In der Klasse der Supersportwagen dürfte der Ferrari F12 Berlinetta Seinesgleichen suchen. Als einer der letzten seiner Art ist sein gewaltiger V12 ein klassischer Saugmotor, das Design ist emotional packend, die Aerodynamik zukunftweisend und seine dynamische Balance würde selbst den grandiosen Drahtseilartisten Philippe Petit beeindrucken. Aber was ist mit der Eleganz, mit diesem geradezu vornehm zurückgenommen Charakter, der einst die Sportwagen von Ferrari auszeichnete und jeder glamourösen Lady in Red die Schau gestohlen hätte? Manche würde sagen, dass der Ferrari 550M wohl als letzter wirklich eleganter Ferrari gelten darf. Andere würden den Bogen noch weiter zurück bis zum Ferrari Daytona schlagen. Für mich persönlich zählen der Ferrari 275 GTB und der Ferrari 365GT 2+2 zu den letzten Exemplaren aus Maranello, die eine wahrhaft sinnliche Eleganz im Automobildesign verkörperten. Könnte man eine zeitlose Schönheit der Formgebung mit der rein technischen Wucht des F12 vermählen? Ja, man könnte, und die Antwort darauf hieß: Berlinetta Lusso aus der Carrozzeria Touring Superleggera.
Anspruchsvolle Schlichtheit
Hieß? Warum die Vergangenheitsform? Weil die Carrozzeria Touring kürzlich bekanntgab, dass alle fünf Exemplare des Berlinetta Lusso bereits glückliche Käufer gefunden haben. Nach einer eher flüchtigen Begegnung im Mai dieses Jahres beim Concorso d'Eleganta Villa d'Este, wo der elegante GT unter freiem Himmel enthüllt wurde, freuten wir uns nun auf ein intensiveres Rendezvous in Kalifornien – und zwar mit dem einzigen fertigen Auto, das noch dazu in einem wundervollen Blau namens „Azzuro Niourlague” lackiert war. Dieser Lusso Nummer 1 besitzt eine bestechende Präsenz, nicht nur wegen der satten Tiefe des Lacks, dessen Ton alternativ auch Rad Blue heißt, sondern auch, weil die von Hand gefertigte Karosserie durch die komplexe, nur scheinbare Schlichtheit ihrer Formen fasziniert. Obwohl der Lusso an einen der frühesten Ferraris, den Ferrari 166MM von Gianni Agnelli, erinnert, beeindruckt er durch subtile Designelemente, die eine hochmoderne Massenproduktion vor erhebliche Probleme stellen würde. Wer außer Louis de Fabribeckers, Designchef von Carrozzeria Touring, könnte uns in die Feinheiten dieser außergewöhnlichen Schöpfung einführen?
Drei Fragen an Louis de Fabribeckers
Sie haben einen beneidenswerten Beruf, denn Sie können sich Ihren Traum-Ferrari einfach selbst gestalten. Aber wie fangen Sie damit an?
Man beginnt mit den allgemeinen Volumina des Autos. Man muss eine Harmonie, ein Gleichgewicht herstellen. Ich habe eine große Vorliebe für die klassischen Coupés der fünfziger und sechziger Jahre, deren Gestaltung der traditionellen Three Box-Form mit langer Motorhaube, kleiner Kabine sowie kompaktem Heck folgt. Das Design ist eher horizontal ausgelegt, dynamisch ohne aggressiv zu sein und dabei zeitlos und trotzdem klassisch. Es war immer mein Traum, so ein Auto zu entwerfen. Deswegen war ich sehr glücklich, als ein Kunde mit der Bitte zu uns kam, einen klassischen Ferrari zu gestalten, weil er bei der Marke heute das zeitlose Design vermisste. Seiner Meinung nach gab es bei aktuellen Ferraris eine Art Über-Gestaltung. Er hingegen wolle einen Sportwagen, der Eleganz verströmt.
Aber dieser Entstehungsprozess auf Basis eines fertigen Automobils birgt auch Zwänge, oder?
In manchen Fällen müssen wir bereits homologisierte Teile verwenden. Bei der Berlinetta Lusso stammen vom Exterieur des F12 nur Front- und Rückscheinwerfer sowie die Windschutzscheibe, alles andere ist neu. Das sind Kleinigkeiten, die man während des Designprozesses zwar im Hinterkopf behält, ohne sich von ihnen weiter irritieren zu lassen. Davon abgesehen habe ich im Gegensatz zu anderen Designern die Freiheit, dramatische Elemente so zu gestalten, wie ich es möchte. Ich muss mich nicht gegenüber Ingenieuren, Kostenstellen oder gar dem Massenmarkt rechtfertigen. Ich besitze das Privileg, immer nur für den einen, sehr leidenschaftlichen Kunden zu arbeiten. Und wenn er mir grünes Licht gibt, dann gibt es für mich nur noch meinen Werkstatt-Spezialisten. Bei dem kann ich jederzeit mit der Bitte um eine Änderung vorbeischauen und der sagt: Okay, Louis, ich werde sehen, was ich da machen kann. Der Vorteil von Aluminium ist, dass man bis zu dem Moment, in dem der Lack aufgetragen wird, noch einiges optimieren kann. Oft, wenn das Design eigentlich schon abgeschlossen ist, wird der reine Karosseriekörper als „Body in white” in die Lackiererei geschoben – und ich laufe dann hinterher und rufe: Wartet, wartet, ich muss noch was ändern! Meine Hauptaufgabe besteht darin, zu zeigen, wie großartig unsere Spezialisten komplexe Formen herstellen können. Zum Beispiel diese emotionale und effektvolle Charakterlinie, die von den vorderen Radläufen ausgeht. So etwas kann nur in einer Manufaktur und nicht mittels einer Aluminiumpresse gefertigt werden. Würde man das mit einer herkömmlichen Presse versuchen wollen, hätte man das Metall dabei zerstört.
Würden Sie auch zustimmen, dass Eleganz dem heutigen Autodesign abhanden gekommen ist?
Ich liebe die modernen Aston Martins: Zeitloses Design, das elegant ist. Aber heute müssen Sie jedes Jahr ein neues Produkt liefern und laufend neue Ideen bieten. Deswegen sind aktuelle Designs auch eher trendhörig als zeitlos – einfach, um mehr Autos zu verkaufen. Es ist wie mit den Kühlschränken. Wenn Sie in den Fünfzigerjahren einen Kühlschrank gekauft haben, war es das beste Modell und hielt 40 Jahre lang. Heute hält das Gerät allenfalls ein paar Jahre und man sagt Ihnen auch noch, dass ein Neukauf wirtschaftlicher wäre. Im Design ist es nicht anders, denn Jahr um Jahr verlangt der Markt nach etwas Neuem, das noch zeitgeistiger ist, aber schon nach kürzester Zeit veraltet wirkt. Meine Aufgabe aber ist, etwas zu schaffen, dass von zeitloser Ausstrahlung ist und vom Besitzer noch Jahrzehnte später geschätzt werden kann.
Photos by Rémi Dargegen for Classic Driver © 2015