Es war einmal im Jahr 1972...
Vom Amerikaner Michael „Mike“ Keyser im November 1971 im Werk bestellt, kam der 911 2.5 ST in der Saison 1972 zum Einsatz. Entwickelt wurde dieser letzte 911 mit alter Karosserie für Kundensporteinsätze in der Gruppe 3 (Serien-GT) und Gruppe 4 (modifizierte GT). Für insgesamt DM 49.000 wurde er mit einem 250 PS starken und auf 2.492 cm3 aufgebohrten Boxer (Typ 911/70) bestückt. Die Kotflügel kragten vorn und hinten um fünf Zentimeter weiter nach außen, dazu kamen eine Stoßstange aus Kunststoff, ein abgespeckter Innenraum und ein 110-Liter-Tank. Insgesamt lieferte Porsche 24 dieser 911 ST aus, unter anderem an Porsche Kremer, Strähle (mit Günther Steckkönig) und eben jenen US-Guy namens Keyser.
Das Steuer teilte sich Keyser mit dem damals 24-Jährigen Jürgen Barth, zu dieser Zeit noch Angestellter der Porsche-Kundensportabteilung. Der Le Mans-Sieger von 1977 und spätere Werksfahrer organisierte das Europa-Abenteuer des Amis: „Keyser hatte mich nach Sebring eingeladen und es war geplant, die ganze Marken-WM zu fahren. Mike hatte ein TV-Team engagiert, das ihn während der Saison begleitete. Aus dem Material, zu dem auch am Bug und Heck unseres Porsche montierte Kameras beitrugen, schnitt er später den Film The Speed Merchants“.
Barth/Keyer bestritten die 12 Stunden von Sebring, die Targa Florio, die 1.000 km vom Nürburgring und als Saisonhöhepunkt die 24 Stunden von Le Mans. Nach dem Ausfall in Florida mit Nockenwellendefekt trat der Porsche per Schiff und im Bauch eines GMC Transporters die Reise nach Europa an. Als Service-Station für die Zeit bis Mitte Juni diente die Werkstatt des Teams Max Moritz in Reutlingen. In seinen in Porsche 356 Registry abgedruckten Erinnerungen weiß Keyser von abenteuerlichen Passagen über die Alpen zu berichten: „Der vollgepackte GMC war auch wegen seines Automatikgetriebes nicht gerade ideal für die steilen Passabfahrten. Mehrmals überhitzten die Bremsen so stark, dass unser Fahrer und Chefmechaniker Hans Mandt sich jederzeit darauf einstellte, mangels einer passenden Auslaufzone das Auto zu verlassen…”
Bei der Targa Florio auf Sizilien setzte Keyser einen 911 2.4 „Lightweight“ als T- und Kamerawagen ein. „Für eine der Filmfahrten schnallten wir eine Arriflex 16 mm Kamera mit einem 10-Minuten-Magazin auf die Fronthaube. Ungefähr auf halber Strecke des 72 Kilometer langen Kurses überholte mich Rolf Stommelen in einem der Alfas. Zu meiner großen Überraschung und Freude stob er jedoch nicht gleich davon, sondern verlangsamte, sodass ich rund einen Kilometer lang ein paar schöne Action Szenen drehen konnte“, erinnert sich Keyser. Im Rennen kam der unter der Bewerbung von Toad Hall Racing genannte Porsche mit dem großen „Porsche Club of America”-Stricker an der Windschutzscheibe bis auf Platz sechs vor. Doch dann rutschte Jürgen Barth in der achten von zwölf Runden auf einem Ölstreifen in eine nur notdürftig mit Strohballen geschützte Mauer. „Zum Glück wurden dabei weder der Ölkühler noch die Aufhängung beschädigt”, so Barth, „aber die Richtarbeiten an der Box warfen uns auf P10 zurück.”
Tribut an die „Grüne Hölle“
Nur eine Woche später ging es am Nürburgring über 1000 Kilometer gegen starke Konkurrenz aus dem eigenen Lager, darunter das Kremer-Topteam Erwin Kremer/John Fitzpatrick. Von Platz 29 aus gestartet, arbeitete sich das deutsch/amerikanische Duo bis auf Platz 13 vor, was zugleich Platz vier in der GT-Klasse bedeutete. Keyser fand die Nordschleife weniger schwer zu lernen als die 72 km lange Runde der Targa Florio, musste der „grünen Hölle“ in seinem letzten Turn jedoch Tribut zollen. „Mir war speiübel, vermutlich eine Kombination aus der Bratwurst, die ich vorher gegessen hatte, und dem ständigen Bergauf/Bergab der Strecke. Als ich an Jürgen übergab und wieder festen Boden unter den Füßen hatte, wurde es schnell besser. Und das Wichtigste war: Das Auto blieb bis zum Ziel in einem Stück.“
Zum Saisonhöhepunkt Le Mans wollte der bekannt stolze und mitunter arrogante Veranstalter ACO den Keyser-911 zunächst gar nicht zulassen. Doch Jürgen Barth, schon damals fließend französisch unterwegs und mit einem Frankreich-Netzwerk gesegnet, fand eine Lösung. „Durch meine Kontakte zu Louis Meznarie, einem Porsche-Motorentuner, den ich von Rallye-Einsätzen mit 911er her kannte, konnte ich dessen Nennung übernehmen. Unter der Bedingung, dass wir seinen Fahrer Sylvain Garant, einen Franzosen, als dritten Fahrer ins Team nehmen würden.“ So geschah es auch, und da der 911 nun quasi als französisches Auto lief, passierte das unverändert gelb lackierte Auto die ansonsten bei Nicht-Franzosen immer extrem penible technische Abnahme in weniger als einer Stunde....
