Blockaden durchbrechen
Der Begriff „Outlaw“ oder „Gesetzloser“ steht gemeinhin für von amerikanischen Spezialisten einem „Customizing“ unterzogenen Porsche 356 und 911. Doch mehr und mehr löst sich dieser Prozess von Porsche- Vorbildern und steht allgemein für einen Veredelungsprozess, der ästhetisch an Rennsportmodelle von früher erinnert und anknüpft. In einer Kombination aus extremer Detailliebe und überragender Handwerksarbeit entstehen mit diesem Ethos absolut einmalige Einzelstücke mit starker Ausstrahlung. Wer nun aber denkt, dieser Flügeltürer sei ein erst kürzlich zum Gesetzesbrecher gewordener Konvertit, irrt. Denn alle Modifikationen wurden bereits vor über 20 Jahren durchgeführt.....
Halb Muscle Car, halb Hot Rod
Verantwortlich dafür zeichnete ein amerikanischer Hobbyrennfahrer, der das Auto im Stil eines einheimischen Muscle Cars oder Hot Rods modifizierte. Los ging es mit einem gechoppten Dach, das dadurch acht Zentimeter an Höhe verlor. Das klingt nach einer Menge Metall, doch wie die Fotos zeigen, betont diese Maßnahme vor allem eine schöne, stromlinienförmige Linie. Leider gab es dadurch einen unangenehmen Nebeneffekt für die rennfahrende Zweier-Crew: Mit aufgesetzten Helmen wurde es knapp mit der Kopffreiheit. Doch wie jedes Detail an diesem Auto fand sich auch dafür eine originelle Lösung: Nämlich zwei zagato-eske „double bubble“-Ausbuchtungen in den berühmten Flügeltüren.
Show and go
Andere Details, wie die geänderten Stoßfänger, die in die Chromspangen des Grills integrierten Nebelscheinwerfer und von Rennsportmodellen übernommene Außenrückspiegel veredeln mühelos die skulpturierten Linien. Zugleich lassen die fetten Reifen samt Rudge-Zentralverschlüssen den schlanken Karosseriekörper satt auf der Straße stehen. Die Änderungen unter der Haut spiegeln den zugleich eleganten wie kraftstrotzende Auftritt wieder: Allen voran ein Koni-Sportfahrwerk, eine Rennkupplung, ein verstärktes Zündsystem und seitlich austretende Auspuffendstücke nach Vorbild des SLR. Aber auch ein Aluminium-Renntank, der Renn-Einfüllstutzen auf dem rechten hinteren Kotflügel und ein Feuerlöscher verraten die Motorsport-Gene.
Vogel Strauß trifft auf Möwe
Trotz all dieser Änderungen an Karosserie und Fahrwerk birgt das liebevoll gestaltete Interieur vielleicht den meisten Gesprächsstoff. Denn sie fallen keineswegs weniger spektakulär aus. Der Rennsport mag das Hobby des Erstbesitzers gewesen sein, doch lag sein Hauptaugenmerk auf seiner Straußenfarm (ohne Zweifel ein idealer Erwerbszweig, um seinen motorsportlichen Vorlieben zu frönen). Weil kein Typ für halbe Sache, ließ der Eigner des SL daher weite Teile des Interieurs mit dem teuren und sehr aufwendig zu verarbeitenden Laufvogel-Leder überziehen. Exakt gesagt die Oberseite des Armaturenbretts, die Sitzschalen, die Innenverkleidungen der Türen und sogar den Überrollbügel. Die pockennarbigen Oberflächen stehen dabei in einem schönen Kontrast zum glatten Rindsleder in Cognac für die beiden Sitzschalen. Gekrönt wird dann alles noch von einem in Handarbeit gefertigten Vierspeichen-Lenkrad.
Familiensache
Für Thomas Rosier, Besitzer von ROSIER Classic Sterne, einem von zehn zertifizierten Mercedes Benz Classic Centern in Deutschland und vom ZDH mit dem Prädikat „Fachbetrieb für historische Fahrzeuge“ ausgezeichnet, hat dieser SL noch ein ganz andere, tiefere Bedeutung. Nachdem ihm das Auto Ende 2014 angeboten worden war, erwarb er es ohne großes Zögern Anfang 2015. In Oldenburg eingetroffen, stellte Rosier nach längerem Studium fest, dass dieses Auto einmal seinem Vater gehört hatte. „Er hatte ihn 1986 gekauft und dann 1989 nach Amerika verkauft, um damit zusätzlich zu unseren Standorten rund um den Stammsitz Menden/Sauerland eine neue Mercedes-Vertretung in Oldenburg zu kaufen.“ Sogar die Original-Nummernschilder seines Vaters, mit Kennzeichen des Kreises Unna, lagen noch im Kofferraum, staunte Rosier. Unter der liebevollen Pflege glänzt dieser unverhoffte Heimkehrer also nicht nur mit einer einnehmenden Erscheinung, sondern auch einer ganz speziellen Geschichte...
Fotos: Rémi Dargegen für Classic Driver © 2017