Der dritte Baron von Vestey, auch als Sir Paul Edmund Vestey bekannt, erwarb seinen allerersten Ferrari, einen 250 GT „Short Wheelbase“, im zarten Alter von 21. Über die nächsten sechs Jahre teilte er sich die Rennstrecken Europas mit Größen wie Jacky Ickx, Derek Bell, Jo Siffert und Brian Redman. Am Steuer exotischer Rennwagen, oft mit dem „Springenden Pferd“ auf der Haube, errang er zahlreiche Achtungserfolge. Sein größter Stolz ist bis heute jener Ferrari 275 GTB Competizione, den der heute 73-jährige Adelige 1966 kurz nach dem Klassensieg des Autos bei den 24 Stunden von Le Mans vom Importeur Maranello Concessionaires kaufte. Er setzte ihn bis 1967 erfolgreich bei Rennen ein, ehe er ihn verkaufte und schließlich in den 1980er-Jahren aus Amerika zurückholte. Die aktuellen Stallkameraden des Ferrari sind eine AC Cobra 39 PH aus dem Vorbesitz von John Willment, der erste Jaguar E-Type, der jemals ein Rennen gewann, ein Ferrari 250 GT California Spider, dessen Erstbesitzer ihm die Optik eines Testa Rossa verpasste, und als Kronjuwel ein Ferrari 250 GTO. Müßig zu betonen, dass wir für die Fahrt zum Lunch im Pub den langen Anfahrtsweg wählten.
Haben Sie sich immer schon für Autos interessiert?
Oh ja, ich war immer schon autoverrückt – sehr zum Kummer meiner Eltern. Der einzige Wagen, dessen Besitz mein Vater für erstrebenswert hielt, war ein Rolls-Royce. Autofahren zu jener Zeit war so viel angenehmer als heute. Es gab längst nicht so viel Verkehr und auch die Autos waren weitaus cooler. Wenn Du irgendwo mit Deinem E-Type auftauchtest, konntest Du nicht viel falschmachen.
Was war Ihr erstes Auto?
Ein Land Rover 80”. Mein Vater gab ihn ab, nachdem der lokale Wildhüter den Motor geschlachtet hatte. Ich glaube, ich war nie zuvor so enttäuscht. Daher stieg ich, wie viele andere auch, schnell auf einen Mini um, den ich dann wie einen Formel-3-Rennwagen über die Straßen jagte. Ich fuhr einige Sprintrennen damit – das waren meine ersten Gehversuche im Motorsport.
Also sozusagen die Initialzündung?
Ich denke schon! Ich kaufte dann einen Lotus Elite, für mich zu jener Zeit das coolste Designerstück. Und in der Tat war er bis auf den Harzgeruch und die starken Vibrationen ein gutes Auto. Wir gaben etwas Geld aus, um ihn aufzumotzen. Was ihn im Rückblick leider von einem guten zu einem schlechten Straßen- und damit zu einem langsamen Rennauto machte. Dann entdeckte ich, wie schnell einige Wahnsinnige ihre Autos um Rennstrecken scheuchten. Da gab es einen Typen namens Norman Surtees – er behauptete, Johns Bruder zu sein. Ich erinnere mich, wie er mich einmal in Brands Hatch gnadenlos verblasen hat. Doch dann musste ich erst einmal nach Südamerika, um mehr über das Familiengeschäft zu lernen. Zum Glück dauerte diese Phase nicht allzu lange.
Und als Sie zurückkamen, wie ging es dann weiter?
Ich kaufte einen Jaguar E-Type und fuhr ihn 18 Monate lang. Wir gewannen bei verschiedenen nationalen Rennen. Worauf ich mir dachte: Machen wir es doch gleich vernünftig und steigen auf einen Ferrari um. Über den Kauf eines Ferrari 250 GT SWB mit Stahlkarosserie für den Einsatz auf der Straße hatte ich Bekanntschaft mit Ronnie Hoare gemacht. Für den ehemals von Maranello Concessionaires angebotenen Ferrari 275 GTB Competizione, der gerade seine Klasse mit Piers Courage in Le Mans gewonnen hatte, gab ich bei ihm meinen 250 GT in Zahlung. Und mit dem GTB/C sind wir dann sofort die 1000 Kilometer von Paris des Jahres 1966 gefahren. Das war damals keine schlechte Sache, denn es gab nicht allzu viele Nennungen für die GT-Klasse. Daher hatte man gute Chancen anzukommen und ein ordentliches Preisgeld zu kassieren.
