Inmitten des einfarbigen Alltagsverkehrs sind Ferrari in der Regel unglaublich leicht zu erkennen. Ihre tiefliegende Karosserie, die leuchtende (meist rote) Lackierung und das Aufheulen der Acht- oder Zwölfzylinder durchbrechen das städtische Grundrauschen und ziehen die Aufmerksamkeit Schaulustiger auf sich wie nichts anderes auf der Straße. Es gibt jedoch einige wenige Ausnahmen, und der unauffällige Ferrari 456 GT gehört sicherlich dazu. Ferraris 2+2-Grand Tourer ist im Vergleich zu seinen Stallgefährten aus Maranello immer etwas unter dem Radar gesegelt; seine schlichte Formensprache, die Klappscheinwerfer (als letzter Ferrari) und die unspektakuläre Silhouette schreien nicht auf dieselbe Weise „Seht mich an!“ wie ein Ferrari 360 oder 550 Maranello. Aber genau deshalb lieben wir ihn.
Ganz offensichtlich teilte der Sultan von Brunei diese Vorliebe, denn in den späten 1990er- Jahren bestellte er nicht nur einen, sondern 21 (!) Ferrari 456 für sich und seine Großfamilie. Wie Sie vielleicht schon ahnen, handelte es sich dabei nicht um gewöhnliche 456 GT, ganz im Gegenteil. Der Sultan gab sieben Exemplare von jeweils drei verschiedenen Versionen des 456 GT in Auftrag, die alle unter der Bezeichnung „456 GT Venice“ zusammengefasst wurden. In verschiedenen Online-Foren und auf Wikipedia tauchen die Shooting-Brake-Ausführung auf, es gab aber auch eine Limousine und ein 456 GT Venice soll sogar mit einem kompletten Nachtsichtsystem ausgestattet gewesen sein. Wenn es Ihnen jedoch wie uns geht, ist dies das erste Mal, dass wir eines der ultraseltenen 456 GT Venice Cabriolets zu Gesicht bekommen.
Dieses rechtsgelenkte Exemplar wurde von Pininfarina maßgefertigt. Wobei alles, was hinter den Türen lag, neugestaltet wurde – allen voran das Absägen des Dachs. Falls Sie sich Sorgen um die Funktionalität des Verdecks machen, keine Sorge, es wurde von einem Mercedes SL übernommen und angepasst. Aber es war nicht damit getan, es einfach zu montieren und das Beste zu hoffen.
Pininfarina musste einen Großteil der Technik des 456 überarbeiten, um die Kapuze unterzubringen. Um Platz für das Soft-Top zu schaffen, wurde das Werksgetriebe gegen eine speziell auf den Ferrari abgestimmte 4-Gang-Automatik von Mercedes getauscht und zusätzlich ein Differential eingebaut. Natürlich stieg dadurch das auf die Hinterachse drückende Gewicht, was den Einbau einer hydraulischen Niveauregulierung erforderte. Wenn einem der Sultan von Brunei einen Blankoscheck ausstellt, sollte man halt nicht in der Technikabteilung herumpfuschen.
Der gesamte Innenraum wurde in üppiges grünes Connolly-Leder gekleidet, was bei Classic Driver immer die Höchstpunktzahl bedeutet. Die elektrisch verstellbaren Sitze entlieh Pininfarina dem BMW-Flaggschiff der 1990er-Jahre, dem 8er. Auch die hinteren Sitze mussten umgestaltet werden, um das neue Dach unterzubringen. Und die letzte Kirsche auf dem Sahnehäubchen dieses unglaublich exklusiven Modells ist eine Tubi-Auspuffanlage, die das Sounderlebnis des V12 verbessert, egal ob das Dach unten oder oben ist.
Nachdem wir nun die technischen Details abgehandelt haben, können wir uns den eher subjektiven Themen zuwenden. An der Front blieben die Lüftungsschlitze in der Haube, die dem Facelift des 456 zum Opfer fielen, erhalten. Ein kleines Detail, aber eines, das dem ansonsten verblüffend schlichten Design eine willkommene Aggressivität verleiht. Die wirklich gravierenden Änderungen zeigen sich jedoch am zugleich sinnlich wie opulent geformten Heck. Pininfarina tauschte die zwei ovalen Rückleuchten des 456 gegen die Ferrari-typischen vier runden Einheiten aus und setzte sie tief in die abfallende Heckpartie des Venice Cabriolet ein. So erinnert dieses tänzelnde Pferd von hinten betrachtet ein wenig an ein anderes italienisches Cabriolet der 1990er-Jahre, der Fiat Barchetta, aber sagen Sie das nicht dem Sultan. Zu guter Letzt müssen wir die Gesamtausstattung dieses Wagens loben, der in einem einmaligen Farbton namens Forest Green lackiert ist. Auch der exklusiv für den Sultan komponiert.
Das 456 GT Venice Cabriolet löst vielleicht nicht so ein Schleudertrauma aus wie der Ferrari FX – ein weiterer Auftrag des Sultans –, aber die Liebe zum Detail und vor allem die Farbkombination machen es in unseren Augen zweifellos begehrenswerter. Sicher, das Zusatzgewicht und die Viergang-Automatik stehen vielleicht im Widerspruch zum Geist eines „echten Ferrari“, aber was sommerliche Cruiser angeht, können wir uns nichts Erhabeneres als diese grüne Göttin vorstellen.
Heute befindet sich dieses Einhorn im Marconi Automotive Museum & Foundation for Kids – als einziges vom Sultan bestelltes Venice Cabriolet, das es nicht bis Brunei schaffte. Als Standort für über 100 Fahrzeuge im Wert von rund 70 Millionen Dollar beherbergt das Museum viele automobile Raritäten, darunter auch den bereits erwähnten Ferrari FX als Einzelstück. Das auch als Veranstaltungsort dienende Museum spendet einen Teil derr Einnahmen aus Events und Museumsbesuchern an Wohltätigkeitsorganisationen, die Kindern in Not helfen. Wenn Sie sich also in Kalifornien aufhalten, sollten Sie es unbedingt besuchen!
Fotos von Remi Dargegen