Im Rennen hatte zwar diesmal Keyser einen Ausrutscher, der jedoch a) kurz vor der rettenden Box stattfand und b) ebenfalls nur leichte Blessuren verursachte. So landete der leicht derangierte Ecurie Meznarie-911er am Ende auf Platz 13 im Gesamtklassement, was zugleich den Sieg in der GT-Klasse bis drei Liter bedeutete. Dass der Porsche mit Startnummer 41 als einziger 911er den Marathon überstand, war ebenfalls dem gewieften Barth zu verdanken. Dem war es nämlich gelungen, eigens für dieses Rennen vom Werk einen Kurzhub-Motor loszueisen. Dazu Barth: „Durch die Verwendung der Kurbelwelle des 2,2-Liter-Motors mit 66,0 statt 70,4 mm Hub ergab sich eine sicherere Schwungradbefestigung als normalerweise im 2.5 ST.“
In einem Bericht an den Porsche-Vorstand Dr. Ernst Fuhrmann berichtete Barth unmittelbar nach dem Rennen ausführlich über die Erfahrungen mit dem 264 PS starken und 2.466 cm3 großen Versuchs-Motor: „Auf den Geraden waren wir etwas langsamer als die 2,5-Liter-Porsche, dafür schneller aus den Spitzkehren bei Mulsanne und Arnage. Der Benzinverbrauch betrug im Schnitt 30,57 Liter auf 100 km, der Ölverbrauch über die gesamte Distanz fünf Liter. Die Öltemperatur des mit den serienmäßigen Ölkühlern bestückten Motors lag im Rennen bei 95, im Training bei maximal 105 Grad. Während des Rennens wurde der Motor mit maximal 7.800 U/min gefahren.“
Nach Le Mans trennten sich die Wege von Barth und Keyser. Der Amerikaner bestritt mit Landsmann Bob Beasley noch den WM-Lauf in Watkins Glen, den er als Siebter und Sieger der GT-Klasse bis 2,5 Liter beendete. „In der Camel GT Serie belegte ich am Ende Platz drei, sodass ich über die Ergebnisse dieser Saison nicht beschweren kann.“ Zwei Jahre dauerte es, bis Keyser dann auch The Speed Merchants fertig hatte. Aus 52.000 Metern Zelluloid oder rund 70 Stunden Material entstand am Ende eine 95 Minute lange Doku mit Zeitzeugen wie Mario Andretti, Vic Elford, Helmut Marko, Brian Redman und Jacky Ickx.
Entdeckung eines verlorenen Schatzes
2007 entdeckte dann Marco Marinello, Porsche Kenner und Präsident des Porsche Clubs Basel, das ihm zuvor von seinem letzten amerikanischen Besitzer angebotene „Auto“ in San Francisco. Das Wrack stellte sich nach Prüfung als jenes Chassis heraus, mit dem zunächst Keyser und dann ab März 1973 der neue Besitzer Don Lindley noch bis 1975 bei US-Rennen antraten. 2013 erwarb ein Schweizer Landsmann Marinellos das Auto. Vor allem die Karosserieexperten waren gefordert, war der Wagen doch nicht nur auf das spätere „G-Modell“ des 911 umgebaut, sondern nach einem Unfall auch unsachgemäß geflickt worden. Auf der Richtbank wurde der arg krumme Elfer rückverformt, per Hand wurden danach nach gründlicher Entrostung ein neues Dach und neue Kotflügelbacken geformt. Zum Schluss spendierte Porsche dem ST eine Beschichtung im KTL-Bad und eine Neulackierung im Original-Farbton Hellgelb mit dem Code 117.
Eine goldene Ära des Motorsports
So erstrahlt dieser spezielle 911 heute wieder im alten Glanz – zur Freude seines neuen Besitzers, der versprochen hat, ihn wieder auf die Rennstrecke zu bringen. Spätestens dann, wenn auch wieder ein Überrollkäfig installiert ist. Dann werden Erinnerungen hochkommen an jene verrückte Saison 1972, die in „The Speed Merchants“ eindrucksvoll festgehalten wird. Denn es waren noch andere Zeiten, wie Michael Keyser (heute 68) zu berichten weiß: „Am Abend vor den 12 Stunden von Sebring war unser Filmteam gerade damit beschäftigt, die Scheinwerfer aufzustellen, um in der Ferrari-Box die vor einem Rennen üblichen Motorenwechsel zu filmen. Da machten sich die Mechaniker plötzlich fertig zum Abendessen. Darauf überließ uns Teammanager Peter Schetty die Schlüssel zur Box, mit der Bitte, sie nach Abschluss unserer Arbeiten in das Restaurant zu bringen, in dem die Ferrari-Crew zu Abend speiste.“ Wir können uns nicht vorstellen, dass sich so eine Szene im Jahre 2016 an irgendeiner Rennstrecke der Welt nochmals genau so zutragen könnte. Those were the days..
Fotos: Porsche Classic/Archives