen. Worauf wir dann das Prädikat „Einhorn“ großzügig verwenden. Sicherlich ist ein 996 GT3 RS ein seltenes Auto, sogar der seltenste RS von allen, aber ist er mit 682 gebauten Exemplaren wirklich ein „unicorn“? Nicht ganz. Ich glaube jedoch nicht, dass irgendjemand über die Verwendung des U-Wortes in Bezug auf dieses mythische Biest spotten würde: einen von nur 17 gebauten Ascari Ecosse.
Trotz seiner fast absurden Seltenheit ist der Ecosse auf den ersten Blick ein relativ unscheinbares Auto. Sicher, er ist unglaublich niedrig, aber das schlichte Design in Kombination mit dem unbekannten Markenlogo auf der vorderen Haube verleiht ihm eine Kit-Car-Anmutung, die er jedoch gar nicht verdient. Als Neal Heffron uns einlud, einige Zeit mit seinem Ecosse zu verbringen, ergriffen wir die Chance beim Schopf, mehr über diesen ungewöhnlichen Sportwagen zu erfahren.
Doch bevor wir uns diesem Schwergewicht von Technik widmen, sollten wir seinen Besitzer näher kennenlernen. Von klein auf von seltenen Autos umgeben – Neals Vater besaß einen Bricklin [das einzige Modell der kanadischen Bricklin Vehicle Corporation, von 1974 bis 1976 2875 Mal gebaut] – begann Neal seine Karriere am Steuer eines De Tomaso Pantera, den er mit einigem Erfolg bei verschiedenen Trackdays pilotierte.
Mit der Zeit mauserte sich Neal zu einem vollwertigen Rennfahrer, und als sich sein eigenes Unternehmen gut zu entwickeln begann, kaufte er seinen ersten Porsche, einen 944. Es folgten ein 944 S, dann ein 944 Turbo und schließlich ein 928, bevor Neal zu den tänzelnden Pferden wechselte. Er erwarb eines Ferrari 308 und 328 und begann, an Rennen der 348 Challenge Serie teilzunehmen. Seine Liebe zu Maranellos Vollblütern gipfelte im Kauf eines 360 und F430, ehe er schließlich vor etwa 14 Jahren den Sprung zu einer anderen automobilen Rarität wagte – einen BMW M1. Sein M1 entpuppte sich als Entrée zum europäischen Eventzirkus und brachte Neal auch zur Villa d'Este. Wo eine zufällige Begegnung mit einem in den Niederlanden ansässigen Ascari-Besitzer ihn veranlasste, einen Ecosse auf seine „must-have“-Liste zu setzen.
Der holländische Enthusiast warnte Neal vor der Seltenheit des Wagens, aber zu dessen Überraschung fand er in der Nacht in seinem Hotelzimmer genau ein solches Modell in einem Auktionskatalog von Bonhams. Zwar war die die Auktion zwei Tage zuvor bereits zu Ende gegangen, aber glücklicherweise fehlten dem Gewinner offenbar die finanziellen Mittel, um den Ecosse zu übernehmen. Worauf Neal schnell und glücklich an dessen Stelle trat. Es gab nur noch ein Problem: Da Neal in den USA lebte, konnte er seinen neuen Stolz aufgrund der amerikanischen 25-Jahres-Importregel nicht über den großen Teich bringen. So begab es sich, dass ich nun bei Classic Concierge im Süden von Oxfordshire vor dem extrem limitierten Supersportwagen stehe. Begleitet von Mark, dem enthusiastischen Verwalter des Wagens.
Der 1999 auf der Earls Court Motor Show enthüllte und in einem kleinen Werk in Blanford (Dorset) gefertigte Ecosse hat einen ausgeprägten Rennprototypen-Charakter, was auf seinen Vorgänger mit dem Kürzel FGT zurückzuführen ist. Der von Lee Noble entworfene FGT mit als Mittelmotor installiertem Chevy-6,0-Liter-V8 debütierte 1995 auf verschiedenen europäischen Automobilausstellungen, wo er die Aufmerksamkeit des erfolgreichen niederländischen Unternehmers Klaas Zwart (Jahrgang 1951) auf sich zog. Als es für ihn darum ging, seinen beträchtlichen Reichtum etwas genießen zu können, schien ein McLaren F1 ein verlockendes Angebot. Doch stattdessen beschloss Zwart, dass Geld besser für den Erwerb eines Ascari auszugeben. Nicht nur für ein einzelnes Auto, sondern gleich für das ganze ,nach dem zweifachen Formel-1-Weltmeister Alberto Ascari benannte Unternehmen inklusive der Designrechte am FGT und späteren Ecosse.
Zwart, selbst ein versierter Rennfahrer, entschied sich, den FGT in der Britischen GT-Meisterschaft einzusetzen. Es reichte, einen einzigen und nun von einem Ford Modular-V8 angetriebene FGT zu bauen, um die Homologation für die Serie zu erhalten. Allen Widrigkeiten zum Trotz gewann Zwart in der Debütsaison 1995 gegen starke Konkurrenz ein Rennen in Silverstone, doch sprang danach als beste Platzierung nur noch ein vierter Platz in Donington Park (1997) heraus. In Le Mans scheiterte das Auto, weil zu langsam, in der Vorqualifikation.
