100 Meilen pro Stunde oder 160 km/h sind eine Marke, die fast jedes heute erhältliche Serienfahrzeug problemlos erreicht. Doch würde man die Uhr genau 102 Jahre zurückdrehen, waren diese Werte noch echte Meilensteine.
1923 stellte die 1913 von Lionel Martin und Robert Bamford gegründete Marke Aston Martin einen aufgrund seiner aerodynamisch ausgefeilten Karosserie treffend „Razor Blade“ (Rasierklinge) getauften Rekordwagen vor. Auf dem wegen seiner holprigen Steilkurven berüchtigten Brooklands Circuit in Surrey wollten Martin und Bamford mit ihm den bis dahin von AC Cars gehaltenen Ein-Stunden-Rekord für „light cars“ (163,17 km/h) brechen. Der Versuch scheiterte trotz mehrerer Anläufe, da Razor Blade bei Geschwindigkeiten von über 100 Meilen pro Stunde immer wieder seinen äußeren Vorderreifen abwarf. Durch schiere Entschlossenheit und den Mut der Piloten gelang es jedoch später im Jahr, stattdessen neue Rekorde für den stehenden Start über eine Meile (119,25 km/h) und einen Kilometer (107,06 km/h) aufzustellen. Was diesem einzigartigen Auto dann doch noch einen Platz in den Geschichtsbüchern sicherte.
Nicht nur seine Rekorde waren bedeutend – auch das Design und die Technik des Razor Blade waren für die damalige Zeit fortschrittlich. Die in Kooperation mit der de Havilland Aircraft Company hergestellte Karosserie misst an ihrer breitesten Stelle nur 47 Zentimeter – damit gilt dieser Aston bis heute als schmalster jemals gebauter Rennwagen. Verstärkt wird die extreme Schlankheitskur durch die zum Heck hin eingezogene Karosserie und die im Vergleich zur hinteren deutlich größeren vorderen Spurweite. Beides verleiht der Rasierklinge ein unverwechselbares Aussehen und macht das Auto auf gerader Strecke maximal schnell. Unter der Karosserie verbirgt sich ein maßgeschneiderter Vierzylinder-Rennmotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen und 16 Ventilen. Er leistet 55 PS und wurde ursprünglich für den GP von Frankreich 1922 in Straßburg konzipiert.
Nachdem er bis in die 1950er-Jahre regelmäßig bei Wettbewerben bewegt wurde, gelangte der Razor Blade in das Harrah Motor Museum in den USA. Nach der Rückkehr ins UK in den 80er-Jahren verlieh ihn der aktuelle Besitzer für viele Jahre an das Brooklands Museum, wo das Auto bis auf gelegentliche Auftritte wie zum Beispiel beim Goodwood Festival of Speed ausgestellt war. Nun wartet das in England für die Straße zugelassene Unikat (Kennzeichen XO9958) auf seinen nächsten Besitzer, der sich darauf freuen darf, den Razor Blade bei historischen Events auf der ganzen Welt vorführen zu können.