Es gibt Rennen, und es gab (bis 1957) die klassische Mille Miglia. 1.000 Kilometer mit atemberaubenden Aussichten, langen, offenen Geradeausstücken, kurvigen und gepflasterten Nebenstraßen und Passüberquerungen in den Apenninen. Nur die mutigsten Fahrer, manchmal allein unterwegs, aber in der Regel begleitet von einem Co-Piloten, konnten sich bei diesem auf öffentlichen Straßen ausgetragenen Rennen Siegchancen ausrechnen. Angefeuert von den dicht am Straßenrand stehenden Zuschauern. Im März 1927 fand die allererste Mille Miglia statt, schon damals mit Start und Ziel in Brescia und dem Wendepunkt in Rom. Speziell nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das Rennen zu einem weltweiten Spektakel, an dem die besten Automobilhersteller und ihre Fahrer teilnahmen. Aber auch die Konstrukteure kleiner Marken mit hubraumschwachen Autos, die sich Chancen auf einen Klassensieg ausrechneten. Zu ihnen gehörten Maurice Mestivier und Roger Lepeytre, die 1950 im 17.Pariser Arrondissement Autobleu gründeten. Zunächst als Fabrikant von Fahrzeug-Komponenten und ab 1953 als Automobilhersteller.
Die beiden Franzosen machten sich einen Namen durch Upgrades für das Renault-Modell 4CV, den Bau von Spezialteilen für weitere Hersteller sowie ihr Liebe zum Detail und die Begeisterung für den Motorsport. Als das mündete in diesen in French Racing Blue lackierten Prototypen – mit einem metallisch-nackten Interieur und zwei mit schwarzem Kunstleder bezogenen Sitzen. Die vom Luftfahringenieur Marcel Riffard betont aerodynamisch gestaltete Alu-Karosserie wurde bei der Firma Carrosserie G.T.R. gebaut und auf ein Gitterrohrrahmen-Chassis gesetzt. Zusammen mit einem 750 ccm großen Renault-Motor durchschnitt dieses kleine Projektil mit seinem extrem langgestreckten Heck den Fahrtwind mit dem maximal niedrigen Luftwiderstand.
Das Autobleu 750 Mille Miglia Coupé blieb ein Einzelstück und nahm 1954 (mit Jean Bianchi und Jean Sigrand) und 1955 (mit Bianchi als Solo-Pilot) an der Mille Miglia teil – leider beide Male, ohne das Ziel zu erreichen. Dafür steuerte Bianchi zusammen mit Christian Poirot das Auto 1956 beim 12-Stunden-Rennen von Reims auf Platz elf in der Klasse und P21 im Gesamtklassement. Der letzte bekannte Auftritt des 750 war dann 1964 beim Coupe de Belgique – zehn Jahren nach seinem Debüt bei der Mille Miglia.
Nach seiner Rennkarriere ging der Autobleu durch die Hände zahlreicher französischer Besitzer. Gelangte dann an einen deutschen Sammler, der ihn wiederum an den aktuellen Besitzer aus den Niederlanden verkaufte, der den Autobleu dann 2016 bei der modernen Mille Miglia einsetzte.
Die gründliche und mit Bildern und Rechnungen dokumentierte Restaurierung mit Kosten von rund 100.000 Euro umfasste eine Kosmetik der Karosserie und eine Generalüberholung von Motor, Getriebe, Aufhängungen und Bremsen. Der Rahmen musste nur gereinigt werden; komplettiert wurde alles durch eine frische Lackierung in der Originalfarbe. Nachdem auch die originale Startnummer vom 1955er-Rennen (036) aufgetragen worden war, wurde das Auto zum 90. Jubiläum der Mille Miglia 2017 in Brescia ausgestellt. Unmittelbar danach ging es in das 2017er-Event, gefolgt von zwei weiteren Starts in den Jahren 2018 und 2022.
Wenn Sie schon immer Mal das Erlebnis Mille Miglia erleben wollten und Mitte Juni etwas Zeit haben, haben Sie Glück. Denn diese geschichtsträchtige Aero-Schönheit in Blau wurde bereits in die Nennungsliste der Mille Miglia 2024 aufgenommen und präsentiert sich in voll einsatzbereitem Zustand. So dass ihr neuer Besitzer fast sofort mit ihr über die Startrampe in Brescia fahren und sich in das Abenteuer Mille Miglia stürzen kann!