Nach Ascaris kurzem Ausflug in den Rennsport machte sich Zwart an eine straßentaugliche Serienversion des FGT. Da unverschämt reich, kümmerte er sich nicht um die Gewinnspannen, sondern betrachtete sein neu erworbenes Unternehmen eher als Steuersparmodell und Eitelkeitsprojekt. Insgesamt verließen nur 17 (oder 19, je nachdem, wen man fragt) Exemplare des Ecosse das Werk, zu Kosten von 250.000 Pfund pro Auto. Das war mehr als das Dreifache des Verkaufspreises von 80.000 Pfund, aber Zwart wollte das beste Auto bauen, das möglich war. Geld spielte keine Rolex.
Die ersten Exemplare des Ecosse [französisch für Schottland] waren mit einem rund 300 PS starken 4,4-Liter-M62-BMW-Motor ausgestattet. Ascari lernte jedoch aus jedem gebauten Ecosse, und so wurden spätere Modelle mit einem von Hartge auf fast 400 PS getunten 4,7-Liter-Aggregat gesegnet. Neils Auto gehört zu den drei letzten Exemplaren, denen man sogar einen noch weiter entwickelten 4,9-Liter-Hartge-Motor mit 420 PS installierte. Gut für eine Topspeed von 320 km/h und eine 0-60-mph-Zeit in 4,1 Sekunden. Der eigentliche Clou unseres Modells ist jedoch das sequentielle Sechsstufen- Quaife-Getriebe anstelle der sonst verbauten konventionellen Fünfgang-Box.
Wenn man in der recht gemütlichen Kabine des Ecosse Platz genommen hat, spürt man sofort die überraschend gute Verarbeitungsqualität. Genau das Gegenteil von dem, was man von dem allerersten und in limitierter Stückzahl gefertigten Straßenauto eines neuen Unternehmens erwarten würde. Die schlichte, aber solide Kabine des Ascari ist ein komfortabler, wenn auch etwas beengter Ort – wenn man es denn geschafft hat, die besonders breiten Türschweller zu überwinden. Durch die Sitzposition direkt an der Vorderachse hat man das Gefühl, mit den Füßen gegen die Hinterseite des Ecosse-Nummernschilds zu treten, während die Außenspiegel einen hervorragenden Blick auf das langgezogene Heck des Ecosse und den an den Jaguar XJR 15 erinnernden Heckspoiler bieten. Das sequenzielle Getriebe ist zugegebenermaßen nicht die erste Wahl, wenn es darum geht, durch die engen Dörfer von Oxfordshire zu schleichen. Aber das üppige Drehmoment des BMW V8 [maximal 520 Nm] bedeutet, dass der dritte Gang schon ausreicht, um die langsamen Passagen ruckfrei zu bewältigen.
Nachdem er einen großen Teil des Sommers auf dem Fahrersitz seines neu erworbenen Ascari verbracht hatte, war Neal angenehm überrascht von den guten Manieren des Autos. „Er verkörpert das Beste aus allen Welten, ist dank des großen BMW-V8 sehr drehmomentstark, aber auch sehr zuverlässig. Ein Supersportwagen, aber gebaut wie ein GT, vom Renn- zum Straßenauto umgewandelt. Die Sicht aus dem Cockpit ist großartig – was man nicht erwarten würde – auch nach vorn, man sieht direkt auf den Bürgersteig hinunter. Er hat einen sehr großen Wendekreis und die Pedale sitzen etwas zur Mitte versetzt. Aber alles andere ist ziemlich Standard, auch die Schalter und Anzeigen.“
Wie ich schnell herausfand, hat der Ecosse für einen Supersportwagen auch einen erstaunlich guten Abrollkomfort, was Neal schnell bestätigte: „Er ist zwar sehr flach, hat aber genug Federweg, so dass er auch in der Stadt und bei langsamer Fahrt geschmeidig abrollt. Aber es ist alles analog, es gibt keine elektronischen Helferlein – kein ABS und keine Traktionskontrolle – halt ein echtes Fahrerauto.“
Auch Neal, der noch einen Carrera GT besitzt, erwähnte, wie beeindruckt auch er von der Verarbeitungsqualität des Autos war. Die gesamte Karosserie besteht aus Karbon-Kevlar, und dennoch kommt unter der BMW Avus Blue Lackierung dieses Ecosse kein einziges Zeichen des Verbundstoffgewebes zum Vorschein. „Er hat AP-Bremsen. Sie haben im Grunde nur die besten damals am Markt erhältlichen Performance-Komponenten verbaut“, erzählt Neal. „Der gesamte Motorraum ist aerodynamisch abgedichtet, einschließlich des Bodens, dazu gibt es Lüfter im Motorraum, so dass das Auto nie zu heiß wird. Der Vorbesitzer hatte auch nie Probleme mit der Elektrik – kein Wunder, fertigte Ascari doch seinen eigenen Kabelbaum nach militärischen Vorgaben mit Flugzeugsteckern", fährt er fort, um auch noch das überraschende Maß an Passgenauigkeit und Verarbeitung des Ecosse hervorzuheben. „Das ist kein Kit Car, sondern ein echtes High-End-Serienmodell, das mit den Ferrari der damaligen Zeit konkurrieren kann,“ zieht Neal sein Schlussfazit. Und nachdem ich es sehr genossen habe, mit dem Ecosse durch Oxfordshire zu düsen, kann ich ihm da nur zustimmen: Dieser Wagen ist genauso verlockend wie jedes andere Rennpferd der frühen 2000er-Jahre, und wahrscheinlich sogar noch besser zusammengebaut.
Fotos von Mikey Snelgar