Wie einfach oder nicht war es, Nennungen für die großen Rennen zu bekommen?
Le Mans war schwierig, es war schon immer das ganz große Rennen. Doch wenn Du ein Auto hattest, das die Veranstalter aufgrund der Optik mochten, bekam man in der Regel die Startzusage. Eigentlich kann ich mich gar nicht daran erinnern, jemals abgewiesen worden zu sein. Mit dem GTB/C fuhren wir nach Paris dann 1967 noch in Monza, Spa, am Nürburgring und in Mugello mit. Dann kaufte ich einen Ferrari 250 LM – und alles ging den Bach runter.
Wie war der Ferrari 250 LM im Vergleich zum GTB/C?
Ich habe dieses Ding gehasst! Wir bekamen einfach die Bremsen nicht zum Arbeiten. Das war der einzige nicht erfolgreiche Wagen, den ich jemals gefahren bin. Einer von zweien, die ich besaß, flog 1968 bei der Targa Florio über eine Klippe. David Piper saß am Steuer, als in der zweiten Runde die Lenkung brach. Er stieß mit einem Kilometerstein zusammen und rollte dann einen 50 Meter tiefen Abhang hinunter. Als er am Boden der Schlucht ankam, lag das Auto auf dem Dach – ich weiß bis heute nicht, wie er da herausgekommen ist. Ein Bauer eilte herbei, um nach ihm zu sehen. Weil David offensichtlich ein wenig benommen war, bot er ihm etwas zu Trinken und zu Essen an, was dieser auch dankend annahm und sich zum Haus des Bauern führen ließ. Irgendwann fragte David seinen „Retter“, ob er denn nun etwas zu Essen bekäme. Worauf dieser antwortete, dass alles aufgegessen sei. So verging einige Zeit, welche die restlichen Dorfbewohner nutzten, um die gesamten Armaturen und sogar die Gurte aus dem Ferrari zu entwenden.
Was hat Sie an der Marke Ferrari so angezogen?
Ich hatte Stirling Moss auf einem Ferrari 250 GT SWB bei der Tourist Trophy gesehen. Und sie funktionierten einfach. Sie glauben gar nicht, wie hoffnungslos manche Autos aus jener Zeit waren – sogar der E-Type machte Zicken, wenn es über längere Distanzen ging. Nur mit einem Ferrari konnte man ziemlich sicher sein, ins Ziel zu kommen. Das war natürlich für Privatiers besonders attraktiv, denn man konnte sich kein Auto leisten, an dem ständig etwas kaputtging.
Gab es einen Grund, warum Sie für Ihre Autos Dunkelblau als Farbe wählten?
Vermutlich, weil ich die ganze Zeit die Autos von Rob Walker vor Augen hatte!
An welches Rennen erinnern Sie sich am liebsten?
Die 1000 Kilometer von Monza 1967 mit dem 275 GTB/C. Wir haderten mit den Speichen der Hinterräder, sie brachen ständig und kosteten uns massiv Zeit. Nachdem alle Ersatzfelgen das gleiche Schicksal erlitten hatten, kam mir die Idee, die vorderen Felgen nach hinten zu packen. Die hielten dann, und obwohl wir im Gesamtklassement recht weit hinten ankamen, gewannen wir unsere Klasse, was wichtig war.
Heute werden jene Jahre als eine „goldene Ära“ des Motorsports verherrlicht. Haben Sie es damals auch so empfunden?
Ja, ich denke schon. Wir konnten uns allerdings nicht vorstellen, dass diese Zeit jemals ein Ende haben könnte. Wir fuhren aus reiner Freude und hofften, dabei möglichst gut abzuschneiden. Der Rennsport damals war speziell für Amateure noch attraktiv, denn es gab viel Start- und Preisgeld. Hatte man keine Unfälle, konnte man finanziell und körperlich überleben. Und nach den ersten beiden Rennen mit dem 275 hatten wir genug Geld zusammen, um bereits die Hälfte des Kaufpreises zu entrichten.
Hatten Sie schwere Unfälle?
Ja, den schlimmsten am Nürburgring, während des 500-Kilometer-Rennens der Saison 1970. Irgendein Trottel in einem Porsche 907 ging plötzlich auf der Geraden in die Bremsen und fing an, mit Lenkbewegungen das Heck zum Wedeln zu bringen. Ich lag in einem Porsche 910 genau dahinter und wäre ihm aus heutiger Sicht besser einfach hinten draufgefahren. Stattdessen bremste ich, kam ins Schlingern und erst nach Niedermähen einiger Fangzäune zum Stehen. Ich war okay, doch das Auto war ziemlich hinüber.
Was waren Ihre Lieblingsstrecken?
Die Strecken damals waren eigentlich alle phantastisch. 1969 bestritt ich Le Mans mit einem Ford GT40, einfach herrlich. Auch die alte Spa-Strecke war phänomenal. Zum ersten Mal fuhr ich dort im Nassen, beim Training mit dem GT40. Als ich so dahinfuhr, hatte ich plötzlich das Gefühl, im Sitz leicht hochgehoben zu werden. Und mir wurde auch ein bisschen kalt. Die GT40 hatten ja diese Sitze mit Löchern drin, und dadurch war offenbar Wasser eingedrungen. Der Wagen lief voll wie eine Badewanne. Am allerbesten war jedoch der alte Straßenkurs von Mugello – im Grunde fuhr man dort 40 Meilen fast ausschließlich über Bergpässe.
Wie kam Ihr Motorsportleben zum Ende?
Nach dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans 1971, das ich auf einem Porsche 911 S als Zwölfter beendete, wurde alles sehr viel teurer. Es schien so, als wären bei einem Rennen viele Leute in Anzügen gewesen, die Champagner tranken und viel Preisgeld ausschütteten. Und beim nächsten Rennen waren sie alle verschwunden. Es war Zeit für etwas Neues. Daher heiratete ich noch 1971, gründete eine Familie und fing an, alte Autos zu kaufen.
Wie sind Sie wieder an den 275 GTB/C gekommen?
Es war in den 1980er-Jahren, ich begleitete einen Freund, der von einem Mann in Texas ein Auto kaufen wollte. Der Händler wandte sich plötzlich an mich und sagte mit breitestem amerikanischen Akzent: „Ich habe hier noch dieses Piers Courage-Auto“. Er hatte wohl keine Ahnung vom geschichtlichen Hintergrund des Wagens, und so erwarb ich ihn zu einem guten Preis. Er sah recht mitgenommen aus, erforderte aber im Endeffekt nicht allzu viel Arbeit. Er wies keine größeren Beschädigungen auf, was ungewöhnlich für einen GTB Competizione ist. Tja, das alte Mädchen schien brav weitermarschiert zu sein. Schon erstaunlich, dass wir diese Autos damals mit allen Komfortfeatures fuhren. Es gibt da eine herrliche Anekdote vom Rennen in Mugello 1967: Ich musste mit gebrochener Hinterradaufhängung anhalten, als David Piper in einem offenbar ebenfalls waidwunden Porsche 906 herangehumpelt kam. Ich zog meine Zigaretten heraus, er seine Pfeife – und wir zündeten beides mit dem Zigarettenanzünder meines Autos an!
Was fahren Sie sonntags?
Es kommt darauf an, wie ich mich gerade fühle. Der E-Type ist ideal für die genüssliche Ausfahrt, doch die Cobra ist perfekt, wenn man mal richtig die Sau rauslassen will. Und wenn die Straßen passen, ist der GTO der sportlichste. Er ist mein ganzer Stolz und meine größte Freude, ganz ohne Zweifel. Nicht nur wegen seines Wertes, sondern weil er einfach solch ein wundervolles Ding ist. Ich habe ihn jetzt seit 36 Jahren und er hat mich noch nie im Stich gelassen.
Fotos: Tom Shaxson für Classic Driver © 2017